Weißt Du noch. ...?
Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft1. Februar 1969 .... Schicksal .....
Juhu, es geht endlich los. Mein erster großer Maskenball in einem Spitzen-Hotel in Köln. Mit einer Freundin wollte ich losziehen, wir beide gerade mal 19 Jahre alt und voller Elan und Schwung, diesen besonderen Abend und die Nacht zu rocken.
Ich hatte mich sooooo schick gemacht, schwarzes schmales Trikot, mit Netzstrümpfen und goldenen Sandaletten, um den Hintern eine große rote Schleife und um den Ausschnitt einen weißen Spitzenkragen. Meine Mutter begutachtete kritisch meine Aufmachung und meinte nur: " Du liebe Zeit, Du bestehst ja nur noch aus BEINEN, aber Du siehst toll aus ... viel Spaß !"
Meine Freundin hupte und ich lief schnell zu ihrem Auto und wir fuhren los, kichernd und albern und auch etwas nervös... Dann endlich auf den Parkplatz des Hotels, schnell einparken und dann nix wie rein ins Vergnügen.
Die Band spielte schon fetzige Tanzmusik, der Saal war super geschmückt, die Tische weiß eingedeckt ... Unser Platz befand sich an einem etwas längeren Tisch für ca. 6 Personen, dort fanden wir unsere Namensschilder und setzen uns schon mal hin, unsere Augen waren überall und neugierig, was da so um einen rum passierte und welche Leute wohl an unseren Tisch kommen würden.
Es kamen dann noch ein Pärchen und zwei einzelne Herren an unseren Tisch.
Ich hatte das noch gar nicht so richtig mit bekommen, als ich den Ellbogen meiner Freundin in meiner Seite spürte, sie mich anschubste und meinte: "Schau dir mal die Männer an". Interessiert schaute ich hoch und hatte plötzlich das Gefühl, die Welt bleibt stehen, ich hörte keine Musik mehr, sah keine Leute mehr, sondern nur noch diese braunen Augen, die mich intensiv musterten und dann dieses Lächeln.
Mein Gehirn setzte plötzlich wieder ein und mein Umfeld wurde mir wieder bewusst, die Musik und dieses Lachen und das Gerede der Leute. Ich hatte mich wieder gefangen, grinste frech zurück und stand auf und verschwand erst mal auf die Toilette, diesen Moment musste ich erst mal sacken lassen. Den intensiven Blick von ihm spürte ich jedoch genau, als ich quer durch den Saal zum Ausgang marschierte.
Ich kam zurück und der Ball hatte begonnen, die ersten Paare drehten sich auf der Tanzfläche und ich fühlte mich immer noch, als hätte mich der Blitz getroffen, das konnte ja heiter werden.
Als ich zum Tisch kam, stand er auf, nahm stillschweigend meine Hand, zog mich zur Tanzfläche, nahm mich fest in den Arm und ließ mich nicht wieder los.
Wir stellten uns vor, redeten, tanzten, hatten die Welt vergessen und sahen nur noch uns. Es war die Nacht meines Lebens ... das Schicksal hatte mich diesen Mann treffen lassen... und wir blieben zusammen ...
Als ich früh am Morgen heim kam sah meine Mutter mich nur an und meinte: " Erzähl schon, du leuchtest so".... ich sah sie nur an und murmelte: " Das war die schönste Nacht meines Lebens", und verschwand dann in mein Bett.
Das war der Beginn einer ganz besonderen Zeit. Das erste Jahr, ich sage immer wieder, unser Jahr, ging an uns vorbei, als wären wir ganz alleine auf der Welt, der Alltag war Routine, die Momente unseres Zusammenseins leidenschaftlich, intensiv, das Herz brannte und kein Außen-Stehender kam an uns mehr heran, wir sahen nur uns . Wir wohnten beide noch Zuhause, aber unser Zuhause, war sein Auto abends und nachts, bis zum Morgen, bis wir wieder arbeiten mussten.
Das konnte nicht so weitergehen, wir verlobten uns und heirateten dann nach einem Jahr. Die erste eigene Wohnung und alles wurde irgendwie anders.
Ich war mittlerweile 20 Jahre und er 22 Jahre, viel zu jung für unsere Familie und Freunde. Die Einmischung von außen war sehr stark und sehr negativ, wir klammerten uns aneinander, hielten noch mehr zusammen und wenn wir in den Nächten zusammen lagen, sahen wir uns an und sagten nur :
"Weißt du noch...? "................ oh jaaaaaaaaaaa ...............
Dann konnten wir ruhig schlafen und wussten genau, die Basis stimmt und das war das Wichtigste.
Die Jahre vergingen, exzessives Leben, viel Arbeit, Höhen und Tiefen, Parties und viele "Freunde", die Freunde kamen und gingen. Wir würden älter und reifer, sahen einiges dann auch aus einem anderen Blickwinkel, das Leben und auch das Umfeld formt einen Menschen. Wir stritten uns und vertrugen uns, wenn ein Außen-Stehender sich einmischen wollte, dann hielten wir sofort zusammen wie Pech und Schwefel, zwischen uns durfte niemand kommen.
Das haben wir uns geschworen.
Wenn es so richtig schlimm wurde... dann sahen wir uns einfach nur an ...
"Weißt du noch ...."
sagten unsere Augen und schon wussten wir, wir gehören zusammen immer.
Es folgten 20 Jahre, dann kamen die ersten Einschläge, meine Mutter und seine Mutter starben, er bekam mit 41 Jahren einen Herzinfarkt. Der Arzt sagte mir damals: " Jetzt wird sich ihr Leben verändern. " Es stimmte, ich wollte es nicht glauben, aber, wenn die Gesundheit nicht mehr so mitspielt, verändert sich vieles. Aber wir haben nicht aufgegeben, wie war das denn noch:
"Weißt du noch "....
Wir hatten so vieles erlebt und konnten so viel erzählen und es half uns immer weiter, unsere BASIS blieb, trotz Schwierigkeiten. Wir schätzten das Leben mehr, waren nicht mehr so leichtsinnig und überdachten vieles mehr. So ging es weiter, mit Höhen und auch Tiefen, wir hatten gelernt, nur noch auf uns selbst zu hören und alle anderen Meinungen zu überdenken, aber nicht mehr an uns heran zu lassen.
So vergingen noch einmal 20 Jahre, mittlerweile waren wir 39 Jahre verheiratet, da schlug das Schicksal erbarmungslos zu. 2009 die Diagnose bösartiger Gehirntumor bei ihm. Keine Chance auf Heilung.
Wir waren wir erstarrt, Verzweiflung, Wut, Hilflosigkeit alles kam irgendwie auf einmal. Das konnte doch nicht sein, wir hatten doch noch sooo viel vor, ich war erst 60 Jahre und er 62 Jahre alt. Er nahm nur meine Hand und sah mich ernst mit seinen wunderschönen Augen an und meinte nur:
"Weißt Du noch....? "
Wir haben alles gehabt und gelebt und erlebt, ich vermisse nichts und ich habe Dich und wir haben unsere Erinnerungen, die werden immer bleiben, denn die gehören nur.. UNS ... . Wir lagen uns in den Armen und die Tränen liefen uns über das Gesicht, aber unsere BASIS, auf die wir immer so stolz waren, blieb, da waren wir uns sicher ... immer ....
Unser ganzes Leben lief noch mal wie ein Film in meinen Gedanken ab und alles Positive wog sehr schwer in diesem unserem Leben und das Negative verlor seine Macht über mich.
Am 1. Januar 2010 ... genau um 17 Uhr, wurde Deine Hand kalt in meiner Hand, als du dich auf die Reise begabst und mich verlassen musstest.
Meine Welt blieb stehen und mein Herz schlug mir bis zum Hals, es war wie ein Aufschrei, als es aus mir hervorbrach:
"Weißt du noch??... Du kannst mir nicht mehr antworten, aber ich verspreche es Dir, ICH weiß es noch und werde es niemals vergessen."
Die Erinnerungen und die Erfahrungen haben mir geholfen, die nächsten Jahre zu überstehen und mich selbst zu finden. Dieser Teil meines Lebens hat einen festen Platz in meinem Herzen und wird dort auch immer sein.
10 Jahre sind vergangen, wir haben das Jahr 2020, ein kleiner Teil meines Herzens hat sich wieder geöffnet, Menschen und Nähe wieder zugelassen.
Ich bin nicht verbittert, nicht mehr unglücklich, meine gesamte Lebenseinstellung hat sich geändert.
Andere Erlebnisse sind hinzugekommen, die jetzt auch wieder zu Erinnerungen geworden sind, dafür bin ich sehr dankbar. Das Leben geht weiter und es ist einfach toll in seiner Vielfalt und sehr sehr lebenswert.
Ich kann endlich wieder laut und glücklich sagen:
"Weißt du noch..."
und ich bekomme wieder eine Antwort, die dann heißt:
"Oh jaaaaa ich weiß es ..."
Copyright by Deamluna am 16.01.2020