Sommerabend
Ich sitze seit langem mal wieder auf der Terrasse. Es war heiß heute. Wohl der wärmste Tag des Jahres in Berlin bisher. Jetzt aber nicht mehr, es ist schon nach 20.00, gut auszuhalten. Die Sonne verschwindet allmählich hinter den Bäumen. Diffuses Licht. Gegessen habe ich schon.Zeit den Männerabend einzuläuten. Eine Flasche San Pellegrino, ein Glas D.O.M. Benedectine, eine Montechristo und ich. Wir sind also zu viert. Als ich den Zigarrenbohrer ansetze, drehe und herausziehe, bröseln mir einige Tabakstückchen entgegen. Hmh. Woher habe ich eigentlich dieses exklusive Edelstahlinstrument in seiner kleinen, eleganten Lederhülle? Verwendet heute fast niemand mehr. Muss wohl ein Geschenk gewesen sein. Sei´s drum. Ich entzünde die Zigarre mit einem Zedernholzspan. Die Zigarre zieht noch ganz brauchbar, obwohl sie zu trocken ist. Ich rauche zu wenig und deshalb vernachlässige ich den Humidor sträflich.
Die milde Abendluft ist seiden. Links von mir auf dem Terrassengeländer sitzt eine Amsel, legt den Kopf auf die Seite und sieht mich irritiert an. Ich weiß, ich sitze unerlaubt in ihrem Revier und tue auch noch so, als sei das normal. Zeternd und einigermaßen widerwillig räumt sie das Feld, flattert davon, sichtbar verärgert.
Gewonnen! Ich breite mich also aus. Lege die Füße auf einen zweiten Terrassensessel, ziehe an meiner Zigarre und rüge mich gedanklich wegen meiner mangelnden Disziplin in der Wartung des Humidors. Im inneren Dialog gelobe ich künftig Besserung an den Tag zu legen.
Mal abwarten, ich kenne mich. Die Zigarre schmeckt ja trotzdem. Halbwegs.
Damals, als Präsident Clinton wegen Sex mit seiner Praktikantin Lewinsky angeklagt wurde, ging aus den Gerichtsakten hervor, dass er, so wie er es geschworen hatte, keinen Sex mit ihr gehabt hat. Na ja, Amerika eben, alles eine Frage der Definition. Im Prozess stellte sich nämlich heraus, dass er sie zumindest nicht gefickt hatte, daher auch kein Sex. Logisch.
Er hatte ihr im Ovaloffice lediglich seine Zigarre in die Fotze gesteckt, langsam gedreht, in ihrer nassen Spalte das Mundstück seiner Zigarre ordentlich angefeuchtet und sich dann beim genüsslichen Rauchen des so veredelten Rauchwerks von ihr einen blasen lassen. Alles was recht ist, ein klarer Fall, Sex war das nun wirklich nicht. Eher so eine Art Rohrbesprechung oder persönlicher Anleitung im Rahmen ihres Praktikums. Sehe ich auch so.
Nach einer einigermaßen glaubhaften Erhebung kaprizieren sich die Mädchen auf den amerikanischen High-Schools gerne darauf ihren männlichen Mitschülern den Schwanz zu lutschen, aber eben nicht mit ihnen zu ficken. Dies ermöglicht es ihnen, auf Nachfrage ihrer Eltern, ob sie denn schon Sex hatten, wahrheitsgemäß zu verneinen. Gelobtes Land. Nun ist Amerika keinesfalls für seine Doppelmoral bekannt, aber ungeachtet dessen, diese Definition hat irgendwie was.
Ich nippe an meinem Benedictine, ziehe an meiner Zigarre, die, ich erwähnte es beiläufig, infolge unsachgemäßer Lagerung etwas zu trocken war und dachte bei mir, dass ich jetzt auch gerne ein wenig Nichtsex haben würde.
Infolgedessen eine feuchtere, angenehm aromatisierte Zigarre in der einen Hand, den Likör in der anderen zu haben und mir genüsslich einen blasen zu lassen, während ich rauche, wäre OK. Ein Privileg, das nicht nur amtierenden Präsidenten vorbehalten bleiben sollte.
Heute Abend bleiben wir wohl allein, wir vier. Monica Lewinsky ist außer Dienst und irgendwas Subbiges in der Art ist heute gerade mal nicht da. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben, beschließe ich und setze den Plan ganz nach oben auf meine todo-Liste für den Sommer. Ich danke der amerikanischen Prozessordnung, da ich nicht sicher bin, ob ich alleine ohne die Veröffentlichung der Gerichtsakten auf diese hübsche Idee gekommen wäre und proste Mr. Clinton zu. Und da heißt es immer, Präsidenten würden als Vorbilder versagen. Nicht unbedingt, wie ich finde. Gute Ideen sind es wert kopiert zu werden.
Während ich meine Montechristo weiterrauche, schaut die Amsel noch mal nach dem Rechten und nimmt frustriert zur Kenntnis, dass ich immer noch unerlaubt auf ihrer Terrasse sitze. Weg.
Die Sonne ist inzwischen fast untergegangen, langsam wird es frischer, die ersten Fledermäuse drehen ihre Runden auf der Suche nach Insekten, der Vogelgesang ist längst verstummt.
Ich ziehe mein Tagesfazit. Der Humidor braucht mehr Aufmerksamkeit, ich mehr Disziplin und ich habe die Aufgabe für solche Abende konsequenter an geeignetem Damenbesuch zu arbeiten. Beim nächsten Mal brauch´ ich ´ne Praktikantin oder was ähnliches.
Sollte letzteres gelingen, kann ich Punkt eins ja wieder streichen. Dann kriege ich die Zigarre ja auch anders feucht. Im Humidor finden sich noch genug überlagerte Zigarren, daran soll es nicht scheitern.
Nun ist die Zigarre aber erloschen, ich habe zu viel nachgedacht und zu wenig gezogen. Also packe ich meinen Kram zusammen und gehe ins Haus.
Im Augenwinkel sehe ich noch eine Bewegung. Die Amsel erobert blinzelnd ihre Terrasse zurück.
© Pibro 6/20 & 09/21