Kürbissuppe
Ein Tag ohne Pausen und zum Abend hin Nieselregen, Windböen, Einreihen in stockenden Verkehr der Stadtautobahn, Liegenbleiber, die mit Warnblink auf Abschleppdienste warten und Schlaglöcher, Spursperrungen. Hinter mir löst ein LKW die Höhenkontrolle der Tunnelüberwachung aus, ich sehe es noch im Rückspiegel; zum Glück erst hinter mir und so fahre ich trotz der sofort einsetzenden roten Verbotslichter weiter. Die letzten fünf Kilometer Landstraße ergeben freie Fahrt, verlangen aber konzentrierte Blicke auf den Straßenrand wegen Tieren im Dunkel der paar strauchigen Meter bis zur dichten Waldwand. Als ich durch die Einfahrt auf das Haus zufahre, sehe ich Licht im Wohnzimmer und in der Küche. Es gibt einen kleinen, hellen Flecken Himmel, vor dem ich den Rauch aus dem Schornstein erkenne. Der Kamin muss schon lange an sein, die Fahne ist dünn. Ich stelle den Wagen in die Garage, bin steif beim Aussteigen, muss nicht auf die Uhr schauen, es waren 12 Stunden wie immer. Beim letzten Gedanken an die Liegenbleiber und Schlaglöcher in den zurückliegenden, harten Verhandlungen im Betrieb befürchte ich, zu fremdeln, wenn wir uns jetzt gleich gegenüber stehen. Mein Nacken ist hart wie ein Brett, deine Finger werden ihn nicht weichbekommen, nicht mit einem Mal.Kurz darauf im Flur mag ich, wie es nach Essen duftet, etwas Frugalem und einer feinen Würznote. Ich sehe deine Stiefel und auch die Tasche mit Übernachtungssachen steht dort. Ich lasse mir Zeit mit dem Ausziehen der Schuhe und dem Aufhängen des Mantels, biege in die Küche ein, obwohl ich dich im Wohnzimmer vermute. Der Topf auf dem Herd weckt meine Neugier und löst einen Automatismus aus, ich nehme einen Löffel und koste. Es ist Kürbissuppe, sie ist nicht mehr ganz heiß, mir ist sofort nach mehr, drei weitere Löffel voll nehme ich. Frisches Brot hast du auch mitgebracht. Und du hast mein Frühstücksgeschirr abgewaschen, das ich auf der Arbeitsplatte hatte stehenlassen.
Überall ist es schon warm, die Heizung ist hochgedreht und im Wohnzimmer empfängt mich eine andere Wärme, die des Kamins und der Duft des Holzbrandes, während ich an der Bücherecke vorbei gehe, deren Beleuchtung das einzige elektrische Licht ist, das du hier angemacht hast, der Esstisch mit den Stühlen dunkel bleibt und es erst wieder im Bereich des Kamins und der Sofas das kurzwellige, rotgoldene Licht der Flammen hat. Du liegst in der Sofaecke, die am weitesten vom Kamin entfernt ist, hast dir die karierte Wolldecke geholt, du schläfst. Wie schön du bist, ich stehe vor dir und betrachte dich, obwohl das blonde Haar dein Gesicht fast vollständig verbirgt und die Decke bis an dein Kinn heran reicht, denn ich benötige das Bild gar nicht, ist alles tausendfach abgespeichert. Ich will dich berühren, lasse es aber, ich denke, du brauchst den Schlaf. Es macht mich ruhig, dich hier zu haben, wir haben viel Zeit. Ich sehne mich danach, deine Wärme zu spüren und deine Stimme zu hören. Auf dem Tisch liegt Der Stechlin von Fontane, ich nehme an, es war Zufall, dass du ihn gegriffen hast, daneben dein Halsband. Gestern habe ich endlich die Lederlochzange in einem Werkzeugkoffer gefunden. Nun kann ich es enger machen, worüber wir zuletzt sprachen, wie auch über die Tiefe unserer Gefühle für einander. Die Zukunft, das Glück.
Wenig später, mit dem Decken des Tisches, wirst du wach. „Hey“, sagst du leise, bleibst dabei liegen und hältst die Decke fest unter das Kinn geklemmt und ich antworte ebenso leise mit „Hey“, während ich die Löffel neben die Suppenteller lege und dich anlächle. Mehr reden wir nicht, ich entschwinde erneut in die Küche, um den Barbera, den ich diesmal habe ausreichend atmen lassen, damit er trinkbar wird und zwei Gläser zu holen, dann endlich bei dir sein zu können. Ich gieße ein, stecke die Suppenkelle in den Topf und setze mich in den Sessel dir gegenüber an der anderen Tischseite. Du stehst auf, legst die Decke zusammen und kommst zu mir herüber, setzt dich auf meinen Schoß, wir umarmen uns lange, bis du nach deinem Glas reichst und einen Schluck trinkst. Deine Mimik bringt mich fast zum Losprusten, weil er offensichtlich immer noch nicht schmeckt. Du schiebst deine Hand unter meinen Hemdkragen, berührst meinen Nacken und löscht damit jedes unliebsame Erinnerungsbild an diesen Tag und an eine verquere Woche einfach aus. Ich denke über Sex und ein bisschen zärtliches Spanking noch vor dem Essen nach und quäle mich mit weiteren guten Ideen für die nächsten Tage, Besuche im Keller unbedingt. Dann endlich küssen wir uns, sind eng umschlungen.
m.brody
2019