Ich schau Dir in die Augen, Kleines!
"Ah, schön, dass Du da bist.Etwas zu früh, aber besser als zu spät. Wie sonst. Aber ich sehe Du hast mir wieder keinen Kaffee mitgebracht."
Er runzelt in aufgesetzer Empörung die Stirn.
"Na, egal. Setz Dich da hin. Ich kümmere mich gleich um Dich."
Ich habe dennoch ein schlechtes Gewissen und druckse rum, aber er schenkt mir keine Beachtung.
Ich sortiere mich, nehme noch einen grossen Schluck von meinem Latte Macchiato. Dann stelle ich ihn beiseite und setze mich auf den mir zugewiesenen Platz.
Ich weiss nicht so recht was ich nun, ohne Kaffeebecher, mit meinen Händen anfangen soll. Ich lege sie in den Schoss und sehe ihm zu.
Er hat mir den Rücken zugewendet und ist konzentriert am arbeiten. Woran kann ich nicht erkennen, aber fasziniert beobachte ich das Spiel seiner Oberarmmuskeln durch sein helles Hemd.
Abrupt dreht er sich um. Sieht, dass ich ihn beobachte.
Mir wird warm.
Zum Wegsehen ist es jetzt zu spät.
Er lächelt.
Dann steht er auf und kommt direkt auf mich zu. Er zieht einen Rollhocker hervor und setzt sich mir gegenüber.
Er ist sehr nah.
"Na dann wollen wir mal anfangen."
Seine warmen Augen sehen tief in meine.
Mir wird noch wärmer und ich rutsche ein wenig hin und her.
Er beachtet mich nicht, sortiert etwas auf dem kleinen Tischchen neben mir.
"Jetzt wird es ernst. Konzentrier Dich.
Hampel nicht so rum.
Sitz bitte gerade und konzentriere Dich auf die Aufgabe."
Das war etwas forsch. So kenne ich ihn gar nicht.
Ich unterdrücke den Impuls meine Beine zusammen zu pressen und mich auf meinem Platz zu winden.
Ich setze mich aufrecht hin und versuche mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren.
Wie angewiesen sehe ich stur geradeaus.
Er probiert aus.
Testet sich durch seine Sammlung.
"Das gefällt dir?"
"Hmmm..."
"Antworte bitte klar mit "ja" oder "nein"."
Huch! Das hatte ich nicht erwartet.
Ich schlucke eine Antwort runter.
"Ja."
Er nickt kurz.
"Gut. Machen wir weiter.
Das hier findest du nicht gut."
"Nein."
"Das auch nicht."
"Nein."
"Wusste ich's doch!
Aber das ist besser."
"Ja."
"Und das ist nicht gut."
Ich reisse überrascht die Augen auf. Ich bin verwirrt. Woher wusste er das?
"Nur ruhig lass mich machen."
Er testet weiter.
Nüchtern.
Akribisch.
Ich fühle mich ein wenig wie ein Wissenschaftsprojekt
Und das gefällt mir.
"Das ist jetzt anstrengender für Dich?"
"Ja."
Ich kneife etwas die Augen zusammen.
"Entspann dich!"
Er duldet keinen Widerspruch.
"Das hier ist besser, nicht?"
"Ja."
"Siehst Du? Ich weiß was ich tue."
Ein arrogantes Lächeln umspielt seine Mundwinkel.
Ich starre ihn an.
Sprachlos.
"Ich sagte doch dass es Dir damit besser geht."
Die Hährchen auf meinen Armen stellen sich auf.
Ich möchte ihn anfassen, aber ich beherrsche mich.
Ich schätze Kompetenz. Sehr. Die natürlichste Form der Dominanz.
"Und weiter."
Er reißt mich aus meinen Gedanken.
Er probiert weiter.
Ich kann seiner Logik nicht folgen, gebe weiter "ja"- und "nein"-Antworten ohne darüber nachzudenken. Nicht zerdenken. Einfach machen. Sehen. Fühlen.
Ich mag seine Nähe.
Und wie er mich ansieht.
"Und schon sind wir fertig."
Ich bin fassungslos.
Ich stehe auf. Greife nach meinem Kaffeebecher. Ich brauche etwas, an dem ich mich festhalten kann...
Reiß dich zusammen!
Er ist dein Optiker.
Er macht nur seinen Job.
Es war nur ein verdammter Sehtest.
...aber die Gedanken sind frei.
Und es war so eine schöne Fantasie.
Ich bin mir nichtmal so sicher, dass sie einseitig war.