Luxussommer
Immer wenn ich aus dem Küchenfenster schaute, blieb mein Blick an der roten Göttin hängen. Sie hatte die besten Jahre hinter sich, der Lack war zerkratzt und zum größten Teil verblasst. Die Reifen waren einseitig abgefahren und die Fensterheber funktionierten nicht. Mit etwas Glück bekam man in weniger als fünf Minuten den Kofferraum auf. Du und ich, wir liebten diesen Wagen.Wir waren noch nicht lange zusammen und führten eine Fernbeziehung. Du hattest kein Auto und wohntest in einer viel zu kleinen Wohnung, also habe ich Dich an den Wochenenden abgeholt. Mit der roten Göttin. Im Sommer. Ohne Klimaanlage und mit geschlossenen Fenstern. Drei Stunden pro Fahrt. Es schien alles so unwirklich. Ich hatte mich gerade getrennt, nach 12 Jahren Ehe. Getrennt von Haus, Baum, Bausparkasse, Sonntagsbraten und Konformität. Getrennt von Garten, Smoker und dahinsiechender Unzufriedenheit. Ich hatte alles hinter mir gelassen und fühlte mich schuldig. Schuldig, dass ich jemanden verletzt hatte. Schuldig, dass ich nun schon wieder Glück empfand. Glück, weil ich auf mein Herz gehört hatte. Glück, weil mir bewusst geworden war, was neben all meinen Gütern und in meinem abgesicherten Leben all die Jahre fehlte: Du.
Ich erinnere mich, wie ich Dich damals abholte, an jenem Freitag im Sommer. Wir schwitzten beide, die Fensterheber.... Ich streichelte Deinen Arm, Du fingst fast an zu weinen. Erschrocken fragte ich, was los sei. „Es ist nur so schön, berührt zu werden“, sagtest Du. Ich genoss Dein Schnurren, wenn ich Dich streichelte, und es tat mir weh zu hören, wie sehr Du Dich all die Jahre danach sehntest, von einem Mann auf diese Art und Weise berührt zu werden. Wir sangen die Lieder im Radio mit, hofften, dass das Auto bis zu Hause durchhielt, rauchten, scherzten, lachten, weinten. Ein Instant-Road-Trip, ein kurzer Ausbruch aus dem Alltag. Die Welt war in diesen Momenten vollkommen. Der Schmerz war weg.
So wie die rote Göttin war auch meine neue Wohnung. In die Jahre gekommen, verlebt, zweckmäßig am Leben gehalten. Es stand nicht viel darin. Die Küche bestand lediglich aus einem Kühlschrank und ein paar Umzugskartons. Einen Herd hatte ich nicht, gekocht wurde mit dem Campingkocher auf dem Balkon. Im Wohnzimmer standen ein alter Holztisch mit vier Stühlen, aus einer Wohnungsauflösung im Altenheim, ein riesiger alter Röhrenfernseher, mein Angelstuhl und ein Bücherregal. Im Schlafzimmer standen ein alter hässlicher Kleiderschrank (aus besagtem Altenheim), eine alte Kommode mit einem großen, fast blinden Spiegel und ein hässliches, kaputtes 90er-Jahre Doppelbett mit einer alten Matratze. An unseren gemeinsamen Wochenenden lag die Matratze immer im Wohnzimmer auf dem Boden, damit wir zusammen fernsehen konnten.
An jenem Samstag hatte ich Frühdienst. Ich schaute auf mein Handy und sah, dass Du mir ein Bild geschickt hattest. Ich öffnete den Messenger und las lächelnd Deine Nachricht. Schon wieder spürte ich dieses verdammte Kribbeln zwischen meinen Beinen, wie so oft, seit ich Dich kennengelernt hatte. Du hattest mir ein Bild von Deiner rasierten Feige geschickt, darunter hattest Du geschrieben: „Ich warte auf Dich!“ Musste ich dafür wirklich erst über dreißig werden? Ich fühlte mich wie ein verliebter Teenie, der seine ersten sexuellen Erfahrungen macht. Du hattest mir in den wenigen Wochen, die wir miteinander verbracht hatten, schon so viele neue Eindrücke beschert. Durch Dich lernte ich Sex in einer völlig neuen Dimension kennen. Ein wenig schämte ich mich dafür, denn ich kam mir plötzlich so klein und unerfahren vor. Wir tauschten ein paar schmutzige Gedanken aus, ich schrieb Dir, wie geil es wäre, wenn Du mich an der Wohnungstüre nackt, mit einem kalten Bier in der Hand, empfangen würdest.
Ich machte mich zwischenzeitlich wieder an die Arbeit. Am Wochenende gab es im Dienst glücklicherweise nicht so viel zu tun. Die Euphorie unseres Schreibens wich der Ernüchterung, dass auch dieses Wochenende zu Ende gehen musste. Ich hasste die Tage, an denen ich Dich nicht sah. Wir wurden beide unausstehlich. Wir kannten uns noch nicht lange, aber wir konnten nicht mehr ohne einander. In den paar Wochen seit unserem ersten Treffen haben Du und ich mehr gestritten als ich zuvor in zwölf Jahren Ehe. Nein, wir waren nicht nur im Bett leidenschaftlich.
Nach der schnellen Dienstübergabe schwang ich mich in die rote Göttin und fuhr zu meiner Wohnung. Zu Dir! Die Sonne hatte den alten Wagen ordentlich aufgeheizt, ich begann sofort zu schwitzen und hätte mir kühlenden Fahrtwind gewünscht. Aber die Fensterheber... Zum Glück wohnte ich nicht sehr weit von der Dienststelle entfernt und ich kam rasch zu Hause an. Als ich den Schlüssel in die Wohnungstüre stecken wollte, öffnetest Du sie bereits. Dein Anblick verschlug mir den Atem, das Blut schoss mir wieder in die Lenden. Du standest dort nackt, schelmisch lächelnd, mit einem eiskalten Bier in der Hand. Es war wie im Traum, ich nahm Dich in den Arm, spürte Deine heiße Haut an mir, wir küssten uns leidenschaftlich. Du hast mir tief in die Augen geblickt und mir zugeraunt: „Los, fick mich!“
Du musstest schmunzeln, denn mein Gesicht schien einen recht ungläubigen Ausdruck anzunehmen. „Du hast richtig verstanden.“ Ich hatte richtig verstanden. Wir stürmten ins Schlafzimmer, aber das Bett war nicht unser Ziel, denn die Matratze lag im Wohnzimmer. Du hattest Dich vor die Spiegelkommode gestellt und mir herausfordernd Deinen geilen Hintern entgegengestreckt. Ich stellte das Bier ab, öffnete den Reißverschluss meiner Hose und befreite meinen Schwanz. Zu meiner Überraschung und meinem Entzücken warst Du bereits mächtig feucht, ich glitt von hinten in Dich hinein, Dein lautes Aufstöhnen verursachte ein Beben in meinem ganzen Körper. Mein Hemd war bereits durchgeschwitzt, meine Krawatte war im Weg, die Knie schmerzten und der Zipper vom Reißverschluss stach unangenehm in meine Eier, aber das war mir in dem Moment alles egal. Ich umschloss fest Deine Hüften und stieß wie ein Wilder in Dich hinein. Dein Anblick, Dein Spiegelbild, die Geräusche, die Hitze, die Leidenschaft des Augenblicks, ich explodierte in Dir und schrie meine Lust aus mir heraus. Ich, der Leiseficker, der Gott der Missionarsstellung, die personifizierte Schüchternheit...
„Los, zieh Dich aus“, sagtest Du lächelnd, „Dein Bier wird warm!“ Ich warf meine durchgeschwitzte Uniform in die Wäsche und ging duschen. Was war gerade geschehen? Ich erlebte die Welt um mich herum wie in Trance. Aber es war real. Ich trocknete mich ab und ging in die Küche, um unser Essen aus dem Kühlschrank zu holen. Ich sah aus dem Fenster, und mein Blick fiel auf die rote Göttin.
Einige Monate zuvor hatte ich in meinem eigenen Garten gesessen, Craftbeer getrunken, teures Fleisch auf einem noch teureren Grill zubereitet. Nun saßen wir auf diesem kleinen Balkon des Miethauses, mit einem alten Elektrogrill, Putenfleisch und Billigbier aus dem Discounter. Es fühlte sich immer noch nach Road Trip an. Wir sangen laut und schief, während ich meiner alten Gitarre ein paar Akkorde entlockte. Immer wieder trafen sich unsere Blicke während wir lachten, tranken, aßen, sangen, lachten, träumten und weinten. Uns wurde bewusst: Wir waren die reichsten Menschen der Welt.