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Du bist ein Mensch, kein Rorschach-Test

*****olf Mann
3.042 Beiträge
Themenersteller 
Du bist ein Mensch, kein Rorschach-Test
Antoine du Saint-Exupéry hat gesagt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Bernd Stromberg hielt dagegen: „Das ist natürlich Quatsch, man sieht nur mit den Augen gut.“ Die Wahrheit liegt wohl wie überall in der Mitte. Und im Auge des Betrachters.

Für mich bist Du die schönste Frau der Welt. Ich bin verliebt in Deine Augen, die Form Deiner Lider, Katzenaugen sage ich, Schweinchenaugen konterst Du. „Ach Honey, alles nur Makeup“, sagst Du verschämt. Deine Makeup-Skills sind unbestritten und ich finde es heiß, wie Du Deine Augen betonst. Wie Du gefühlt stundenlang vor dem Spiegel sitzt und Deine neuen Paletten, Lidstriche, Liner testest. Wie Du täglich ein temporäres Kunstwerk erschaffst, einen Traum auf Zeit. Doch… das wahre Kunstwerk liegt darunter verborgen. „Guck mich nicht so an, ich bin nicht geschminkt“, sagst Du, als Du Dein Gesicht ins Kissen vergräbst. Doch, mein Herz, Du bist wunderschön. Die leichte Heterochromie Deiner Augen verzaubert mich. Wie sähe der Wald aus, wenn alle Blätter die gleiche Farbe hätten? Es wäre eintönig. Langweilig. Fad. Das Leben wird durch verschiedene Farben vielleicht bunt, aber Tiefe erhält es durch die Variation der einzelnen Farbe. Ich liebe diese kleine goldbraune Mini-Supernova auf deiner graublauen Iris.

„Ich lächle nicht so gerne mit offenem Mund, ich hab schiefe Zähne“, sagst Du verschämt und boxt mich in den Arm. Du bist kein Rorschach-Test, mein Herz, Du bist ein Mensch. Der linke Schneidezahn ist etwas präsenter als der Rechte. Schief? Nein, Deine Zähne sind gesund und in Ordnung. Ich liebe es, wenn Du lächelst und Deine Nase kraus ziehst. Es sieht so unfassbar süß, fast kindlich aus. Symmetrie ist künstlich. Es gab diese Studien mit den gespiegelten Gesichtshälften, erinnerst Du Dich noch? Diese Bilder wurden von den Versuchspersonen als attraktiver wahrgenommen. Ich fand die Bilder suspekt. Sie lösten in mir nichts aus. Dein Lächeln, Dein Zähnchen, Dein krauses Näschen lösen Gewaltiges in mir aus. Überhaupt Deine Nase. „Ich hätte gerne den Höcker weg, meine Nase ist schrecklich!“ Ich glaube, als Du es zum ersten Mal zu mir sagtest, bin ich dreimal um Dich herum gegangen, um herauszufinden was Du meintest. Ich bemerkte die fast unmerkliche Wölbung, die niemandem auffallen würde, machtest Du ihn nicht darauf aufmerksam. Ich liebe Deine Nase, ich liebe es, wenn sie meine Nase berührt, wenn sie meine Wange streichelt.

Es brach mir das Herz, als Du mir damals die Flecken an Deinem Bauch zeigtest und mich fragtest: „Willst Du mich damit überhaupt haben?“ Es hat mir fast den Boden unter den Füßen weggerissen. Natürlich will ich Dich haben! Ich will Dich mit all Deinen Flecken, Narben und Besonderheiten, denn all das macht Dich zu dem Menschen, den ich so sehr liebe! Mein Herz, wenn wir durch die Stadt gehen, bleiben wir vor dem Neubau stehen? Staunen wir über die glatte, saubere Fassade? Imponieren uns die glänzend neuen Ortbleche? Nein! Wir bleiben vor den Häusern mit Geschichte stehen, nicht vor den Ruinen, vor den Häusern, die gelebt haben und immer noch leben. Die von ihren Besitzern geliebt, gepflegt und bisweilen auch repariert werden. Wir lieben den Efeu, der die Häuser umrankt, obwohl wir wissen, dass er Spuren hinterlässt. Wir lieben die schiefen Fenster in den Fachwerkhäusern, wir lieben die liebevollen Details und Spuren, die über die Jahrhunderte hinzukamen.

Wir beide lieben nicht das Perfekte, Neue, Makellose. Wir lieben Menschen und Dinge, die Geschichten erzählen. Und Du, mein Herz, hast und bist Deine eigene Geschichte und ich bin froh, dass ich in ihr vorkomme. Du bist perfekt unperfekt. Wir lernten unsere Seelen kennen, bevor wir uns zum ersten Mal trafen. Darin habe ich mich verliebt. Als Du dann vor mir standest, in dem warmen Nieselregen auf der einsamen Dorfstraße, da traf es mich wie ein Donnerschlag. Nicht nur Dein Inneres ist wunderschön. Du bist es auch von außen.

Du findest Dich an manchen Stellen zu dick, überall siehst Du Verbesserungsbedarf. Ich kenne das, man selbst geht mit sich oft viel härter ins Gericht als mit Anderen. Ich liebe diese Momente, wenn Du Dich für die Badewanne fertig machst, wir noch herumblödeln und Du eine kleine alberne Tanzeinlage zum Besten gibst. Für einen kleinen Augenblick bist Du frei und stehst zu Dir, für einen kleinen Augenblick liebst Du Dich selbst. Und wenn ich im Leben einen Wunsch frei hätte, dann wünschte ich, Du könntest Dich nur für die Dauer eines Wimpernschlages durch meine Augen sehen. Du würdest sofort verstehen, was für eine attraktive, umwerfende und bildschöne Frau Du bist.
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