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Die nächste Generation

********lara Frau
6.493 Beiträge
Themenersteller 
Die nächste Generation
Brombeerranken und Efeu haben sich seiner bemächtigt. Moos und Pflanzen, die man gemeinhin als Unkraut bezeichnet, sprießen überall dort, wo der Wind aus Staub und Unrat einen kargen Nährboden für neues Wachstum geschaffen hat. Baumwurzeln sprengen sich durch den Asphalt. Die Natur erobert das zurück, was ihr die Industrie in der Mitte des letzten Jahrhunderts entrissen hat.
Einen schmalen Trampelpfad gibt es nur noch durch diesen feindlichen Dschungel, wo einstmals eine breite Einfahrt war.
Scherben, zerfledderte Plastiktüten, alte Autoreifen, ein offen stehender, rostiger Kühlschrank, in den irgendein Scherzkeks einen schmutzigen Plüscheisbären gesetzt hat.

Das aufgegebene Gebäude - ein Ort der immerwährenden Dunkelheit. Niemand bezahlt mehr den Strom, die Leuchten sind zerschlagen oder abmontiert. Viele der großen Fenster sind mit Mauersteinen verschlossen, die restlichen sind so schmutzig oder zugewuchert, dass auch Tageslicht nur einen kaum wahrnehmbaren Unterschied im Inneren bewirkt.
Regen, Eis, Wind und die grelle Sonne nagen stetig an den Betonwänden.
Das große, stählerne Tor ist schon lange verschwunden, genauso wie alles andere Demontier- und Wiederverwertbare. Vermutlich bei Nacht und Nebel auf einen klapprigen Laster geladen und über irgendeine dunkle Grenze geschmuggelt.
Ein Zaun umgibt ohnmächtig das Gelände. Die Gestalten, die es zu dem, dem Verfall preisgegebenen, Mauerwerk treibt, verschaffen sich ohnehin Zutritt. Meist mit einem einfachen Seitenschneider.

Auch ich habe heute Abend eine Verabredung in einem der leerstehenden Räume. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich an diesem unheimlichen Ort bewege. Ich habe den ungefähren Grundriss im Kopf, aber meine Lady hat mir nicht verraten, wo genau sie auf mich wartet. Sie will, dass ich sie suche. Ist das nicht kindisch? Wir wollen beide doch nur das eine, warum also Zeit mit Versteckspielen verschwenden? Leichter Groll steigt in mir auf.

Ich sehe schon von weitem durch das große, eckige Loch, das einmal ein imposantes Tor war, Licht und sich bewegende Schatten in der Halle. Irgendwo klingt das Summen eines Generators. Leise betrete ich diese Parallelwelt. Ich bleibe im Dunkeln, drücke mich an die steinerne Seite. Beobachte den Fotografen, der seinem Modell Anweisungen gibt. Die Scheinwerfer beleuchten eine schlanke Rothaarige, die vor den bunten Graffitis an der Wand posiert. Sie trägt nichts als eine schwarzglänzende Corsage und ebensolche kniehohe Stiefel.
Nach einer Weile erkenne ich, was das Geschmiere hinter ihr darstellen soll: Ein überdimensionaler Phallus. In Neongrün - was sonst? Rein farblich ein interessanter Kontrast zu ihren leuchtend roten Haaren und ihrer elfenbeinfarbenen Haut.

Aber mich treibt es weiter. Mein Großvater hat mir von den riesigen, stampfenden Maschinen erzählt, die einst in der nun verwaisten Halle standen. An manchen Stellen kann man die Verfärbung des Betonbodens durch das Maschinenöl erahnen. Teile des Dachs sind herabgestürzt, deshalb gehe ich lieber an der Wand entlang. Überall liegt Unrat. Eine Matratze, die kaum mehr als solche zu erkennen ist. Daneben im Kreis liegende Steinbrocken, in deren Mitte verkohlte Holzstücke. Zerschlagene Schnapsflaschen. Da hat wohl jemand eine Party gefeiert, was ich auch aus den leeren Chipstüten folgere.

Ich erreiche endlich die Reihe leerstehender, ehemaliger Büroräume, in denen schon lange kein Telefon mehr klingelt und keine Schreibmaschine klappert. Vorsichtig luge ich um die Ecke durch den türlosen Eingang. Ein unangenehmer Geruch steigt mir in die Nase. Ich muss mich konzentrieren, damit ich mich nicht übergebe. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, sehe ich den menschlichen Körper, der auf mehreren Lagen Pappkarton leise vor sich hin schnarcht. Die schwach glitzernde Pfütze vor seinem Gesicht erklärt die widerliche Duftnote.

Rasch husche ich zum nächsten Büro: Nichts. Nur Schutt und Dreck.

Im dritten Zimmer nehme ich flüsternde Stimmen wahr. Es scheinen zwei Männer und eine Frau zu sein. In der glimmenden Glut einer Zigarette kann ich erkennen, wie der eine Mann die Frau von hinten fickt. Es riecht nach Schweiß und nach Sex.
Ich scheine nicht der einzige zu sein, der gerne ein erotisches Rendezvous an einem solch verkommenen Ort hat. Ich bin unauffällig; weiß mich so zu bewegen, dass keiner mich wahrnimmt. Das ist von immensem Vorteil, wenn man sich in ein solches Umfeld begibt.

Drei Räume muss ich noch erkunden. In welchem erwartet mich wohl meine Liebste? Oder ist sie womöglich auf die Empore geklettert? Gibt ihr diese Gefahr des Absturzes einen zusätzlichen Kick? Ich suche mit meinen Augen die Dunkelheit am Ende der Fabrikhalle ab - sinnlos. Nichts zu erkennen von hier aus. Das Gebrumme des Generators macht es unmöglich, nach Geräuschen wie Atem oder Bewegungen zu lauschen.

Also weiter der Reihe nach. Wieder ein leeres Büro, erstaunlich sauber, soweit man es erkennen kann. Ich stoße gegen eine herumliegende, leere Glasflasche. Sie rollt eiernd mit leisem Geklirr bis zum nächsten Betonbrocken und bleibt dort liegen. Ich verharre regungslos. Halte die Luft an. Hat das jemand gehört außer mir? Ich will von niemandem entdeckt werden.

Soll ich den vorletzten Raum einfach links liegen lassen? So wie ich meine Lady kenne, ist sie bestimmt im hintersten Büro. Dennoch werfe ich einen Blick hinein. Schemenhaft erkenne ich zwei Jugendliche. Sie sitzen Schulter an Schulter auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt. Ich rieche Gras. Die beiden rauchen einen Joint. Er wechselt nach jedem Zug in die Hand des anderen. Ist es vielleicht ihr erstes Mal?
Sie werden uns jedenfalls nicht stören.

Ich schleiche zu dem einzig verbliebenen Eingang. Ein verschmutzter Spiegel reflektiert das Licht des Fotografen und lässt meine Diva wie im Scheinwerferlicht stehen. Endlich habe ich sie gefunden. Was für ein Weib! Bei ihr ist alles an der richtigen Stelle, und sie weiß, sich in Szene zu setzen. Nur kurz verharre ich in ihrem Anblick. Wer weiß, wie lange sie schon wartet, deshalb zögere ich nicht. Das Vorspiel ist von minimaler Dauer, bevor ich wie wild über sie herfalle und in sie stoße. Sie quiekt leise, als ich mein warmes Sperma tief in sie ergieße. Unmittelbar danach entwindet sie sich mir, schlägt ihre scharfen Zähne kurz in mein Ohr und rennt davon. Ich lasse sie ziehen, während sich ein Blutstropfen von der Bissstelle verabschiedet. Diese Schlampe! Und doch wird sie dazu beitragen, dass meine Gene überleben.
"Wir werden nie aussterben, denn wir verlassen immer rechtzeitig das sinkende Schiff", denke ich, bevor ich mich rasch von dem Gemäuer entferne und mich auf die Suche nach etwas Essbarem mache.



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