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Fokussierte Ohnmacht

********lara Frau
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Themenersteller 
Fokussierte Ohnmacht
Welch Bild! Jeder Fotograf würde sich darum reißen, dieses Szenario aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln abzulichten. Ein farbenprächtiger Sonnenuntergang, glitzernde Wellen, eine verfallene Mauer. Alleine das würde schon genügen, um Kalender und Postkartenständer zu füllen.
Auf dem höchsten Punkt des verbliebenen Mauerwerks sitzt jedoch - sie. Sie verdeckt den rot glühenden Feuerball wie eine undurchsichtige Sanduhr, und doch muss man die Augen schützen, um nicht geblendet zu werden.

Lange, gelockte Haare fließen über ihre Schultern; im Gegenlicht wirken sie schwarz, wie übrigens alles andere auch. Vom Wasser aus betrachtet haben sie ein flammendes Rot, das das ovale Haupt umschmeichelt und ihr etwas Majestätisches verleiht.
Ein Seefahrer sieht das Weib, das dem Spektakel der Vereinigung von Sonne und den kühlen Fluten des Meeres huldigt.
Der Feldstecher verrät ihm, dass sie ein schwarzes Kleid trägt, ärmellos. Die Arme seitlich auf den bröckeligen Steinen abgestützt.
Er sucht sich ein stärkeres Fernglas, welches ihm zeigt, dass sie die Augen geschlossen hält. Nachdem sein Blick durch die dicken Linsen lange über ihre wunderschönen Gesichtszüge geschweift ist, nimmt er das flackernde Lichterspiel ihrer Mähne wahr.

Die Faszination dieser roten Flammen hält ihn fest. Noch nie zuvor war ihm ein solcher visueller Genuss beschieden gewesen. Er nimmt das Fernglas herunter, kneift die Augen zusammen und schüttelt den Kopf. Hat er eine Halluzination? Er ist sehr müde, bald steht der Schichtwechsel an.
Er konzentriert sich erneut und sucht mit bloßem Auge die Bestätigung des Bildes, das er für eine Irreführung seiner Sinne hält.
Doch: Die Dame sitzt unverändert am Ufer, angestrahlt durch die leuchtenden Farben der fortschreitenden Abendstunde!

Der Seemann erinnert sich an alte Sagen, nach denen Steuermänner von verschiedenen Gestalten ins Verderben getrieben wurden und dadurch auch das gesamte Schiff mit Mann und Maus. Dieses Weib könnte durchaus eine solche Loreley sein.
Er muss nun doch lachen über einen solchen Aberglauben, aber die Untiefen vor diesem Küstenabschnitt sind berüchtigt, und er hofft, dass der Offizier, der den Frachter steuert, sich nicht von der rechten Bahn abbringen lässt.

Er kann sich jedoch nicht dagegen wehren, wieder durch die Linsen zu schauen, die ihm die Lichtergestalt näherbringen. Nur noch das Rädchen drehen, um das Bild scharf zu stellen. Erneut ist er geflasht von der Schönheit, aber diesmal reißt er sich los davon, denn er möchte nicht nur ihr Antlitz betrachten.
Sein Blick gleitet über ein verheißungsvolles Dekolleté und üppige Hügel, die allerdings unter schwarzem Stoff verborgen sind. Was das Gewebe jedoch enthüllt, lässt ihn unmittelbar eine schmerzhafte Enge in der Matrosenhose verspüren: Steif und aufrecht verlocken ihre Knospen.
Allein die Vorstellung, seine Finger um sie zu legen, bringt ihn zum Keuchen. Lange schon ist er auf See. Und eine ewig scheinende Woche wird es noch dauern, bis er seine Liebste wieder in die Arme schließen kann.
Ist es da ein Wunder, dass er so heftig auf den Anblick dieser Erscheinung reagiert?

Unfähig, das Fernglas herunterzunehmen, starrt er weiter auf das Abbild der Wollust, das sich ihm bietet.
Bald nimmt er eine Bewegung zu ihren Füßen wahr und versucht zu erkennen, was vor sich geht.
Ihm wird klar, dass seine Loreley nicht alleine ist. Eine männlich wirkende Figur kniet zwischen ihren Schenkeln auf dem steinigen Boden, und sie stellt die Füße auf dessen Schultern ab.
Der Kopf des Mannes verschwindet im Dunkel unter ihrem Kleid.
Der Seemann leckt sich über die trockenen Lippen - nach Meersalz schmecken sie. Wie wohl die feuchten Lippen schmecken, die der unbekannte Mann jetzt küsst?

Was er aber gleich darauf zu sehen bekommt, lässt seinen Atem stocken: Das Weib auf der Mauer, das er für sich längst Loreley getauft hat, stößt den Liebhaber mit den Füßen von sich weg - hat er ihr vielleicht wehgetan? Doch dieser Gedanke verpufft im nächsten Moment, als der Matrose beobachtet, wie der Mann rückwärts stolpert und hintüber die Felsen zum Meer herabstürzt. Er vermeint förmlich, den Schrei sowie den Aufprall zu hören, versucht erfolglos, den Körper ausfindig zu machen.

Schnell richtet er das Fernglas wieder auf seine Loreley. Diese sucht jedoch nicht aufgeregt nach ihrem Verehrer, sondern sitzt ungerührt im ins Violette wechselnden Licht.
Aufgeregt überlegt er, ob er Hilfe rufen soll, nachdem er offensichtlich Zeuge eines Mordes geworden ist, betrachtet aber wie hypnotisiert weiter die Szenerie am Strand.
Schockiert bemerkt er, wie sich erneut ein Mann zwischen die Schenkel der verhängnisvollen Schönheit begibt. Diesmal legt sie die Hand auf dessen Hinterkopf, augenscheinlich, um ihn gegen ihr Zentrum der Lust zu pressen.

Der Seemann schickt ein Stoßgebet zum Himmel, dass der Geschlechtsgenosse den Liebesdienst überleben wird. Zwecklos - nur wenige Sekunden später schon rudert dieser verzweifelt mit den Armen, um das Gleichgewicht zurückzuerobern, nachdem Loreley ihn von sich gestoßen hat. Schließlich gewinnt auch hier die Schwerkraft, und der arme Mann tritt seinen letzten Flug an.

Das Herz klopft dem Matrosen bis zum Hals. Diese Frau ist eine Serienmörderin! Das Glas erneut auf sie gerichtet, offenbart sich ihm der gleiche Anblick wie zuvor. Loreley sitzt in unveränderter Pose mit gespreizten Beinen auf dem Überbleibsel der Mauer, die einst Leute vor dem Absturz über die scharfen Felszacken in die schäumende Brandung bewahren sollte.
Er beobachtet den dritten Mann, der sich vor der meuchelnden Schönheit niederlässt.
Sind die alle verrückt geworden? Oder hypnotisiert? Sehen sie denn nicht, was da vor sich geht?

Er kann nicht anders - es ist unmöglich, den Blick von dem makabren Liebesspiel zu lösen. Auch dieser Mann taucht mit seinem Gesicht ab in die Tiefen der tödlichen Lust. Es geschieht zunächst - nichts!
Bei genauerem Hinsehen bemerkt der Matrose, dass Loreley die Finger um die Mauerkante krallt, den Kopf genüsslich in den Nacken legt. Bald schon beginnt ihr Unterleib spastisch zu zucken. Die Hände des Liebhabers umgreifen fest ihre Pobacken und er tut alles, um seine Geliebte auf dem Pfad zum Gipfel zu begleiten.
Als diese den Höhepunkt erreicht, schießt der erste Schwall ihres Liebessafts in dessen Gesicht. Der torkelt jedoch nicht erschreckt nach hinten in die Tiefe, sondern bleibt, wo er ist. Ob er die kostbare Flüssigkeit wohl trinkt oder nur an sich herabfließen lässt?

"Matrose!" Die befehlsgewohnte Stimme des Offiziers lässt den müden Seemann zusammenzucken. "Sind wir hier neuerdings beim Sightseeing?"
Ruckartig reißt er das Fernglas von den Augen, ist aber unfähig, seinen Vorgesetzten standesgemäß zu grüßen.
Dieser betrachtet ihn einen Moment erstaunt und fragt: "Haben Sie einen Geist gesehen?"
Die Gedanken des Matrosen drehen sich wirbelnd um die Frage, wie er glaubhaft von den Morden berichten könne.
Der Offizier fährt jedoch in milderem Ton fort: "Ihre Schicht ist ohnehin gleich zu Ende. Schlafen Sie sich mal richtig aus. Ab in die Koje!", und enthebt ihn so der Berichterstattung.

Ein letzter Blick zum Ort der Geschehnisse zeigt ihm einen kleinen, plätschernden Wasserfall unter der verfallenen Mauer. Ein vom Wind zerzauster Olivenbaum klammert sich gleich daneben an den kargen, steinigen Boden.
Die Sonne ist mittlerweile vollständig untergegangen und hinterlässt die Welt in kühlem Blau, wo kurz zuvor noch die Flammen gelodert haben.
Ein Kormoran löst sich von den Felsen und gleitet in die Dämmerung.




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