Edelstahllandschaften
Erst die Arbeit Noch war es ruhig. Stolz betrachtete sie ihr Reich. Weißgekachelt. Silberglänzend. Fast zärtlich fuhr sie mit den Fingern über die glatten Flächen. Die edelstahlummantelten Geräte warteten schweigend. Die Kaffeemaschine kuschelte sich an den Wasserkocher, beide streng bewacht von dem Sodastreamer. Sogar der Wasserhahn schien in enger Umarmung mit dem Brauseschlauch zu schlafen.
Sie runzelte die Stirn, als sie einige Rostflecken auf der Maxi-Kochplatte entdeckte. Vielleicht würde sie heute die Zeit haben, diese Störenfriede der Makellosigkeit zu vertreiben. Eine Makellosigkeit, die nicht einmal schmutzige Gedanken zuließ. Reine Zweckmäßigkeit war oberstes Gebot.
Mit einem raschen Griff verband sie die mobilen Warmhalteöfen mit der Steckdose und schloss deren Tür, die sie am Vortag zum Lüften offen stehengelassen hatte. Gleich würde das Essen für die 120 Schüler angeliefert werden. Nudeln mit Tomatensoße und als Nachtisch Schokoladenpudding. Dieses Essen liebten die Kinder - da würde am Ende nicht so viel in der Mülltonne landen.
Sie ließ noch einmal den Blick über die fleckenlosen Oberflächen und die ordentlich in Reih und Glied hängenden Schöpfkellen streifen, als sich die Tür öffnete. Herein kamen die beiden Mitarbeiter des Catering-Service und schoben den schwer beladenen, isolierten Transportwagen in die Großküche.
Die drei kannten sich schon lange und doch kaum. Beschränkte sich der Kontakt lediglich auf die Übergabe beziehungsweise den Empfang der Lieferung. Mit dem süßen Fahrer hätte sie gern ein paar Worte mehr gewechselt, aber der hatte es immer eilig.
Die Essenslieferanten grüßten freundlich, bevor sie die heißen, rechteckigen Edelstahlpfannen auf den großen Tisch luden. Gleich darauf nahmen sie die leeren, sauberen Behälter vom Vortag aus dem Regal und schoben sie in den Wagen. Und schon waren die beiden weg.
Wieder allein, betrachtete die Königin der Küche kurz die Pfannen. Sechs Stück an der Zahl - vier davon gefüllt mit Spirelli, zwei mit Tomatensoße. Dazu vier leuchtend grüne Plastikschüsseln voller Pudding, mit Frischhaltefolie abgedeckt. Vier Schraubgläschen mit geriebenem Parmesan.
Mit Topfhandschuhen bewaffnet öffnete sie die Öfen und schob in jeden jeweils zwei der Nudelpfannen. Die Tomatensoße musste aufgeteilt werden, deshalb nahm sie einen Messbecher aus dem Edelstahlschrank. Dessen Türen machten beim Öffnen und Schließen einen Lärm, als würde eine Katze gequält. Sie schmunzelte. Täglich grüßte das arme Tier, und doch vergaß sie immer wieder, es dem Hausmeister zu sagen. Anklagend jaulte die Schiebetür.
Der Geschirrspülautomat musste jetzt eingeschaltet werden, da er eine Weile brauchte, um aufzuheizen. Sie zog dessen Klappe auf und überprüfte, ob genügend Spezialsalz im entsprechenden Behälter war. Dann war es an der Zeit, sich um die Wäsche zu kümmern! Nachdem die Betreuerinnen das Essen für ihre jeweilige Gruppe abgeholt hatten, machte sie sich auf den Weg zur Waschküche. Sie hob die trockenen Textilien aus der Trommel in einen Wäschekorb und kehrte in die Küche zurück.
Während die Kinder speisten, hatte sie die Ruhe und Zeit, die Tücher sorgfältig glattzustreichen und nach ihrem eigens entwickelten Schema zu falten. Schließlich sollte alles auch optimal in die Schubladen passen! Deshalb sortierte sie die Hand- und Geschirrtücher nach Größe und die Putzlappen nach Farbe. Als sie fertig war, genoss sie den Anblick der ordentlich zusammengefalteten Tücher für einen Moment, bevor sie ihr Werk in den zugehörigen Schubladen verschwinden ließ.
Nachdem sie den leeren Wäschekorb im Lagerraum verstaut hatte, ließ sie heißes Wasser in die beiden Spülbecken und gab einen großzügigen Schuss Spülmittel dazu. Kurz darauf öffnete sich schon die Küchentür und der erste Servierwagen mit den Essensresten und dem schmutzigen Geschirr wurde hereingeschoben.
Welch Tohuwabohu auf der glatten Fläche! Tomatensoße schmiegte sich an Schokoladenpudding, garniert mit winzigen, weißen Käsekrümeln. Rot verschmierte Teller und braun verklebte Glasschälchen. Manche eifrig leergekratzt.
Sie nahm den Kampf auf und stellte den ersten Stapel benutzter Teller in das Becken. Emsig glitt der Spülschwamm über das Porzellan und brachte das ursprüngliche Weiß wieder zum Vorschein. Jeder Teller bekam ein kurzes Tauchbad im zweiten Becken, bevor er auf der Abtropffläche geduldig auf die Endreinigung wartete.
Mit beiden Händen gleichzeitig belud sie den Geschirrträger und schob ihn in die Spülmaschine. Ein kurzer Fingerdruck startete das Programm. Nun hatte sie fünf Minuten, um die nächste Ladung vorzubereiten. Rasch flog der Schwamm über die nächsten Teller. Als das erste Becken mit dem mittlerweile rötlichen Wasser frei war, gab sie den Stapel Glasschälchen zum Einweichen hinein.
Mit der Zeit trafen auch die drei anderen Servierwagen ein und es wurde eng in der Küche. Der erste Durchgang der Spülmaschine war abgeschlossen. Rasch öffnete sie die Klappe und zog den Träger mit den dampfenden Tellern heraus. Flink drehte sie sich zu dem Servierwagen und wischte dessen Ebenen sauber. Die Teller klirrten protestierend an gegen ihre Behandlung, als sie immer zwei davon gleichzeitig ergriff und auf den Wagen lud.
Schon landete die zweite Fuhre Teller auf dem Träger, diesmal zusammen mit dem Besteck und zwei einzelnen Wassergläsern.
Während die Maschine vor sich hinbrummte, widmete sich die Königin der Küche den Puddingschälchen. Eins nach dem anderen wollte abgewaschen und im zweiten Becken zur Reinheit getauft werden.
Die Spülmaschine beendete ihr Programm jedesmal wie mit einem erleichterten Aufatmen. Das stetig wiederkehrende Signal, dass die automatische Arbeitskollegin ihres Inhalts erleichtert werden wollte. Gleich darauf rumorte die Maschine wieder und desinfizierte fleißig das Geschirr.
Sie schob den ersten Wagen beiseite, um mit dem Geschirr auf dem zweiten weitermachen zu können. Immer die gleichen Abläufe. Teller um Teller.
Als sie mit dem vierten Wagen fertig war, gönnte sie sich ein paar Sekunden, um ihr Werk zu betrachten. Zufriedenheit wollte sich in ihr Herz stehlen. Aber halt! Noch war sie nicht fertig: Die Essensbehälter aus schmutzig glänzendem Edelstahl wollten ihren Feierabend spiegelblank begehen.
Sie winkte ab. Diese Diven! Nahm sich ein Glas Wasser und trank es gierig. Die Fenster mussten dringend geöffnet werden, damit ihr Reich nicht zum Schwitzkasten wurde. Sie ging gerne in die Sauna - aber schließlich konnte sie nicht nackt in der Küche rumhüpfen! Am offenen Fenster atmete sie grinsend ein paar mal tief durch. Nackt in der Küche - wer machte denn so was? Auf ins Finale!
Nachdem die Deckel gesäubert waren, leerte sie die Pfannen. Nicht alle Nudeln waren aufgegessen worden und mussten regelkonform im Mülleimer entsorgt werden. Sie stellte sich vor, dass die blaue Tüte ein hungriges Maul war, das übriggebliebenes Essen dankbar verschlang. Die rote Soße plodderte mit leichtem Schmatzen den bleichen Nudeln hinterher.
Die rechteckigen Pfannen waren nicht so leicht zu händeln wie die Teller und Schüsseln. Sie waren schwer und die Ränder trotz Abkantung scharf. Die Handinnenflächen brannten ihr, als sie das letzte Behältnis abtrocknete und ins Regal stapelte. Das Schmutzwasser verabschiedete sich röchelnd in den Ausguss, und sie spülte mit klarem Wasser nach. Die Spülmaschine ausschalten und noch einmal die glatten Flächen polieren. Sie sah sich um in ihrem Reich. Wieder weiß gekachelt und silber glänzend. Nichts vergessen?
Die Schöpflöffel hingen blinkend in Reih und Glied. Erwartungsvoll schwangen sie leicht hin und her. Wer von ihnen durfte morgen eifrig Dienst tun?
Sie lächelte und schloss die Fenster. Punkt vier Uhr. Feierabend. Sie legte die Jacke an und nahm ihre Handtasche. Kurz bevor sie die Küchentür hinter sich zuzog, vermeinte sie zu hören, wie die Rostflecken kicherten und sich die Hände rieben. Heute Nacht würden sie wohl mit ihrem zerstörerischen Treiben fortfahren.
Copyright by Regina2, März 2022