Verführung zum Kopfkino
Hallo zusammen,ich möchte der Anregung der Gruppenmoderatoren folgen und versuchen, euch mit einer meiner Fantasien zu etwas Kopfkino zu verführen. Da meine Geschichten immer etwas länger sind, poste ich sie einfach in mehreren Teilen an aufeinanderfolgenden Tagen. Ich hoffe, es gefällt. Auf jeden Fall viel Spaß beim Lesen...
LG, Myka von Dosu
Es war so typisch!
Immer kam sie zu spät. Meistens trudelte sie so zwanzig Minuten später ein. An Bad-Hair-Days gerne auch noch zehn Minuten später. Und an guten Tagen vielleicht fünf Minuten früher.
Es war nichts daran zu anderntags, meine Freundin Angelica würde lebenslang der Zeit hinterher rennen. Sie selbst nahm es mit der typischen Ruhrpott-Trockenheit und meinte, dass sie die zwanzig Minuten, die sie zu spät geboren wurde, wohl niemals einholen würde. Und ihre Freunde würden es auch weiterhin ertragen, denn mit niemandem konnte man schöner Party machen, lustiger feiern und trotzdem wundervoll tiefgreifende Gespräche führen als mit ihr.
Wir hatten uns im Café Nord verabredet, um von dort aus dann zu einem netten Abend mit Bar-und Kneipen-Hopping aufzubrechen. Mädelsabend halt. Das 'Nord' ist Angelicas Lieblingskneipe. Wer als Rocker oder Metalfan etwas auf sich hält, trifft sich hier zum gepflegten Bier. Regelmäßige Open Airs, Konzerte, Partys mit Pole-und Burlesquè-Tanz locken immer reichlich Gleichgesinnte hierher, und als eingefleischter Metalfan ist Angelica oft hier und mit Crew und Stammgästen auf Du und Du. Mich ziehts weitaus weniger oft her, doch ab und an lockt auch mich das raue, urige Ambiente.
Da ich mindestens noch eine Viertelstunde Zeit hatte, bestellte ich mir einen Latte Macchiato. Als Nichtraucher war eine Milchkaffee- oder Latte Macchiato-Länge meine Alternative zur Zigarettenlänge und eine gute Überbrückung der Wartezeit.
Während ich in meinem Glas Milch, Espresso und Zucker verrührte, betrachtete ich das Ambiente und die anderen Gäste. Ich saß an der Fensterfront gegenüber dem Eingang etwas erhöht auf der kleinen Balustrade an einem dunklen, abgenutzten Holztisch und konnte die riesige Bar betrachten, welche die gesamte Längsseite gegenüber der Fensterfront einnahm. Riesig und vollgestellt mit Gläsern und Flaschen in indirekt beleuchteten Regalen war die Bar die hellste Lichtquelle in dem ansonsten im Halbdunkel liegenden Raum, denn draußen war die Dämmerung schon längst in nächtliche Dunkelheit übergegangen. Zwei Barkeeperinnen in knappen Tops und engen Röhrenjeans wuselten geschäftig hinter dem Tresen und bedienten frech-fröhlich die im Moment noch recht übersichtliche Gästeschar. Ich musste die Augen zusammenkneifen, um den Aufdruck auf dem Top der einen zu entziffern – und musste augenblicklich schmunzeln: 'Scheiss auf den Schimmel – echte Prinzen kommen mit dem Motorrad' stand da in fetten Lettern geschrieben.
Klasse Spruch. Mein früheres Ich hatte auch gerne so markige Sprüche zu Markte getragen. Ich konnte mich noch lebhaft an die vielen irritierten Blicke zahlloser Kerle erinnern, die erst angestrengt den Aufdruck meines Tops 'Wie schön, Du hast meine Augen bemerkt' zu entziffern versuchten, nur um mir anschließend erst schuldbewusst in die Augen zu schauen, dann zwei- bis dreimal hektisch zwischen meinen Busen und Augen hin- und her zu wechseln um schließlich irgendwo in den Weiten des Raumes ein Ziel für den Blick zu finden, welches einen nicht in peinliche Beklemmung brachte. Ich selbst hatte mich immer köstlich amüsiert.
Glücklicherweise ändert sich im Laufe der Zeit das Modeverständnis, und irgendwann mit Ende Zwanzig hatte ich mich entschieden, dass ich meine Kurven besser betonen kann als mit frechen Sprüchen.
Lange Ketten schwachgelber Lichter ließen die Decke glitzern und spendeten, wenn auch nur wenig, Helligkeit. Lange dicke Metallspeere, die von der Decke herunterragten, beherbergten die Lampen, die den Tresen mit den Zapfhähnen dezent beleuchteten. Rechts und links von der Bar standen zwei Stehtische, aus denen jeweils eine Stange bis zur Decke ragte. Bei Events wurden diese Stangen regelmäßig für heiße Pole-Dances genutzt und der Tresen diente als Bühne für atemberaubende Burlesquè-Vorführungen.
Der riesige Gästeraum war in verschiedenen Ebenen von unterschiedlicher Höhe unterteilt. Stand man an der Bar auf dem nackten Steinboden, führte eine Holzstufe auf eine erste Ebene mit Tischen und Stühlen, und dann noch eine weitere direkt an der Fensterbank entlang. Noch eine Stufe weiter ging es ganz hinten im Raum in eine Nische hoch, wo bei Konzerten meist lokale Bands spielten, ansonsten allerdings zwei Kicker standen, von denen einer im Moment von zwei jungen Typen in schwarzen Metal-T-Shirts im Eifer des Gefechts malträtiert wurde. Regelmäßig bejohlten sie dabei ihre geschossenen Tore und unterhielten damit die ganze Kneipe.
Zwischen dieser Nische und den Toilettentüren befand sich seit ewigen Zeiten eine unglaublich hässliche, mannshohe Holzschnitzerei, die eine armlose Frauenbüste darstellte, und die zu allem Überfluss mit einem verzottelten Haarteil im Iro-Style gekrönt war. Jedes Mal, wenn ich sie sah, hatte ich den Eindruck, eine Moorleiche stünde Wache bei den Toiletten.
Trotz leicht vorgerückter Stunde waren die Gäste noch recht spärlich vertreten und auch noch nicht so alkoholisiert, wie es am späten Abend und besonders bei Special-Events normalerweise der Fall war. Doch die Stoßzeit im 'Nord' war auch noch nicht gekommen. Die einzige Gruppe saß auf der ersten Stufe an einem größeren Tisch, sechs Männer, alle schätzungsweise um die Vierzig, bis auf einen alle durchschnittlich aussehend. Lediglich der Typ hinten rechts stach optisch heraus – südländischer Typ, dunkle Locken, die leicht widerspenstig immer wieder verwegen in die Stirn eines männlich-scharfkantig geschnittenen Gesichtes fielen, in dem besonders die von vielen Lachfältchen umrahmten, strahlenden, Augen auffielen. Breite Schultern und ein gespanntes schwarzes Shirt über Brust und Armen verrieten sportliche Aktivitäten. Ein absolutes Sahneschnittchen, urteilte ich.
Die Blicke dieser Männer – ach, eigentlich aller Gäste – hatte ich schon beim Hereinkommen bemerkt, bot ich doch einen eher unüblichen Anblick für einen Gast. In meinem dunkelroten Sixties-Minikleid mit übergroßer schwarzer Schleife, zarter Nahtstrumpfhose und Heelies passte ich eigentlich so gar nicht hierher. Eine Barbie in der Metal-Kneipe, na toll! Damit hatte ich meine fünf Minuten Ruhm für heute schon hinter mir. Wenn Angelica später eintrudeln würde, gäben wir einen noch skurrileren Anblick ab: Meistens konnte man unseren Style als 'Classic-Barbie meets Monster-High' auf den Punkt bringen.
Bei diesem Gedanken musste ich unweigerlich grinsen. Als ich das Glas an meine Lippen setzte, verbrühte ich mir beim ersten Schluck Lippen und Zunge. Autsch! Schnell stellte ich das Glas wieder hin und biss auf meine Unterlippe. Gedankenverloren beobachtete ich weiter die anderen Gäste. Volbeat, Heldmaschine und Ostfront klangen aus den Lautsprechern und wurden untermalt von dem eintönigen Gesprächsgemurmel. Eigenartigerweise wirkte dieser Geräuschpegel beruhigend, ja fast schon einschläfernd. Gedankenverloren ließ ich mich in dieser Atmosphäre treiben ...
Fortsetzung folgt...