Wasserfall
Ich weiß, hier soll Wasser schäumen und sprühen, bildschirmfüllend und nach Möglichkeit aufgenommen in der entferntesten Ecke dieses wunderschönen Planeten. Damit kann ich leider nicht dienen! Das Bild, das ich euch statt dessen in eure Köpfe pflanzen möchte, ist aufgenommen in jenem nur schwer zugänglichen Bereich meiner Fantasie. Weil ich nun einmal ein Mann des Wortes bin, geht es also um Kopfkino.Die folgende Miniatur ist hier schon einmal in der Kopfkino Gruppe erschienen. Da es hier aber eine ganze Reihe von Leuten gibt, die nicht Mitglied in dieser Gruppe sind, erlaube ich mir, sie der erotischen Kommunikation zu schenken.
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Sie fuhren seit Stunden durch die flirrende Hitze. Sylvia lag halb in ihrem Sitz, die nackten, braunen Beine auf der Ablage vor sich. Die große Sonnenbrille verbarg zur Hälfte ihr Gesicht. Schweiß rann ihr die Schläfen herab, sammelte sich an ihren leicht vorstehenden Kaumuskeln, tropfte auf ihre Schlüsselbeine und rann von dort in den Ausschnitt ihres Trägershirts, der vorn bereits etwas dunkler war.
Ihr krauses Haar wurde von dem bunt bedruckten Tuch aus der Stirn gehalten, jedoch rannten ihr kleine Rinnsale den Rücken hinab. Ein Gefühl, das sie anfangs auf seltsame Weise erregt hatte, inzwischen aber nur noch lästig war. Ihre Arme glänzten vom feinen Schweißfilm und ihre Beine schimmerten im Sonnenglast wie feine Bronze.
„Haben wir noch irgendwo Wasser?“, fragte sie mit belegter Stimme.
Marc sah kurz zu ihr herüber, wischte sich mit dem grell rot gemusterten Halstuch über das Gesicht und rückte die verspiegelte Sonnenbrille zurecht. Mit seinem dunklen Dreitagebart-Schatten auf den Wangen und dem schweißgetränkten Yankees-Basecap sah er wie ein Fleisch gewordenes Klischee eines verwegenen Abenteurers aus. Er hatte sein T-Shirt ausgezogen und Schweiß glänzte zwischen dem sich kräuselnden Haar auf seiner Brust. Eigentlich war dies ein Anblick, der Sylvias Herz höher schlagen ließ. Im Moment jedoch hatte sie keinen Blick dafür.
„Hinten sollten noch ein paar Flaschen sein, denke ich“, sagte er und deutete in die halbdunklen Tiefen des rumpelnden Trailers.
„Die habe ich schon vor einer Stunde her geholt. Das heißt, wir haben keines mehr?“, fragte Sylvia träge und drehte ihm das Gesicht zu. Ihre Zunge befeuchtete ihre Lippen, was unter anderen Umständen sehr lasziv ausgesehen hätte.
„Es ist nicht mehr so weit“, sagt er und die Art, wie er das sagt, spiegelt sich in ihrem Gesicht: wenig bis keine Überzeugung.
„Ich hatte wirklich geglaubt, sie hätten diese verfi ...“ - Sylvia hob warnend eine Hand in seine Richtung – „verdammte Klimaanlage repariert“, rief er entschuldigend aus. Sie machte nur eine wegwerfende Geste: Geschenkt, mein Bester! Mochte das heißen.
„Wie weit ist ‚nicht mehr so weit’?“, erkundigte sie sich mit zuckersüßer Stimme. Marc kannte diesen Tonfall und war auf der Hut.
„Laut Navi noch drei Stunden“, gab er vorsichtig zurück.
„Nicht dein Ernst, oder?“, sagte sie sarkastisch.
„Baby, ich kann doch auch nichts anderes machen als fahren!“, rief er und hob die Arme.
„Nenn mich nicht so!“, fauchte sie genervt. Die Luft wurde noch eine Spur heißer und stickiger.
Drei Meilen schwitzendes Schweigen.
Sylvia döste vor sich hin. Der Schweiß lief ihr den Rücken herunter und es war ihr inzwischen egal. Sie fühlte sich schmutzig und glaubte, sich selbst riechen zu können. Saurer unzufriedener Körpergeruch.
Der Trailer verließ plötzlich den Highway und rumpelte über eine ausgefahrene Piste, die aus zwei Fahrspuren und einem Buckel in der Mitte bestand, auf dem mageres, gelbes Gras ums Überleben kämpfte. Sylvia öffnete die Augen und musste sich rasch am Griff über der Tür festhalten. Vor ihnen ragte in einiger Entfernung ein erster Ausläufer der Sierra in den dunstverklärten Himmel.
„Was wird das?“, fragte sie mit gelinder Ungeduld.
„Warte ab“, sagte er knapp. Sein Blick irrte hinter seiner verspiegelten Pilotenbrille unstet über die gelbrote Landschaft.
„Ist das die berühmte Abkürzung von neulich?“, fragte sie spitz. Er winkte wegwerfend. Seine Kaumuskeln spielten einen Moment.
Es ging inzwischen merklich bergauf und der Weg wurde zusehends schlechter. Links und rechts erhoben sich kurz darauf wild zerklüftete Sandsteinfelsen, die ihre bizarren Schatten über den Trailer warfen wie graurote Lumpen.
„Eine Schlucht, nicht breiter als dein Knackarsch. Bist du sicher, Marc, dass wir dort vorn nicht wenden müssen?“, fragte Sylvia gefährlich ruhig.
„Warte ab“, sagte der wieder. Er hat alle Hände voll zu tun, das Lenkrad zerrt an seinen Händen, trotz der Servolenkung.
„Marc, wo zur Hölle ...“, fuhr Sylvia auf, wurde fast vom Sitz katapultiert. Er trat die Bremse. Die Gurte verhinderten, dass Sylvia gegen die Ablage geschleudert wurde.
„Hör auf zu fluchen, Weib! Halt einfach mal die Klappe!“
In seiner Stimme war jede Menge Metall, an den Rändern gefährlich schartig. Er sah sie mit dem Doppelspielbild ihrer selbst einen Moment unbewegt an. Dann ergriff er erneut das Lenkrad und gab vorsichtig Gas.
Der Weg wand sich stetig bergauf. Inzwischen waren die Wände rechts und links so nahe gerückt, dass Sylvia bezweifelte, sie könnte ihre Tür auch nur eine Handbreit öffnen. Inzwischen war ihr Unmut – sie weigerte sich, diesen als Wut zu bezeichnen, sie war viel zu ausgeglichen, um wütend zu werden, fand sie – einer gelinden Angst gewichen. Wie besonnen war dieser verrückte Kerl mit der blöden Brille wirklich?
Auf einmal flutete Sonnenlicht ins Wageninnere, die Felsen rücken auseinander und der Weg kippte vor ihnen in ein schmales Tal hinab, auf dessen Grund ein kleiner Weiher das Licht wie ein Halbkaräter brach. Weiden neigten die Klingen ihrer Blätter zum Wasser hinab.
Im Hintergrund schloss sich der Kessel und – oh Gott wie postkartenkitschig – ein Wasserfall ergoss sich in das hintere Ende des Sees. Der Trailer rollte langsam den Pfad hinab, erreichte die Baumgruppe und das Licht wurde grün und es schien auf einmal kühler zu werden. Knarzend hielt das Ungetüm und der Motor verstummte.
Sylvia saß mit weit aufgerissenen Augen und mit zum überraschten O geformtem Mund aufrecht in ihrem Sitz.
„Ist das schön!“, entfuhr es ihr flüsternd. Er hielt die Hände, die Innenflächen nach oben, vor sich und grinste.
Sie öffnete ihre Tür, sprang hinunter, lief zwischen den Stämmen der Weiden zum Wasser.
„Warte, Sylvie, das ist ...“, rief Marc ihr nach. Zu spät. Ein spitzer Schrei zerriss die Stille des romantischen Ortes, der sich ausnahm wie die Kulisse eines Hollywood-Streifens mit Doris Day und Rock Hudson aus den Fünfzigern.
„Kalt! Ist das kalt!“, schrie Sylvia, nachdem sie sich gefangen hatte.
Marc stand mit vor der Brust verschränkten Armen am Ufer und sah zu ihr hinüber.
Sie sah wunderbar aus.
Das Shirt lag an ihrem Körper wie eine zweite Haut und ihre Brüste mit den fest zusammen gezogenen Brustwarzen zeichneten sich perfekt ab. Ihr Haar klebte am Kopf und ihr Gesicht wirkte auf wunderbare Weise frisch und erblüht wie eine Rose. Die Lippen rot und halb geöffnet. Wasser lief ihr in glitzernden Perlen auf die Schultern.
„Haben dir deine Eltern nicht beigebracht, dass man nicht einfach so in unbekannte Gewässer springt?“, erkundigte er sich angelegentlich und seine Stimme klang zufrieden: Überraschung geglückt.
„Was ist mit dir? Komm rein. Wenn man erst drin ist, ist es wunderbar!“, rief sie statt einer Antwort.
Marc ließ sich Zeit und in ihren Augen blitzte der Schalk auf. Sie kam näher, begann, ihn nass zu spritzen. Schließlich hatte er genug.
Mit einer schnellen Bewegung war er plötzlich bei ihr. Sie wollte fliehen, aber es war zu spät. Seine Arme hielten sie umfangen, pressen die ihren den Körper. Sie war ihm ausgeliefert, zumal er sie ein wenig anhob und ihre Füße den Kontakt zum sandigen Grund des Weihers verloren. Immer wieder war sie erstaunt, wie stark er in solchen Augenblicken war, wie unbezwingbar er ihr erschien. Sie liebte ihn für diese Kraft, aber manchmal machte er ihr auch ein wenig Angst.
Plötzlich standen sie sich im Wasser gegenüber, dicht an dicht. Sie sah zu ihm auf, sein Gesicht über sich, das markante Kinn mit der schräg verlaufenden Narbe, die sich weiß durch die Bartstoppeln abzeichnete. Sein Adamsapfel hüpfte zwei Mal und sie hörte es klicken. Er beugte sich herunter und seine sinnlichen Lippen näherten sich. Sie schloss die Augen. Wieder spürte sie diese magische Macht, der sie nicht entkommen konnte. Seine Erektion lag hart und heiß an ihrem Bauch.
„Bei dem kalten Wasser!“, dachte sie flüchtig amüsiert. Aber das verging. Sie spürte den Schauer, der ihren Körper überflutete, aber der rührte nicht vom kalten Wasser her. Seine Hände, diese zarten, gewalttätigen und so wunderbar wissenden Hände! Sie stellte das linke Bein etwas vor. Das kalte Wasser flutete zwischen ihre Schenkel.
Sie sog scharf die Luft ein.
„Selber Schuld“, sagte er leise mit diesem etwas zu selbstsicheren Lächeln in der Stimme, bei dessen Klang sie innerlich immer für einen kurzen Moment die Stirn runzeln wollte. Sie zog sich zurück und er hielt sie nicht. Sie sahen sich einige Herzschläge lang lächelnd in die Augen. Er ließ die Arme sinken und Sylvia ließ sich rückwärts ins Wasser gleiten, tauchte unter. Das kalte Wasser umspülte ihre erhitzte Schläfen. Sie wurde in derselben Sekunde wieder klar.
Sie machte ein paar Schwimmzüge unter Wasser und tauchte ein Stück näher beim Wasserfall wieder auf. Das Rauschen war näher und ein kühler Luftzug ging von dem schäumenden Strahl aus, der aus ziemlicher Höhe herab gestürzt kam. Sylvia legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf.
„Ist das schön!“, rief sie noch einmal aus und zeigte hinauf. Zwei Regenbögen kreuzten sich elegant vor dem Dunst des über die Klippe schießenden Wassers.
„Wusstest du, dass Kinder, die unter einem Regenbogen gezeugt werden, einmal zu Königinnen und Königen bestimmt sind?“, fragte er dicht hinter ihr.
Wie war er unbemerkt so dicht an sie heran gekommen? Sie drehte sich zu ihm um, legte ihm die Arme um den Hals. Er nahm sie mit dieser selbstverständlichen Leichtigkeit auf, sie schlang ihre Beine um ihn. Ihre Augen badeten im Spiegel des Blickes vor sich. Er wurde dunkler, verlor den Fokus, ganz, als zögen Wolken darüber auf. Ein Blick, den sie kannte, den sie liebte und verfluchte, weil er sie in Bann schlug.
Sie lächelte, ließ ihn los, streckte die Arme aus und fiel rückwärts ins Wasser. Er ließ ihre Beine los und sie glitt auf die Stelle zu, wo der Wasserfall die Oberfläche des Weihers zum Kochen zu bringen schien.
„Es tut verdammt weh!“, rief er ihr zu, als sie unter die herabstürzende Wasserwand trat. Er hatte natürlich recht. Die Tropfen fielen hart und eiskalt auf Kopf und Schultern. Sie biss die Zähne aufeinander, legte die Arme um sich und einer Eingebung folgend hob sie ihr Gesicht in das Prasseln.
Marc stand wenige Schritte entfernt und beobachtete seine Freundin mit atemlosem Staunen unter dem diese düstere Gier waberte, wie halb erkaltetes Gestein am Fußes eines Kraters.
Ihre schmale Silhouette wurde umgeben von einer Gloriole flüssigen Silbers und weißer Gischt. Er spürte, wie seine Hände zu brennen begannen vor Sehnsucht, sie berühren zu dürfen. Gleichzeitig verfluchte er, dass es ihm nicht gegeben war, diese Augenblicke festhalten können. Ihm fehlten Worte es zu beschreiben, ihm fehlten die Hand und das Auge, es malen zu können, in Stein zu meißeln, aus Ton zu formen. Er war verdammt dazu, es zu sehen und - krank vor Eifersucht - die eigene Unfähigkeit zu verwünschen. Sie war in seinem Blut, sie würde vermutlich sein Leben, wie er es kannte, mit ihren Blicken ersticken. Sollte sie. Wenn sie ihm nur gehörte, jetzt, in diesem Moment.
Er schwamm zu ihr hinüber. Der Wasserfall traf seine Schultern mit kalten spitzen Nadeln.
Sie erspürte ihn mehr, als sie ihn wirklich sah. Ihre Gestalten verschmolzen unter dem Rauschen des Wassers zu einem wogenden Ganzen. Marc hob die bebende Frau, deren Augen wie Silber im Mondlicht glänzten, hinter den Wasservorhang auf den Felssims, der dort zwei Fuß breit umlief wie eine Stufe. Die Wand des Berges wich zurück in die Öffnung einer natürlichen Höhle. Wasser hatte den Boden blank gewaschen.
Er legte Sylvia vor sich in die flache Mulde. Sie sah seinen Schatten vor dem Wasservorhang aufragen: Versprechen und Drohung in eins. Dann war er in ihr, dann war sie um ihn. Dann waren sie eins.
© 2016 A.E.Jurat