Und noch ein Gedicht...
Knecht Ruprecht
Von drauss’ vom Walde komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
Sah ich goldene Lichtlein sitzen;
Und droben aus dem Himmelstor
Sah mit grossen Augen das Christkind hervor,
Und wie ich so strolcht’ durch den finstern Tann,
Da rief’s mich mit heller Stimme an:
„Knecht Ruprecht“, rief es, "alter Gesell,
Hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
Das Himmelstor ist aufgetan,
Alt’ und Junge sollen nun
Von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
Und morgen flieg’ ich hinab zur Erden,
Denn es soll wieder Weihnachten werden!
Ich sprach: „O lieber Herr Christ,
Meine Reise fast zu Ende ist;
Ich soll nur noch in diese Stadt,
Wo’s eitel gute Kinder hat.“ -
„Hast denn das Säcklein auch bei dir?“
Ich sprach: „Das Säcklein das ist hier:
Denn Äpfel, Nuss und Mandelkern
Fressen fromme Kinder gern.“ -
„Hast denn die Rute auch bei dir?“
Ich sprach: „Die Rute, die ist hier:
Doch für die Kinder nur, die schlechten,
Die trifft sie auf den Teil den rechten.“
Christkindlein sprach:„So ist es recht;
So geh mit Gott, mein treuer Knecht!“
Von drauss’ vom Walde komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!
Nun sprecht, wie ich’s hier innen find’!
Sind’s gute Kind’, sind’s böse Kind’?
(Theodor Storm, 1817-1888, deutscher Schriftsteller)
Eine kleine Anekdote dazu:
Wir waren eine 7köpfige Familie (meine Eltern und 5 Schwestern). Jedes Jahr wurde vor der Bescherung gesungen und es wurden Gedichte aufgesagt.
Eine meiner Schwestern, die ein Jahr älter ist als ich, und ich (damals ca. 10 Jahre alt) wollten mal was anderes machen. Gesagt getan. Wir trafen heimlich, mit Hilfe unserer anderen Schwestern, die Vorbereitungen. Wir lernten das Gedicht „Knecht Ruprecht“ auswendig, um es als Zwiegespräch aufzuführen. Eine Schwester hatte einen braunen Kapuzenmantel mit Stickereien und Knebelknöpfen, den ich als Knecht Ruprecht
trug. Meine Schwester, mit der ich das Gedicht vortragen wollte, wurde als Christkind
verkleidet. Sie hatte lange blonde Haare, die sie offen trug.
Als das obligatorische Klingeln für die Bescherung zu hören war, gingen schon mal 2 Schwestern ins Wohnzimmer, damit unsere Aktion nicht auffiel und eine Schwester half uns schnell beim Umkleiden.
Unsere Eltern waren total überrascht und unsere kleine Aufführung war sehr gelungen. Wir mussten sie sogar noch einmal bei unseren Großeltern aufführen, es hatte aber nicht mehr den gleichen Zauber. Es war nun mal eine einmalige, nicht wiederholbare Überraschung.
Das Gedicht kann ich immer noch aus dem Stehgreif fehlerfrei aufsagen, womit ich auch schon ältere Semester verblüfft habe.
Ich wünsche euch allen einen schönen und besinnlichen 3. Advent!