Was nicht im Unfallprotokoll steht...
Obwohl sie sich gerade erst wieder selbst davon überzeugen wollte, er wäre es in Wirklichkeit gewesen, der ihr reingefahren sei, verwies er nicht weniger hart und mit entschiedenem Nachdruck, wenngleich geduldig auf sie wartend, auf das eigens von der Polizei angefertigte Unfallprotokoll.
All seine gefühlten Einlassungen quittierte sie mit dem ihr eigenen erlösenden Seufzen, um abweichend vom Protokoll im Fließverkehr fortzusetzen, was sie beide seit jenem Aufeinandertreffen im angehenden Feierabend so gerne miteinander vollzogen. Jede Ihrer verheißenden Verlautbarungen nahm er genussvoll wahr. Genauso wie ihr Lächeln, das ihm einmal mehr verriet, wie glücklich sie doch mittlerweile über den eigentlich so unglücklichen Zufall war, der sie auf der Kreuzung zusammengeführt hatte.
Sie wusste, was sie da getan hatte. Und dass er so unschuldig wirkte. Aber auch heute hätte sie ihm nur zu gern glauben machen wollen, dass in Wirklichkeit er es war und nicht sie, der eben nicht gebremst hatte, weil er ihr zwischenzeitlich doch so ungebremst gut tat mit dem, was er da mit ihr machte.
Zugegeben, hier von Schuld zu sprechen, dem Verlangen nachgegeben zu haben, das sich seit diesem Frühsommerabend in ihr Bahn brach - ein ums andere Mal - traf nicht den Kern jener Ereignisse, die sich im hier und jetzt frei und willig wiederholten - ja in der Zwischenzeit fast täglich abspielten zwischen diesen beiden so aktiven Unfallopfern, die ihr Aufeinandertreffen immer wieder neu und in intensiver Zweisamkeit vereint feierten.
Seit jenem Abend, an dem ihr Familengolf seinem schwarzen Kombi etwas zu nah gekommen war.
Ein roter Streifen zeugte noch von jenem folgenschweren Aufprall, der sich fortan physisch immer und immer wieder in ihrer beider Gedanken, Worten und Werken vollziehen sollte - und dem sie sich tagein tagaus von neuem entgegensehnte.
Morgens, noch bevor der Tag erwacht war. Manchmal bereits Mittags wieder, obwohl das Tagwerk noch lange nicht vollbracht war. Und nicht selten noch einmal Abends, bevor der Stift fiel... die glückliche Vollendung des Tagwerks quasi unmittelbar bevorstehend. Er erwartete sie.
Auf der noch ungehobelten Kante ihres Behandlungstischs, sein maskuliner Druck fordernd in den Kehlen ihrer Knie.
Gespannt auf dem Esstisch im Hohlkreuz. Alles auf Empfang gestellt. Über das Bett gebeugt, sodass er kräftig zupacken kann. Draußen im Wald, wo der Wind die Geräusche ihrer Lust wegträgt und das betörende Grün des Laubes alles Sichtbare schluckt, das er immer wieder aufs Neue ersehnt und genießt. In dieser Tiefe ließ sich das schwer vorhersagen - sie wussten es beide nicht, wohin sie das führt.
Was sie wussten, genossen sie so direkt, wie es ihnen seit diesem Unfall beständig in ihre Sinne kam.
Ja, sie war ihm reingefahren. Unumwunden zugegeben und dies entschuldigend, gab sie sich seinem Magnetismus hin, der seitdem alles nach einem Unfall aussehen ließ, der sich nie mehr wieder so gut machen ließ wie beim nächsten Mal. Auf Naturalrestitution drangen sie beide genau deshalb täglich neu.
Blechschaden würde zu kurz greifen um die Verbiegungen zu beschreiben, die ihrer beider Flut von Lust und Leidenschaft entsprangen - und die sich ein ums andere Mal körperlich in ihr entlud.
Selten sind Personen weniger zu Schaden gekommen als bei diesem schweren Unfallhergang. Und womöglich nie zuvor hatte ein Bagatellschaden in einer deutschen Mittelstadt so tief gehende Folgen.
Sie konnten die Geschichte von hinten beginnen und von vorn. und auch diese Freiheit ließen sie sich. Jedes Mal aufs Neue. Sie fühlte sich so gut an mittendrin. Egal in welcher Reihenfolge er sich diesmal ihre Vorfahrt nahm.
Obwohl sie sich damit doch nur endgültig davon überzeugen lassen wollte, dass doch er sich genommen habe, was er will. Und letztlich damals doch auch freiwillig in sie reingefahren wäre.
So wie jetzt. Doch sie war wieder schneller - so wie damals an jenem Sommerabend auf der Kreuzung, als sich die Zinnen der Stadtsilhouette gerade noch im Untergang des Tageslichts spiegelten.
Sie vergewisserten sich ungebremst des unzweifelhaften Teils jenes Hergangs - ein ums andere Mal und mit allem, was seitdem unübersehbar dazugehörte.
Sie spielten ihn faktisch nach, weil sie sich ein ums andere Mal versichern wollten, was ihnen da widerfahren war. Sie hätten schwören können, dass derartiges nicht passieren konnte.
Nicht da, wo sie waren im Leben. Nicht ihnen.
Und doch sehnten sie sich fortan nach Nichts mehr als nach der Aneinanderreihung ihrer schier endlos wiederholbaren Unfälle und ihren berauschenden Folgen. Sie spielten sich immer und immer wieder ab, wo immer sie gemeinsam gerade Augenblicke ihres unumwundenen Daseins geniessen konnten.
Sie spürte seine Tiefe des Knalls im Augenblick. Er fühlte ihre Unfallaufnahme, die ihn ein ums andere Mal übermannte.
Sie zum Greifen nah. Und wie gern er zugriff. Sie ließ ihn jede Gelegenheit dazu nutzen, die er ihr bereitwillig bot. Diesmal fuhr er ihr gerne rein. Sie bot sich förmlich an. Und er bremste nie.
Wenn sie seine Wohnung verließ, spürte sie noch lange, was ihr doch bald schon wieder von Neuem bevorstand. Wenn er ihr folgte, wies ihm seine klar gesteckte Rute in vorauseilendem Gehorsam den Weg.
Ihre Zielführung war aktiv. Jedes Mal wieder.
Er folgte unmittelbar. Sie war längst da, wenn er kam.
Er musste nicht auf sie warten. Ihre strahlenden Augen verrieten ihm das.
Was ihnen geblüht hätte, wäre dieser Unfall in seinen Ausmaßen jemals in Gänze aufgeklärt worden? Vermutlich lebenslänglich. Die Unschuldsvermutung hatten sie längst ad acta gelegt. Sie wollten es so.
So schlummert die Erinnerung in den Akten des Polizeireviers einer mitteldeutschen Kleinstadt. Und auch die KFZ-Versicherung hat den Blechschaden längst beglichen. Sie war fortan heraufgestuft und er wusste jetzt, wie unwiderstehlich es sein kann, wenn eine Frau den Einschlag ihrer Kurven nicht einzuschätzen wusste.
Auch das würde ihnen ab sofort nie wieder passieren...
Zeugen gab es keine. Sie hatte bereitwillig alles zugegeben.
Und er war mehr als zufrieden damit, und konnte in seiner Begeisterung großzügig davon absehen, dass sein Zustand nie wieder so wie vor dem Unfall herstellbar war.
Klagen zwecklos, ihre Begeisterung war ihm unzweifelhaft in die Glieder gefahren.
Allein ihr freches, wissendes Grinsen verrieht ihm ihre Gedanken.
Ein tiefer Blick in ihre Augen würde weiterhin genügen.
Er ließe sich sofort wieder von ihrer aktiven uneingeschränkten Verkehrsteilnahme überzeugen wie beim allerersten Mal, als sie sein Handtuch von seinen Hüften gleiten sah und irgendwann wieder das Bett unter sich fühlte, auf das er sie beim Betreten seines Reichs geworfen hatte...