Die Sage von der Walpurgisnacht
In der letzten Aprilnacht findet in jedem Jahr auf dem Brocken, dem Blocksberg, ein schauerliches Spektakel statt: Der Teufel lädt seine Hexen zum Hexensabbat ein. Dann kommen alle Hexen aus dem Lande auf Schürhaken, Heugabeln, Katzenschwänzen, Besenstielen und Ziegenböcken, Butterfässern und Baumstämmen durch die Luft geritten. Die meisten setzen sich rücklings auf ihr Reittier. Einige bestreichen die Besenstiele vorher mit Hexensalbe oder reiben sich selbst damit ein.
»Die Hexen zu dem Brocken ziehn, Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün. Dort sammelt sich der große Hauf, Herr Urian sitzt obenauf. So geht es über Stein und Stock. Es furzt die Hexe, es stinkt der Bock.« Aus der Gegend um Klausthal und Andreasberg kommen die Hexen in Katzengestalt, sonst meist mit rußigen Gesichtern. Wer am Wolpersabend an einen Kreuzweg kommt, kann viele Hexen sehen, die zum Blocksberg ziehen.
Oft guckt ihnen ein Strohwisch als Schwanz aus dem Kleid. Meist hängen ihre Haare offen herunter und gelbe Blitze sprühen aus ihren Augen! Geradezu lästerhaft ist das Spiel der Gebärden. Die wilde Jagd durchsaust die Luft, wenn dann der Fürst der Hölle mit seiner Schar daherfliegt! Schwefliger Gestank umweht ihn. Schwarz wie die Nacht ist Gestalt und Gewandung, aber Feuer speien sie aus dem Rachen und feurigen Schlangen gleich glüht ihr Haar durch die Nacht. Ihre Fittiche erzeugen Sturm, der über das Land hinfährt und Unheil schafft.
Sind alle auf dem Blocksberg beisammen, versammelt sich die Schar um ein loderndes Feuer. Der Teufel steht dann auf der Teufelskanzel, einer Felspartie, die nahe dem Brockenhause liegt, und redet zu den versammelten Hexen, Fledermäusen, Katzen, Schlangen und Molchen. Laut lästert er über Gott und die Engel und unterrichtet die Hexen in höllischen Dingen.
Später knieen alle um den Hexenaltar, und der Teufel besprengt sie mit Wasser aus dem Hexenwaschbecken, worin sie sich alsbald waschen müssen. Dann geben sie alle dem Ziegenbock den Huldigungskuss, und danach wird ein teuflisches Mahl zubereitet. Da werden Pferde gebraten, Maikäfer gesotten und Kröten geschmort. In großen Kesseln brodelt Schmalz. Esel, Hunde und Katzen heulen und miauen, wenn sie in die Nähe der Kessel kommen, denn verwandtschaftlich kommt ihnen der Duft des brutzelnden Fettes vor.
Dann wird ein rasender Tanz mit brennenden Fackeln um große Feuer ausgeführt, und gellende Teufelsmusik füllt die Luft. Rundum, rundum, immer wilder geht das Treiben! Gespenster durchtosen den Reigen, Gnome und Erdmännchen gaukeln dazwischen zu tausenden – bis aller Schnee vom Brockengipel fortgetanzt ist. Schlag ein Uhr nachts ist alles vorüber.
Noch heute fürchtet man in den Dörfern des Harzes die erste Mainacht. Wer aber dabei war, der wird bedeutungsvoll in Erinnerung an die tolle Gespensternacht schweigen. Wer selbst nicht mit dabei war, dem ist nichts darüber zu sagen.