„Da habe ich mich vermutlich mißverständlich ausgedrückt. Natürlich mag es irgendwo einen Ewiggestrigen geben, der noch so drauf ist. Genauso wie es irgendwo eine weibliche Personalerin gibt, die bevorzugt Frauen einstellt.
Ich will damit sagen: es ist kein strukturelles Problem, sondern es sind Einzelfälle. Die dann gerne mal hochgekocht werden, um eben ein Narrativ zu haben.
Nein, es sind keine Einzelfälle und es ist ein strukturelles Problem. Einzelfälle sind diejenigen, die
bewusst bei Vorstellungsgesprächen und Einstellungen Frauen benachteiligen. Sexismus durch das Patriarchat entsteht aber durch Erziehung, Sozialisation und Vorleben von Rollenbildern. Das zeigt sich vor allem bei Untersuchungen von
anonymen Bewerbungsverfahren, bei denen genau solche Benachteiligungen vermieden werden sollen. Der Anteil von Frauen, die eingeladen werden, ist plötzlich deutlich höher – genauso wie der Anteil von nicht-weißen Menschen.
Genau wie ich das Patriarchat für ein Narrativ halte.
Wie bereits ausgeführt:
In den skandinavischen Ländern ist man ja in punkto Gleichstellung sehr viel weiter. Es zeigt sich aber, dass gerade dort die Mehrzahl der Damen sich nunmal klassische Frauenberufe suchen.
Die haben keine Lust auf MINT-Berufe, die nunmal höher bezahlt sind.
Das Phänomen wird Paradoxon der Gleichberechtigung genannt.
Ich weiß nicht, wie Du auf diese Aussagen kommst. Der Frauenanteil in MINT-Berufen in Skandinavien ist deutlich höher als in Deutschland, weil Maßnahmen ergriffen wurden, Frauen zu fördern. Natürlich sind diese Länder noch lange nicht am Ziel, ein zumindest halbwegs ausgeglichenes Geschlechterverhältnis zu haben. Das wundert aber nicht, weil die Förderung von Mädchen dort erst seit 40 Jahren stattfindet, während die soziale Prägung bereits ein paar hundert Jahre auf dem Buckel hat. Mal unabhängig davon, dass die skandinavischen Länder als Einheit anzusehen, wenig zielführend ist im Vergleich zu einem einzelnen Land wie Deutschland. Was die Förderung von Frauen und damit ihren Anteil an technischen Berufen oder Ausbildungen angeht, steht Deutschland im Vergleich zu europäischen Ländern ziemlich schlecht da. Ein Vergleich zwischen Italien und Spanien lohnt sich hier; Spanien fördert bei Mädchen das Interesse an MINT und die Frauenquote in den Berufen steigt. Italien hat dies lange nicht getan und die Quote bleibt niedrig.
Förderung, Maßnahmen oder Bemühungen heißt, gegen eine falsche Prägung durch Erziehung und Sozialisation durch Schule auszugleichen. Die Schulen alleine werden das nie leisten können, solange große Teile der Eltern die Erziehung nicht ändern und in der Gesellschaft immer noch die alten Rollenbilder verbreitet und vorgelebt werden.
Meine Erklärung dafür:
Es gibt nunmal grundlegende Unterschiede zwischen Mann und Frau, betreffend ihrer Fähigkeiten und Präferenzen. Kein Patriarchat, das die Frauen an den Herd und bspw. in Pflegeberufe drängt.
Welche Unterschiede, die nicht veränderbar sind sollen das sein? Ich kenne überhaupt nur zwei "Berufe", die am Geschlecht hängen: Samenspender und Leihmutter. Die Fähigkeiten und Präferenzen, die ein Mensch entwickelt, hängen daran, ob Interessen gefördert werden oder nicht. Keine Ahnung, ob ich ein guter Musiker hätte werden können. Doch in meiner Erziehung spielten Instrumente keine Rolle, damit habe ich auch kein Interesse entwickelt. Das habe ich stark vereinfacht dargestellt und es gibt noch viele andere Faktoren, aber eine Gesellschaft
kann solchen Ungerechtigkeiten entgegen wirken.
Also wäre es doch ein Ansatz, diese Berufe besser zu vergüten, als einfach alles auf die böse Gesellschaft zu schieben.
Wäre das nicht eine bessere Diskussionsgrundlage?
Du tust gerade so, als ob es nur um Bezahlung geht. Selbstverständlich sollten sogenannte "soziale Berufe" deutlich besser vergütet werden und die Arbeitsbedingungen müssen sich auch dringend verbessern. Das hat aber nichts mit Gleichberechtigung zu tun.
"Böse" wäre nicht das Wort für die Gesellschaft, das ich verwenden würde. Aber ja: unsere Gesellschaft ist patriarchalisch und sexistisch. Das kannst Du selbst sehen, wenn Du über typische Beispiele nachdenkst und nicht nur Stadt, sondern auch die Landbevölkerung mitdenkst: die katholische Kirche weigert sich auch nach über hundert Jahren immer noch, Frauen als gleichberechtigte Menschen anzuerkennen. Motorradclubs wie Hells Angels und einige Burschenschaften akzeptieren immer noch keine Frauen als Mitglieder. In Bayern gab es vor kurzem einen ziemlichen Aufschrei, als in einem Dorf Frauen auf den samstäglichen Stammtisch gehen wollten – die Männer wollten unter sich bleiben. Die Akzeptanz von weiblichen Mitgliedern in Schützenvereinen setzt sich sehr langsam durch. Dass sich die Situation im Handwerk langsam verbessert, hat nur mit dem akuten Mangel an Azubis zu tun. Nur mal so als kleinen Input; da gäbe es noch deutlich mehr Beispiele, wenn man mit offenen Augen durch sein Umfeld geht.
In der Diskussion um Patriarchat und Sexismus wird meistens über Bildung, Berufswahl und Bezahlung gesprochen. Das ist wichtig, keine Frage. Ich wage mich hier mal weit aus dem Fenster: ich sehe das nicht als das wichtigste Problem. Viel wichtiger wäre es, gefährlichere Diskriminierung zu bekämpfen. Beispielsweise die Gefährdung von Frauen bei Medikamenten, weil Studien überproportional viele Männer enthalten. Die Gefährdung bei Verkehrsunfällen im Auto, weil bei Crashtests Frauen nur als mathematische Größe (80% Männer) errechnet werden und die schwächere Muskulatur im Nackenbereich nicht berücksichtigt wird. Nachteile in der Diagnostik; noch immer kennen viele Notfallmediziner (männlich!) die Symptome bei Herzinfarkten von Frauen nicht.
Mag sein, dass für Dich das ebenfalls Einzelfälle sind. Nur: Ab wann werden Einzelfälle eigentlich zu einem strukturellen Problem?