Gibt es die »naturdominante« Frau?
In den meisten Anzeigen einschlägiger kommerzieller Angebote stößt Mann unweigerlich auf dieses Adjektiv. Der Begriff scheint mir geradezu als vermeintliches Qualitätssiegel für entsprechende Dienstleistungen erfunden. Bereits in der Schule hätten sie andere dominiert, führen Dominas dazu gern noch aus. Seit sie sich erinnern könnten, sei ihnen andere zu dominieren ein Lust bereitendes Vergnügen.Tatsächlich spielen die allermeisten jedoch bloß eine Rolle, machen sie einfach einen Job. Die einen lieber oder besser als die anderen – wie von der Ärztin bis zur Verkäuferin alle anderen erwerbstätigen Frauen auch. Aber aus wirklicher Neigung dominant ist kaum eine von ihnen. Schon gar nicht »naturdominant«.
Bitte verstehen Sie mich richtig. Ich sehe nichts Falsches daran, Gefallen an einer Rolle zu finden, in welche die meisten Frauen von ihren masochistischen Partnern geführt werden. Win-win. Wunderbar. Auch gegen den Beruf der Domina habe ich keine Vorbehalte und nicht das Geringste einzuwenden. Und schon gar nicht will ich der »naturdominanten« Frau, falls sich die eine oder andere von Ihnen als solche empfindet, ihre Naturdominanz absprechen.
Ich brauchte diesen Umschweif offenbar einfach, um (hoffentlich) auf den Punkt zu kommen:
In meinem über 40jährigen Dasein mit dem Bewusstsein meiner masochistischen Neigung ist mir noch nie eine »naturdominante« Frau begegnet. Eine, die mir mit der gleichen Intensität, mit der sich ein masochistischer Mann nach seiner Herrin sehnt, zu verstehen gegeben hat, dass für sie nur ein devoter Mann in Frage kommt. Einer, der ihre Führung dankbar annimmt und sich ihrer Erziehung unterwirft. Ein Mann, der ihr Partner, Liebhaber und Beschützer sein soll. Aber eben auch ihr Sklave und Eigentum. – Oder auch nur Sklave.
Schon gar nicht habe ich jemals erlebt oder nur schon gehört, dass eine Frau in einer bestehenden »normalen« Beziehung darauf gedrängt hat, diese als FLR weiterzuführen – oder sich andernfalls zu trennen, weil ihr, wenn sie diese Beziehungsform nicht leben kann, etwas Elementares zu ihrem Glück fehlt.
Hingegen sind mir immer wieder Frauen begegnet, die mir sehr bald während eines Kennenlernens von ihren masochistischen Wünschen erzählt, in mir ihren zukünftigen Herr gesehen haben.
Sind masochistische Männer und Frauen einfach getriebener von ihrer Sehnsucht nach Unterwerfung, als dominante Frauen von ihrer Lust zu bestimmen? Können sie gar nicht anders, als in jedem potenziellen Partner oder in jeder potenziellen Partnerin auch den zukünftigen Herr oder die zukünftige Herrin zu sehen? Und entsprechend ihm oder ihr gleich ihre tiefsten erotischen Fantasien zu erzählen? Sie damit zu bedrängen?
Mag mir eine dominante Frau sagen, wie und wann sie ihre Lust an der Dominanz entdeckt hat? Welches Schlüsselerlebnis allenfalls zu dieser Entdeckung geführt hat? Und ob für sie aus wirklicher Neigung keine andere Beziehungsform als eine FLR in Frage kommt – selbst wenn ihr der Mann ansonsten vollkommen entspricht? Ob sie also jeden Mann, den sie irgendwo kennenlernt und in dem sie einen zukünftigen Partner sieht, mit diesem Wunsch konfrontiert – und ihn bei fehlender Neigung nicht berücksichtigt?
Sehr intime Fragen, ich weiß. Aber wir sind hier ja unter uns ...
Ein Grund für die bewusste Dominanz einer Frau, der mir immer wieder begegnet, ist ihr Wunsch, endlich einmal zurückzuschlagen für in der Vergangenheit erlebte Benachteiligung und Demütigung durch Männer: »Jetzt will ich einen Mann, der sich mir fügt, der für mein ohnmächtiges Erdulden dieser Demütigungen stellvertretend für die Männer, die sie mir angetan haben, büßen muss.«
Es geht dabei also wohl weniger um den Mann und das im erotischen Sinn befriedigende Erleben von Dominanz und/oder Sadismus aus Neigung (oder Perversion, um es altmodisch auszudrücken), als vielmehr um eine Art von Projektion. Die Dominanz ist gewissermaßen Therapie. – Was wie in einem Therapeuten-Patientinnen-Verhältnis natürlich nicht ausschließt, dass beide in diesem intimen Setting aufgehen, sich ineinander verlieben und darin ihr wunderbares Glück finden.
Meine erste dominante Frau, ganz Klischee eine meiner Lehrerinnen, war es auch aus diesem Grund: Geschieden von einem tyrannischen Mann, der sie jahrelang erniedrigt und betrogen hat. Wir haben uns damals gefunden und einander lange gut getan.
Aber eben, mit »Naturdominanz« hatte und hat das nichts zu tun.