Na da ist schon was wahres dran.
Ein Kompliment ist an sich ja erst mal geschlechtsunabhängig.
Das sagt das Netz, wir sind ja nicht die ersten mit diesem Problem:
IST DOCH EIN KOMPLIMENT, WENN ICH IHR HINTERHERPFEIFE!
«Ich habe keine so junge Frau erwartet.
Und dann sind Sie auch so schön.»
Botschafter Hans-Joachim Kiderlen a. D. zur Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli als Begründung dafür, warum er sie zunächst nicht erkannt hatte, 14.10.2017
«Ich finde, man muss in der Debatte zwischen Sexismus und missglückten Komplimenten unterscheiden.»
Ronja Kemmer (CDU), Frankfurter Rundschau, 23.10.2017
Was ist dran?
Es stimmt, es gibt keine 100-prozentig eindeutigen Regeln, was ein Kompliment ist und was nicht. Die Entscheidung, etwas als Kompliment zu verstehen, ist in hohem Maße subjektiv.
Und das gilt selbstredend nicht nur für Frauen, sondern für alle Menschen, und selbstverständlich nicht nur in heterosexuellen Konstellationen - auch das kann nicht oft genug betont werden.
Diese Subjektivität gilt es zu bewahren: Jede*r sollte die Deu-tungshoheit darüber behalten, was für sie oder ihn ein Kompliment ist und was nicht. Und das heißt eben auch: Selbst wenn eine Bemerkung als Kompliment gemeint war, kann sie anders ankommen. Ein Kompliment ist letztlich nichts anderes als eine Art Angebot, und Angebote können angenommen oder abgelehnt werden, ohne dass es dafür eine Rechtfertigung braucht.
Es gibt jedoch Faktoren, die beim «Glücken» oder «Missglücken» von Komplimenten eine Rolle spielen und ein gewisses Maß an Objektivität besitzen: Zum einen macht es einen Unterschied, was gesagt wird. Komplimente wie «Sie sind aber wortgewandt - das finde ich toll» oder «Du hast aber eine sympathische Ausstrahlung» sind ziemlich unverfänglich. «Sie können ein Dirndl gut ausfüllen», Hinterherpfeifen oder jemandem «Geiler Arsch» auf der Straße hinterherzurufen hingegen nicht.
Im englischsprachigen Raum gibt es dafür das Wort cat calling, das mittlerweile auch in Deutschland, vor allem in den sozialen Medien, verwendet wird.
Nun kann man argumentieren, dass es sich bei solchen Sprüchen um bedauerliche Einzelfälle von plumpen Zeitgenossen handelt. Aber dafür sind sie zu oft die Regel. Wenn man anfängt, aufmerksam durch den Alltag zu gehen, oder sich die vielen Berichte von Frauen im Kontext von #metoo durchliest, wird klar, dass die Rede von «missglückten Komplimenten» System hat: Den einen wird suggeriert, sie müssten sich mit ihnen arrangieren, und den anderen, das es okay ist, sich so zu verhalten.
Außerdem macht es einen Unterschied, in welcher Situation beziehungsweise in welchem Kontext etwas gesagt wird. Natürlich dürfen sich Menschen auch nette Sachen über ihr Äußeres sagen. Aber gerade wenn das Äußere angesprochen wird, spielt der Kontext eine wichtige Rolle: Stellen wir uns vor, Person A sagt zu Person B, sie sehe heute besonders gut aus. Das klingt unverfanglich und nach einem netten Kompliment. Aber welche Botschaften schwingen mit, wenn B für A arbeitet oder B von A unterrichtet wird - die beiden also in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen? B wird damit als attraktive Person angesprochen, der Fokus wird auf Äußerlichkeiten verschoben, weg von beruflichen Fähigkeiten. Genau das macht die Situation zu einer potenziell sexistischen.
Eher selten wird in fachlichen Kontexten das Äußere von Männern bewertet, das von Frauen sehr wohl. Politikerinnen sind dafür ein gutes Beispiel. Ihr Äußeres wird häufig auch in den Medien kommentiert. Werden Frauen primär als das schöne Geschlecht statt als politische Entscheidungsträgerinnen adressiert, nährt das Vorurteile, die ohnehin bestehen. Frauen sind dann ganz buchstäblich nicht der richtige Mann für diesen Job: Die schöne Frau Chebli wurde nicht als Staatssekretärin erkannt. Dieser Fehler kann völlig unbewusst und ohne böse Absicht passieren. Es ist sehr üblich, dass Frauen primär für ihr Äußeres (gesellschaftliche) Anerkennung finden. Wollen wir aber auf eine Gesellschaft hinarbeiten, in der Frauen mehr sein dürfen als nur das schöne Geschlecht, dann muss über solche Situationen gesprochen werden, in denen etablierte Stereotype reproduziert werden.
Bei «Komplimenten» dieser Art kann es aber auch darum gehen, die eigene Machtposition auszuspielen oder sicherzustellen. Eine Frau wird auf ihren untergeordneten Platz verwiesen und es wird zum Ausdruck gebracht: Ich darf deine Attraktivität bewerten, wir sprechen hier nicht auf Augenhöhe miteinander.
Es geht also darum zu fragen, wer sich wann und aus welcher Position heraus eine Bemerkung erlauben kann.
Weiter noch:
Richtig ist: Man kann problemlos Komplimente machen, ohne abwertend oder sexistisch zu sein. Sexismus ist klar definiert, es geht um Ungleichbehandlung und Abwertung aufgrund von Geschlechterstereotypen.