Fusion Festival auch abgesagt.
"Liebe Fusionist:innen,
wir schreiben diesen Newsletter in einer Situation, in der die Welt Kopf
steht und ein Virus grassiert, das das Potenzial hat, in wenigen Monaten
unser Leben dauerhaft negativ zu verändern.
Die Gesundheit wird als höchstes Gut dieser Gesellschaft definiert, dem
sich nicht nur kapitalistische Wirtschaftsinteressen, sondern auch jegliche
Form von selbstbestimmten Lebens unterordnen muss. Es herrscht ein
Ausnahmezustand auf unbestimmte Zeit, von dem noch niemand sagen kann oder
will, wann und wie dieser wieder aufgehoben werden soll und was danach
kommen wird.
Social distance, Quarantäne und Isolation sind die Mittel der Stunde, um
den Kampf gegen das Virus nicht komplett zu verlieren. Einige Maßnahmen
sind eher aktionistisch als gut durchdacht, was heute gilt, ist morgen
schon wieder Makulatur und der Erfolg der Strategie von flatten the curve
ist immer noch mehr Hoffnung als Gewissheit.
Die jahrelang kaputt gesparten Gesundheitssysteme der reichen
Industrienationen stehen kurz vor dem Kollaps und der Kapitalismus vor dem
Offenbarungseid des Systemabsturzes. Die Krise gerät zur Katastrophe,
deren Folgen unabsehbar sind. Entwicklungs- und Schwellenländer wird es
noch weit härter treffen als uns. Dort werden die Menschen in den
kommenden Monaten bei schlechter oder fehlender medizinischen Versorgung
ohne Beatmungsgeräte einfach sterben.
Empathie für Schwächere hat in dieser Gesellschaft eine kurze
Halbwertszeit, das haben wir schon in der „Flüchtlingskrise“ gelernt.
Humanitäre Katastrophen in Syrien und im Jemen oder die
Flüchtingssituation an den Außengrenzen Europas erregen hier leider nur
noch wenige Gemüter.
Ethische Grundsätze von der gleichen Werthaftigkeit allen Lebens entpuppen
sich nicht erst bei der Nichtrettung von Geflüchteten im Mittelmeer zu
einer Lüge unserer Wohlstandsgesellschaft. Wenn es jetzt ums
wirtschaftliche Überleben und den Systemerhalt geht, werden voraussehbar
innerhalb von wenigen Wochen des Ausnamezustands ethische und moralische
Prinzipien über Bord geworfen werden.
Eine entscheidende Frage in dem unvermeidlichen ethischen Konflikt wird
sein, ob denn der gebotenen Schutz menschlichen Lebens absolut gilt und ihm
alle anderen Freiheits- und Partizipationsrechte sowie Sozial- und
Kulturrechte bedingungslos untergeordnet werden dürfen oder ob ein
allgemeines Lebensrisiko von jedem zu akzeptieren ist?
Vor allem die sog. Risikogruppen werden in dieser Fragestellung schmerzhaft
damit konfrontiert, dass menschliches Leben nicht nur wertvoll, sondern
auch endlich ist.
Und wir? Sind wir alle zu Zuschauer:innen degradiert? Mit großer Sorge
sehen wir, wie Grund- und Bürgerrechte außer Kraft gesetzt und
Affinitäten mit Überwachungspraktiken diktatorischer Herrschaftssystemen
offen salonfähig werden. Das alles passiert, ohne dass es einen relevanten
systemkritischen Diskurs dazu gibt. Wir schauen protestlos zu, wie das
Diktat von Corona die Demokratie mit unseren Freiheiten und Rechten in die
Knie zwingt.
Wir sitzen seit Wochen isoliert zu Hause in der Hoffnung, dass die Pandemie
möglichst schnell vorüber geht und wir wieder in unser normales Leben
zurück finden können. Niemand kann heute sagen, wie Corona unsere
Gesellschaft und unser Leben verändern wird und ob es je wieder so werden
wird, wie wir es bis vor kurzem kannten. Wir haben daran große Zweifel.
Alle von euch stellen sich neben solch düsteren Gedanken und Prognosen
natürlich auch die Frage, ob die Fusion dieses Jahr stattfinden kann.
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Angesichts der Lage und der Aussichten, die wir jetzt sehen, können wir
das Festival in diesem Jahr nicht durchführen. Das ist bei aller
Bitterkeit der Entscheidung vor allem der gemeinsamen Verantwortung
geschuldet, die wir alle haben, damit die Covid 19 Pandemie eingedämmt
werden kann.
Dies bedeutet, dass dieses Jahr kein Fusion-Festival stattfinden kann. Die
nächste Fusion werden wir vom 30.6. – 4.7. 2021 feiern.
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Selbst wenn Ende Juni das Schlimmste überstanden wäre und sich dann das
Alltagsleben langsam wieder etwas normalisieren würde, Schule, Kita und
Arbeit wieder erlaubt sind, wird es nicht möglich oder vertretbar sein,
ein Festival mit 70 000 Besucher:innen aus aller Welt zu veranstalten,
geschweige denn, dafür eine behördliche Genehmigung zu bekommen. Wir sind
in dieser Situation so machtlos wie noch nie und haben keine
Widersacher:innen, die wir gemeinsam mit eurer Solidarität bezwingen
können.
Uns läuft auch die Zeit davon. Wir müssten jetzt schon alle mit Volldampf
und vielen Mitstreiter:innen an den Vorbereitung arbeiten. Wir sitzen aber
im Lockdown und müssten auch jetzt schon Zusagen von unverzichtbaren
Partner:innen bekommen, die uns diese beim besten Willen nicht geben
können.
Eine Verschiebung der Fusion um ein paar Monate ist leider auch keine
Option. Wir müssen inzwischen davon ausgehen, dass es noch lange dauern
kann, bis Festivals wieder stattfinden können. Die logistischen
Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchführung der Fusion sind
darüber hinaus viel zu komplex, als dass wir das einfach um ein paar
Monate verschieben könnten.
Wir hätten natürlich mit der Absage warten können, bis diese von der
Politik angewiesen wird, aber wir wollen in dieser Situation selbstbestimmt
entscheiden und sehen die Höhere Gewalt, auch ohne Anordnung der
Behörden, zweifelsfrei als gegeben.
Wir wissen, dass diese Entscheidung, zu allem was gerade passiert, für
euch und unser ganzes Netzwerk an Mitwirkenden eine weitere Katastrophe
bedeutet, gehen aber auch davon aus, dass ihr für unsere Entscheidung
Verständnis habt.
TICKETS/ SOLI/ SPENDEN
Wie wir euch ja bereits im letzten Newsletter angekündigt hatten, behalten
eure Tickets im Falle der Absage ihre Gültigkeit für die Fusion 2021.
Wenn ihr aber euer Ticket stornieren wollt, könnt ihr jederzeit, also auch
bis ins kommenden Jahr, in eurem Ticketaccount stornieren und bekommt den
Ticketpreis incl. Müllgebühr, sowie die Bearbeitungs- und Versandkosten
zurückerstattet. Die vor Jahren eingeführte Stornierungsgebühr von €
10,- können und wollen wir in diesem Fall nicht einfordern. Wir werden
diese Stornogebühr aber als freiwilligen Solibeitrag für den Kuko und
unser Netzwerk deklarieren. Ihr könnt in eurem Account dann selbst
entscheiden, ob ihr diesen € 10,- Soli -Obolus leisten, oder den ganzen
Ticketpreise zurückerstattet bekommen wollt. Die neue gesetzliche
Regelung, wonach Inhaber:innen von Eintrittskarten mit Gutscheinen statt
Erstattungen entschädigt oder abgespeist werden können, nimmt das Fusion
Festival somit nicht in Anspruch.
Für uns als Kulturkosmos bedeutet diese Absage, dass auch wir erst mal
schauen und überlegen müssen, wie wir das ungeplante und nicht mit
Rücklagen abgesicherte Fusion-freie Jahr überbrücken können. Niemand
kann sagen, was in 6 Monaten ist, aber wir sehen uns
bis jetzt nicht existenziell bedroht und brauchen (noch) keinen
Rettungsschirm. Im kommenden Jahr müssen wir aber nicht nur die Fusion
finanzieren, auch das at.tension-Festival wird von uns einen mittleren
sechsstelligen Betrag supported. Zudem wollen wir diesen Sommer auch
nutzen, um notwendige und geplante Projekte und Bauvorhaben zur
Vorbereitung der kommenden Festivals durchzuführen. Wir werden uns daher
vorbehalten, den Ticketpreis fürs kommende Jahr moderat zu erhöhen. In
dem Fall würden wir dann auch von allen Ticketholder:innen einen
Nachschlag verlangen.
Das Fusion Festival wird, neben dem Kulturkosmos, vor allem durch das
Zusammenspiel von verschiedenen Gruppen, Vereinen und Kollektiven
realisiert. Die Corona Krise und die Absage des Festivals bedeutet für
viele Vereine und Projekte aus unserem Umfeld eine ökonomische
Katastrophe. Sie sind existenziell bedroht und bekommen keine oder wenig
staatliche Unterstützung.
Wir haben daher einen Solidaritätsfond zur Unterstützung unseres
Netzwerkes über die Kulturkosmos Stiftung eingerichtet. Dieser Spendentopf
soll existenziell gefährdeten Gruppen aus unserem Netzwerk das Überleben
in dieser Krise erleichtern, sowie falls nötig auch das
at.tension-Festival 2021 absichern.
Wir werden in diesen Topf die gespendeten € 10,- Solibeitrag aus den
Ticketstornierungen einzahlen und außerdem von Seiten des Kulturkosmos
einmalig € 100 000,- in den Topf werfen. Informationen zu den geleisteten
Spenden werden wir auf der Kuko Webseite veröffentlichen.
Auf dieses Spendenkonto können, unabhängig der Stornogeschichte, alle
spenden, die den Kulturkosmos, unser Netzwerk sowie das Fusion- und
at.tension Festival 2021 unterstützen wollen.
Kulturkosmos Stiftung gGmbH
IBAN: DE36 4306 0967 1116 6858 01
Wir rufen hiermit alle Fusionist:innen auf; seid auch solidarisch mit den
kulturellen Läden in eurer Nähe und deren Macher:innen, die jetzt eure
Unterstützung brauchen, damit unser Kultur diese Krise überlebt. Spendet
das, was ihr sonst auch für Kultur, Feiern und Ausgehen ausgeben würdet,
damit es nach der Krise noch ein kulturelles Leben gibt.
WE HAVE TO FIGHT FOR OUR RIGHT TO PARTY
Unser Drang nach hedonistischem Feiern, Selbstbestimmung und kulturellem
Leben, muss sich jetzt, keine Frage, einfach dem Primat der Gesundheit
unterordnen. Aber das Entscheidende dabei wird sein, wie lange wir das
müssen und wie lange wir bereit sind, dies zu akzeptieren. Leider ist zu
befürchten, dass für die Politik und ihre auf Zeitgewinn angelegten
Eindämmungsstrategie Festival- und Clubkultur das letzte sind, was sie
wieder zulassen wollen.
Diejenigen, die jetzt in der Politik die Entscheidungen treffen, kennen
unsere Lebensrealitäten und unsere Festival-, Club- und Subkultur nicht im
Geringsten. Ein Shutdown der Club- und Festivalkultur über sehr lange
Zeit, wie er von der Politik nicht ausgeschlossen und insgeheim bereits
angedacht wird, würde das Ende eines Großteils unserer Club- und
Festivalkultur bedeuten, unser Leben dauerhaft unerträglich einschränken
und viele Strukturen darin unwiederbringlich zerstören.
Das was uns jetzt durch das Virus gerade genommen wird, werden wir, ohne
dafür zu kämpfen, nicht einfach wieder bekommen. Wir dürfen daher nicht
tatenlos abwarten, was am Ende übrig bleibt. Den Entscheider:innen in
dieser Krise muss klar und deutlich vermittelt werden:
KULTUR IST SYSTEMRELEVANT!
Und wir werden nicht hinnehmen, dass für den Kampf gegen
das Virus alles geopfert wird, was nicht der Gesundheit oder der Wirtschaft
dient.
Es ist höchste Zeit, einen offenen Diskurs zu führen, wie wir nicht nur
unser Gesundheitswesen, sondern auch unsere Kultur, Bürgerrechte und unser
Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben über diese Krise hinaus retten!
Ländergrenzen, Einreiseverbote, innerdeutsche Grenzen führen nur zu
Grenzen in den Köpfen der Menschen und werden das Virus nicht besiegen.
Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker!
Wenn sich diese Gesellschaft durch diese Krise fundamental ändern wird,
dann ist es an uns allen, dies, wo immer wir können, zum Besseren zu
drehen und zu retten was uns wichtig ist.
Der Kampf um unsere Zukunft hat gerade begonnen!"