„Ist denn keine alte Fraue,
die kann pflücken Hartenaue,
dass sich das Gewitter staue?“
So soll einer Sage nach während eines Gewitters eine Stimme aus dem Himmel getönt haben. Mit „Hartenaue“ ist das Johanniskraut gemeint, auch „Hartheu“ genannt, weil seine Stengel, anders als Gras, im Heu sehr hart sind. Jetzt fragen sich wahrscheinlich einige von Euch, warum auf dem Foto dann kein Johanniskraut zu sehen ist, wo doch hier zu Anfang schon die Rede davon ist. Warum ich als Foto den Gamander-Ehrenpreis gewählt habe?
Das erfahrt Ihr nun!
Mit solch ähnlichen Zaubersprüchen wurde nicht nur Johanniskraut zum Schutz vor Gewitter verbrannt, sondern auch Beifuß, Königskerze, Eisenkraut, Gundermann, Rainfarn und etliche andere. Die Kräuter wurden getrocknet und bei Bedarf ins Herdfeuer geworfen oder in einem Räuchergefäß verbrannt.
Das Räuchern war ein wichtiger Bestandteil des Wettersegens. Die Menschen waren auf ihre Ernte angewiesen, nur so war im Winter eine ausreichende Versorgung sichergestellt. Wie leicht konnte früher ein Gewitter die Ernte vernichten, den Hof durch ein Feuer gefährden und Hunger, Leid und Tod herbeiführen.
Besonders im Juli und August waren Gewitter und Hagelschauer gefürchtet. Hieraus erklärt sich die alte Tradition des Kräuterbuschens, über den ich Euch ja bereits berichtet habe.
Der Buschen hat eine sehr alte, magische Tradition. Wie bei vielen heidnischen Ritualen blieb diese fest im Volksglauben verankert und ließ sich trotz eifrigen Bestrebens seitens der Kirche einfach nicht unterdrücken. Die Kirche stellte daraufhin die Kräuter unter den besonderen Segen der Gottesmutter Maria und machte den Tag ihrer Himmelfahrt zu dem bedeutungsvollsten Kräuterweihtag.
Eine entsprechende Legende dazu besagt, dass die Apostel, als sie drei Tage nach dem Tode der Gottesmutter Maria deren Grab öffneten, nicht ihren Leichnam vorfanden, sondern duftende Blumen und wohlriechende Kräuter.
Es vermischten sich heidnische und christliche Traditionen. So schnitt man in manchen Gegenden die Kräuter am Donnerstag vor Mariä Himmelfahrt, ursprünglich dem heiligen Tag des germanischen Wettergottes Donar (Donnerstag = „Donarstag“), da die Kräuterbuschen häufig der Gewitterabwehr dienten.
Vor dem blitzeschleudernden alten Wettergott hatte selbst das Volk im christianisierten Mittelalter noch gehörigen Respekt.
Geerntet wurde übrigens nach alter magischer Tradition vor Sonnenaufgang, schweigend dorthin gehend, barfuß, ohne Messer und mit der linken Hand. Das Sammeln erfolgte unter Aufsagen bestimmter Zaubersprüche. Jedes Kraut hatte dabei seinen eigenen Zauberspruch, um es an seinen Dienst gemäß seiner Zauberkräfte zu erinnern (s. angelsächsischer Kräutersegen, einen Auszug daraus lest Ihr in meinem nächsten Beitrag).
Bei manchen Pflanzen war die Farbe ausschlaggebend, um sie zu einer Gewitterpflanze zu machen. Demnach waren häufig blaublühende Kräuter (z. B. Ehrenpreis, Wegwarte, Borretsch, Gundermann) automatisch auch Kräuter für Wetterzauber. Entweder durfte man diese nicht ins Haus holen, weil sonst damit Gewitter angezogen würden, oder man verräucherte gerade sie, um drohende Unwetter abzuhalten. Wuchsen diese Kräuter in Hausnähe, brachte es Unglück, sie zu pflücken.
Gerne pflanzte man gewitterabwehrende Sträucher und Kräuter in die Nähe von Haus und Hof. Der Haselstrauch z. B. war Donar geweiht. Auch Holunder und Hauswurz waren gern gesehen.
Stücke von vom Blitz getroffenen Bäumen galten als zauberkräftig und sollten, als Amulett getragen, vor Blitzschlag schützen. Hier dürfte die Eiche ein beliebter Baum gewesen sein. In Eichen schlägt besonders häufig der Blitz ein, was mehrere Gründe hat. Die Eiche steht oft allein, durch ihre gefurchte Rinde haftet mehr Wasser an ihrem Stamm als an Buchen, an deren glattem Stamm das Wasser schnell zu Boden rinnt. Auch soll die Eiche gern auf Wasseradern wachsen. Wasser zieht bekanntlich Blitze an. Aus diesem Grund war die Eiche der geweihte Baum Donars.
Die Kräuterbuschen wurden oft unter dem Dach aufgehängt als Blitzschutz. Nahte ein Gewitter, wurden kleine Teile davon im Herdfeuer verbrannt, um Spannungen in der Luft abzubauen.
Die alten Zaubersprüche wurden mit der Zeit durch Gebete ersetzt. Ich kann mich noch gut an meine Kindheit erinnern. Bei Gewitter wurde alles Licht gelöscht, die Familie kam im Wohnzimmer zusammen. Meine Oma zündete eine Gewitterkerze an (das sind speziell geweihte, oft schwarze Kerzen). Bei jedem Blitz wurde gebetet: „Vor Blitz und Ungewitter bewahre uns, oh Herr!“ Ich habe diese besondere Atmosphäre während dieses Rituals geliebt und mag Gewitter auch heute noch.
Was für unsere Ahnen selbstverständlich war, gerät heute mehr und mehr in Vergessenheit. Mittlerweile löscht kaum noch jemand das Licht bei Gewitter, der Zauber schein verloren zu gehen.
Ich habe mittlerweile selbst Gewitterkerzen gegossen und alle für mich wichtigen Gewitterkräuter hineingestreut. Auch der Kräuterbuschen hängt einsatzbereit in meiner kleinen Kräuterküche. Angesichts der Unwetter ist es vielleicht an der Zeit, alte Traditionen wieder zum Leben zu erwecken!
Eure Mirjam
Text: Mirjam Reus, Foto: Wolfgang Stein