Von einem Amerikaner bekam ich unlängst zu hören, das Leben sei zu meistern „with humour and sportsmanship“. Typisch burschikose Haltung, wie man sie von Amerikanern kennt? Weit gefehlt.
Humor hat durchaus philosophische Wurzeln und die liegen in der Antike, genauer gesagt unter anderem bei Horaz, der die damit verbundene philosophische Lebenspraxis auf den Punkt gebracht hat:
„Verum ridentem dicere.“
(Das Wahre ist lachend zu sagen.)
Und da die Philosophen sich viel zu wenig mit Humor befassen, ich aber gerade Humor im philosophischen Denken sowie im Leben überhaupt für wichtig halte, möchte ich zehn Thesen zum Humor aufstellen.
Wobei selbstverständlich sein dürfte, dass Humor nicht zu verwechseln ist mit Büttenreden auf so genannten Karnevalssitzungen, auch nicht mit „Comedy“-Schwachköpfigkeiten und den berüchtigten Schenkelklopfern.
Also:
1. Humor hat zur Voraussetzung, von den Dingen des Lebens nicht in Beschlag genommen zu sein, also auch die Fähigkeit und Bereitschaft, sich nicht von ihnen in Beschlag nehmen zu lassen.
2. Nicht in Beschlag genommen zu sein, bedeutet, eine Loslösung von den Dingen als auch von sich selbst vollzogen zu haben.
3. Von den Dingen sich gelöst zu haben, heißt auch, ganz bei sich zu sein, sich zu haben und sich zu wissen. -
Denn: Nur wer auch bei sich ist, vermag es, sich von sich zu lösen.
4. Sich von sich lösen können, macht wiederum frei und unbefangen für die Dinge des Lebens.
5. Unbefangen und frei zu sein, setzt Distanz voraus. Humor ist folglich eine Frage der Distanz und somit der Selbst-Distanz.
6. Distanz setzt Relativtät in mehrfacher Hinsicht voraus:
Relativität im Sinne eines negierenden Aktes des Relativierens bedeutet zum einen, den Dingen des Lebens ihre Absolutheit abzusprechen, und zum anderen, das eigene Verhältnis zu ihnen zu zerschlagen bzw. aufzulösen, d. h. die eigene Position ebenfalls zu relativieren. Relativieren meint dabei eine Umkehrung, also die einmal getroffene Wertschätzung und auch Tabuisierung in Hinblick auf die Dinge des Lebens umzukehren, ihnen die Wichtigkeit, Einmaligkeit und Besonderheit abzuerkennen. Diese Aberkennung wertet die Dinge des Lebens wieder auf, weil es sich auch hier so verhält, dass eine Loslösung von den Dingen ihre Zuwendung und eigentliche Aufwertung erst möglich macht, aber die Notwendigkeit dazu entfällt.
7. Humor nimmt folglich den Dingen des Lebens und den Lebenstatsachen ihre Schärfe, ihre Übermacht und Bedeutung.
Im Humor vollzieht sich ein Akt der Zerschlagung der Dinge des Lebens und der Lebenstatsachen und ermöglicht dadurch die Neuzusammensetzung.
8. Im Humor drückt sich nach landläufiger Meinung Gelassenheit aus. Die Leute glauben, man "müsse die Sache eben mit Humor nehmen", Humor zu haben, übersehen aber dabei, dass sie der Konvention seiner provinziellen Stereotypisierung nicht entronnen sind. "Eine Sache mit Humor nehmen" bleibt also bloße Attitüde, mit der sie die Lebenstatsachen einzuschätzen vermeinen, d. h. sie verkennen den Ernst des Lebens bzw. behalten ihn formal bei und haben sich von den Dingen des Lebens noch nicht gelöst.
Ihr konventioneller Humor verrät Anpassung und bleibt den Dingen verbunden, er ist Scheinhumor, da er auf traditionelle Werte und Tabus gleichermaßen fixiert ist. Denn, nur indem die Lebenstatsachen in ihrer wahrhaften existentiellen Bedeutung anerkannt und aberkannt sind, können sie durch Humor gesteigert und auch negiert zugleich werden.
9. Humor und Negation sind also nicht voneinander zu trennen, gehören wesentlich zusammen. Negation beeinhaltet nicht nur ein simples "Nicht-so-wichtig-Nehmen", also Gelassenheit, sondern vollzieht sich in drei Schritten:
• Die Anerkennung einer Lebenstatsache,
• deren Aberkennung und
• die anerkennende Aberkennung bzw. die aberkennende Anerkennung, in Form der Übertreibung, der Überzeichnung, aber auch der Untertreibung und Herabwürdigung.
Dadurch zeigen sich für uns die Lebenstatsachen verändert:
Sie werden in ihrer ursprünglichen Wertschätzung bzw. Tabuisierung anerkannt, ihrer enthoben (Zerschlagung) und erscheinen dadurch in ihrer Relativität in bezug auf andere Lebenstatsachen. Insofern manifestiert sich im Humor eine Erkenntnisleistung in bezug auf die Lebenstatsachen, denn durch die Relativität werden sie erst sichtbar.
10. Humor und Lachen. Wir lachen, wenn ein Ding unerwartet oder in einer dafür unpassenden Umgebung erscheint, wenn also ein vertrauter oder üblicher Zusammenhang zwischen einem Ding und seiner Umgebung aufgelöst wird und das Ding in einen unerwartet neuem Zusammenhang gebracht wird. Man spricht von Verdrehung. Diese Verdrehung setzt aber genaue Kenntnis von den Lebenstatsachen und den Dingen des Lebens voraus, d. h. die Kenntnis ihrer Relativität. Und wie erkennen wir die Relativität, der Dinge des Lebens?
Indem sie in Unordnung gebracht wurden, auch indem wir sie entbehren mussten, weil sie uns genommen wurden, d. h. ihr, der Relativität, ging ein Verlust von Sicherheit und Vertrautem, ein unterwandernder Zweifel oder eine Leidenserfahrung voraus.
Wenn wir etwas erlitten haben, können wir darüber hinweggehen, uns davon fortentwickeln und befreien.
Von diesem neu gewonnenen Standpunkt hallt unser Lachen aus der Distanz zu den Lebenstatsachen wider, in den und außerhalb derer wir zugleich sind.
Humor meint also nicht die bloße Bereitschaft zum Bekichern irgendwelcher Kalauer oder platttkomischen Situationen, sondern die tiefe Einsicht und Weisheit, dass alles auf der Welt zweitrangig ist.
Quelle: Philosophie Blog -