Liebe, Gott und Quantenphysik
Etwas lang, aber sehr interessant, lesenswert und lehrreich:
Der Quantenphysiker Amit Goswami, Professor für theoretische Physik an der University of Oregon, beschreibt in seinem Buch „Das bewusste Universum“ die grundlegenden Erkenntnisse der Quantenphysik und ihre nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Wirkungskraft unseres Bewusstseins – und zur Erklärung Gottes.
Die Quantenphysik - könnte man in Anlehnung an Goethe sagen - widmet sich der Frage, was unsere materielle Welt im Innersten zusammenhält. Laut Amit Goswami sprechen die Ergebnisse jahrzehntelanger Forschung in der Quantenphysik eindeutig für folgende Antwort: Was unsere Welt im Innersten zusammenhält, ist ein allumfassendes Bewusstsein, das alles enthält, was wir mit unseren Sinnen und Messinstrumenten erfahren können. Mit anderen Worten:
Am Anfang ist nicht Materie sondern Bewusstsein. Er belässt es in seinem Buch nicht bei philosophischen Betrachtungen, sondern erläutert auch ganz konkrete, teilweise berühmte Experimente, deren Ergebnisse ziemlich verrückt anmuten und noch heute den meisten Forschern auf diesem Gebiet einiges Kopfzerbrechen bereiten. So hat man beispielsweise in ausgeklügelten Experimenten immer wieder nachweisen können, dass ein Teilchen, das beobachtet wird, sich erst in jenem Moment manifestiert, in dem es beobachtet wird – vorher ist es nur als Möglichkeit beschreibbar, d. h. man kann nur sagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit es an verschiedenen Orten anzutreffen wäre, wenn man dort eine Messung vornehmen würde, um es aufzuspüren. Das Verrückte ist: Solange es sich noch nicht an einem einzigen Ort durch die konkrete Beobachtung eines bewussten Beobachters manifestiert hat, zeigt es an all diesen möglichen Orten trotzdem indirekt nachweisbare Wirkungen. Das heißt, man kann eindeutig nachweisen, dass „das Teilchen“ existiert, aber eben noch nicht in der Welt der Materie. In diesem Fall sprechen die Physiker deshalb noch nicht von einem Teilchen, sondern von einer „Wahrscheinlichkeits-Welle“. Wie bitte?
Das klingt ziemlich abstrakt und scheint erstmal keine Bedeutung für unseren Alltag zu haben. Deshalb möchte ich versuchen, die experimentellen Ergebnisse mit folgendem Bild zu verdeutlichen: Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich zusammen mit Freunden auf einer Expedition in einem unermesslich grossen Dschungel. Das Ziel Ihrer Expedition ist, ein einzigartiges Tier aufzuspüren, das sich irgendwo in den Weiten des Dschungels aufhält. Deshalb haben Sie und Ihre Freunde sich weiträumig verteilt und sind per Funk verbunden. Mit Hilfe eines tragbaren Gerätes können Sie jederzeit sehr schnell DNA-Analysen vor Ort vornehmen. Dies erlaubt Ihnen, gefundene Spuren eindeutig ihrem gesuchten Tier zuzuordnen oder als falsche Fährte zu verwerfen. Eine Verwechslung mit seinen Artgenossen ist somit ausgeschlossen. Solange niemand von Ihnen das Tier gesichtet hat, finden Sie zu Ihrem grossen Erstaunen seine Spuren mal hier mal dort - seine frischen Spuren sind sogar an voneinander sehr entfernten Orten gleichzeitig auffindbar, obwohl es für unser exotisches Tier völlig unmöglich ist, diese Wegstrecke so schnell zurück zu legen.
Genau diese verrückt anmutenden Phänomene sind in der subatomaren Welt der Elektronen, die den Atomkern wie Planeten ihre Sonne umschwirren, in entsprechenden Experimenten immer wieder nachgewiesen worden: Solange ein Physiker den genauen Aufenthaltsort eines Elektrons noch nicht gemessen hat, verhält sich das Elektron wie unser exotisches Tier im Dschungel: aufgrund seiner eindeutigen Spuren scheint es überall und nirgends zu sein – bis es das erste Mal „gesichtet“, d. h. gemessen wird. Das ist der erste Widerspruch, den die klassische Physik nicht zu erklären vermag: Obwohl das Elektron unmöglich an mehreren Orten gleichzeitig sein kann, haben Wissenschaftler immer wieder nachweisen können, dass genau dies der Fall ist. Diese vielfach experimentell bestätigten Ergebnisse bereiten den Quantenphysikern einiges Kopfzerbrechen – denn sie stellen unser Weltbild auf den Kopf und sind mit der klassischen Physik nicht vereinbar.
Da gibt es nämlich noch mehr, was eine überraschende Vereinigung von Wissenschaft und Religion bzw. Spiritualität nahe legt. So haben Quanten die Eigenschaft, gleichzeitig an zwei oder mehr Orten sein zu können. Schießt man also ein einzelnes Teilchen auf eine scheinbar undurchdringliche Metallplatte, die zwei z. B. einen Meter Abstand voneinander haben, fliegt ein- und dasselbe Teilchen gleichzeitig durch beide Löcher (oder auch drei oder vier …). Sie existieren eigentlich nicht, es sei denn, wir beobachten sie (klingt total abgedreht, ist aber so). Also sie manifestieren sich sozusagen erst, wenn wir sie als Teilchen beobachten. Dann können Quanten an einem Ort verschwinden und in exakt dem gleichen Augenblick an einem anderen Ort auftauchen (sie können sich also irgendwohin „beamen“). Und sehr sonderbar ist auch, dass bei zwei zueinander gehören Quanten, werden sie getrennt und tausende Kilometer voneinander weg transportiert, ein unglaubliches Phänomen zutage tritt: Wird eines der „Zwillingsteilchen“ in seiner Drehung gestoppt oder die Drehung verändert, macht das andere Teilchen exakt das gleiche in der haargenau gleichen Sekunde. Und keiner weiß, wie und auf welchem Weg es davon erfährt, was mit seinem Zwillingsteilchen passiert. (Wie gesagt, das funktioniert auch, wenn eines der Teilchen in Genf und das andere auf der anderen Seite der Welt in Sydney ist.)
Zurück zu Ihrer Expedition. Das zweite überraschende Ergebnis Ihrer Jagd nach dem außergewöhnlichen Tier ist folgendes: Sobald einer Ihrer Kollegen oder Sie selbst das Tier tatsächlich beobachtet haben, sind von unserem Tier keinerlei Spuren mehr irgendwo sonst im Dschungel nachweisbar – das Tier hat sich an dem Ort, an dem es zum ersten Mal wahrhaftig beobachtet wurde, offensichtlich manifestiert, und seine Spuren sind nur noch im nahen Umkreis auffindbar. Ein wenig erinnert dieses Beispiel an den Bären, der dieses Jahr eine Weile zwischen Österreich, Tschechien und Deutschland hin und her wanderte und die Jäger bemerkenswert lange zum Narren hielt.
Goswami selbst hat über fünfzehn Jahre mit der Erschütterung seines eigenen Weltbildes gerungen, bevor er fähig war, ein umfassendes Verständnis dieser Ergebnisse mit Hilfe einer Theorie zu entwickeln, die im wesentlichen die Erkenntnisse westlicher und östlicher Mystiker bestätigt. Es würde den Rahmen dieses Textes sprengen, die Theorie und die Experimente hierzu in all ihren Einzelheiten zu erläutern. Deshalb möchte ich mich hier auf ihre Kernaussage beschränken:
Allem Sein, allem, was wir überhaupt mit unseren Sinnen erfahren können, liegt ein allumfassendes Bewusstsein zugrunde, das durch Gewahrwerden der Wirklichkeit diese Wirklichkeit erst erzeugt. Im Akt des Beobachtens manifestiert sich erst das Beobachtete. Wie Bitte? Das heißt ja, dass mein Frühstücksei erst in dem Moment beginnt zu existieren, in dem ich mich ihm zuwende, um es zu pellen. Nein, würde Amit Goswami sagen. Es manifestierte sich auch vorher schon, und zwar in jenem Augenblick, als ich es ins kochende Wasser legte. Es manifestiert sich immer dann, wenn sich jemand mit bewusstem Gewahrsein dem Frühstücksei zuwendet. Während ich dies schreibe, bäumt sich wieder mein bewusster Menschenverstand dagegen auf. Was ist denn mit dem Ei, während es noch im Kühlschrank lagert? Existiert es in diesem Moment nicht mehr? Nein, sagt die Quantenphysik. Nur als starkes Potential, sich im Moment des bewussten Gewahrwerdens wieder als Frühstücksei zu manifestieren.
Wozu diese Gehirn-Akrobatik, mögen Sie zu recht fragen. Und Sie haben Recht. Diese Gehirnakrobatik ist auf der Ebene der für uns sichtbaren Objekte wirklich nicht notwendig. Sie wird erst bedeutend, wenn wir als Quantenphysiker untersuchen, was unsere Materie im Innersten zusammenhält. Und dort geschehen Phänomene, die nur noch damit erklärbar sind, dass ein Elektron sich erst im Augenblick der Messung – sprich der Beobachtung – manifestiert. Wenn also die kleinsten Bausteine unserer Welt erst im Akt des Bewusstseins entstehen und sich ansonsten in einer Weise gebärden, die nur dadurch erklärbar ist, dass sie nicht materialisiert sind, sondern nur noch als Möglichkeit zur Materialisierung an verschiedensten Orten gleichzeitig existieren, dann ist das für mich Grund genug, den scheinbar festen Boden meiner Alltagswirklichkeit zu hinterfragen – trotz der scheinbaren Daseinskonstanz meines Frühstückseis (zumindest bis zum Augenblick des Verzehrs).
Amit Goswami erläutert die nachweisbare Daseinskonstanz größerer Objekte wie die meines Frühstückseis damit, dass mit zunehmender Zusammenballung von Materie deren Flexibilität, auch mal an einem anderen als dem erwarteten Ort zu erscheinen, abnimmt, aber theoretisch nicht ausgeschlossen ist. Das muss man sich wie bei einem Menschenmenge vorstellen, die sich beispielsweise aufgrund eines spannenden Fußballspiels für eine begrenzte Zeit bildet. Natürlich ist es rein theoretisch denkbar, dass all die Menschen, die sich da zusammengefunden haben, drei Stunden später in derselben Zusammensetzung wieder eine Menge bilden. Aber eben nur rein theoretisch. Es braucht auch einen Anlass hierfür, der die Menschen gemeinsam dazu anregt, zu einem gegebenen Zeitpunkt wieder dieselbe Zuschauermenge zu bilden. Wenn wir uns jetzt wieder auf die Ebene der Elektronen auf subatomarer Ebene begeben, hat dieser Anlass, sich in bestimmter Weise komplex oder einfach als Materie zu manifestieren, seinen Ursprung im Bewusstsein.
Zusammenfassend können wir also festhalten: Bewusstsein ist der Ursprung allen Seins. Am Anfang ist Bewusstsein. Nur mit dieser Annahme lässt sich eine der wichtigsten und unbestreitbaren Erkenntnisse der Quantenphysik widerspruchsfrei erklären: Beobachter und Beobachtetes sind nicht von einander unabhängig. Der Beobachter nimmt durch den Akt des Beobachtens Einfluss auf das Beobachtete - ja es ist sogar so, dass erst durch das bewusste Gewahrwerden eines Objektes dieses sich manifestiert. Vorher ist es nur Potential, nur eine Möglichkeit, aber es ist noch nicht „auf die Welt gekommen“.
Und jetzt möchte ich auf meine Frage, die ich im Titel meines Leserbriefes gestellt habe, zurückkommen: Könnte es sein, dass die Quantenphysik der Liebe auf der Spur ist? Davon bin ich überzeugt, denn die Forschung der Quantenphysik bestätigt, was östliche und westliche Mystiker seit Menschendenken erfahren haben und lehren, nämlich dass im Grunde alles Eins ist, dass es nur ein Bewusstsein gibt, dass wir alle auf energetischer Ebene untrennbar miteinander verwoben sind und nur unterschiedliche Facetten des Einen Bewusstseins sind, von dem wir uns mehr oder weniger stark abgetrennt und entfernt haben. Wenn wir gewahr werden, dass das sich selbst bewusste Universum im Grunde nur sich selbst betrachtet, wenn wir einander begegnen und sich unsere Blicke treffen, wenn wir begreifen, dass wir durch unser Gewahrwerden uns selbst in jedem Augenblick von Neuem erschaffen, sind zumindest gute Voraussetzungen geschaffen, liebevoll dem Rest unserer Welt zu begegnen. Damit erhalten auch tiefe Erkenntnisse und Weisheiten des Christentums (und anderer Religionen und Weisheitslehren wie z. B. dem Buddhismus etc.) eine verblüffende, vor allem aber auch naturwissenschaftlich fundierte Bedeutung.
Ob wir diese Chance nutzen, bleibt allerdings uns selbst überlassen, denn wie schon Jean-Paul Sartre einmal so schön formulierte: „Wir Menschen sind zur Freiheit verurteilt.“
Wer sich auf unterhaltsame und zugleich inspirierende Weise in das Weltbild der Quantenphysik entführen lassen will, dem lege ich den Film „What the Bleep do we (k)now!? – Ich weiß, dass ich nichts weiß!“ ans Herz (mittlerweile als DVD erhältlich und auszuleihen). Amit Goswami kommt in diesem Film übrigens ebenfalls zu Wort.