Ostdeutschland oder Not macht Freunde
Ich bin vor dem Fall des Eisernen Vorhanges mit einem Visum für die Volksrepublik Polen im Zug nach Schlesien gefahren. Trotz meines politisch-geschichtlichen Interesses war ich praktisch ein "vollblutiger Greenhorn-Wessi".
Verpflegung gabs nirgends zu kaufen und der Zug war in der "DDR" so rappelvoll, daß ich neben meinem Koffer fast nur auf einem Bein stehen konnte. Mir wars schlecht vom Stehen und vor Durst.
Eine "DDR-Familie", er polnischer Schlesier, sie Sächsin haben mich angesprochen; sie hatten reserviert.
Eins der Kinder wurde auf den Schoß des andern gesetzt und ich hatte nen Minisitzplatz und hab Wasser und Tomaten aus dem Schrebergarten und Radischen und ein Wurstbrot bekommen. Ich war zwar als Wessi geoutet worden, aber mein echtes Interesse führte dazu, daß als die Familie vor der Demarkationslinie ausstieg, die Adressen getauscht wurden.
Schlesien ist ein Kapitel für sich, aber die Familie wohnte in Taucha und da habe ich sie während des Mauerfalls öfter besucht. Ich habe da die auslaufende "DDR-Solidarität" der einfachen Leute "von unten" kennenlernen dürfen.
Wie schön wäre es gewesen, wenn dieser Geist, für den wirklich nächsten da zu sein, ein gesamtdeutscher Impuls geworden wäre. Er ist in Geld, Gier und Mißtrauen untergegangen. Die Freundschaft zu der Familie in Taucha ist versandet und verschwunden.
Egoismus und Selbstsucht gabs früher auch, mußte aber getarnt werden. Heute nennt sich das Selbstverwirklichung.