Aus gegebenem Anlass ...
... zum wiederholten Male:
Evelyne Reberg, eine französische Autorin, erzählt in einem ihrer Bücher von einem Drachen, der in ein Dorf einzieht und schon bald die Dorfbewohner mit seinem nicht enden wollenden Gesang so sehr stört, dass sie nachts nicht mehr schlafen können. Verzweifelt versuchen die Dorfbewohner zunächst, den Drachen zum Schweigen zu bringen, in dem sie ihm eine gewaltige Menge Kartoffelbrei kochen, in der Hoffnung, er möge daran ersticken. Als dies nicht gelingt, versuchen sie ihn unter einer Glocke einzuschließen. Nachdem auch das missglückt, bieten sie ihm ausreichend Wein an - natürlich nicht aus Gastfreundschaft, sondern mit dem Hintergedanken, ihn auf diese Weise einschläfern zu können. Aber auch dieser Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen, ist vergeblich. Erst als ein kleines Mädchen die einfache Idee hat, den Drachen zu bitten, mit dem Singen aufzuhören, weil sonst niemand im Dorf schlafen kann, hat es mit dem Gesang ein Ende - und die erstaunten Dorfbewohner finden wieder ihre Ruhe.
Diese Geschichte ist für mich ein schönes Beispiel für das, was Marshall B. Rosenberg „Gewaltfreie Kommunikation“ genannt hat. Sie soll dazu dienen, das gegenseitige Einfühlungsvermögen in Konfliktsituationen zu erhöhen, um so eine Lösung zu finden, die den Bedürfnissen aller Konfliktparteien gerecht wird, bevor die Lösung mit dem „Knüppel“ gewählt wird. Die vier Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation sind folgende:
1.) Teile dem anderen mit, was du beobachtet hast: Wenn Du durch das Verhalten eines anderen irritiert bist, dann beschreibe zunächst das Verhalten, das dich irritiert und die konkrete Situation, in der es aufgetreten ist. „Hallo Drache, die letzten zwei Nächte hast du so laut gesungen, dass es im ganzen Dorf zu hören war und wir alle nicht schlafen konnten.“
2.) Teile dem anderen mit, was du empfunden hast: Beschreibe als Nächstes, wie es Dir persönlich damit geht bzw. was das Verhalten und die Konsequenzen davon in Dir an Gefühlen auslöst. „Wenn ich nachts wegen Deinem Gesang nicht schlafen kann, werde ich gereizt und fühle mich am nächsten Tag erschöpft und übermüdet. Ich merke, dass ich richtig ärgerlich auf dich werde.“
3.) Teile dem anderen mit, was dein Bedürfnis ist: Informiere dann den anderen darüber, was durch sein Verhalten nicht genügend berücksichtigt wird bzw. unerfüllt bleibt. „Ich muss nachts ausreichend lange schlafen können, damit ich mich am nächsten Tag frisch und ausgeruht fühle und guter Laune bin.“
4.) Teile dem anderen mit, was du dir wünschst: Lass ihn wissen, was Du dir aufgrund Deiner Bedürfnisse vom anderen wünschst. „Ich wünsche mir, dass du nachts nicht mehr singst, damit ich mal wieder schlafen kann“.
In einer Konfliktsituation wird natürlich selten so sortiert gesprochen. Stattdessen wird all diese Information zu einem einzigen allgemeinen Vorwurf verdichtet. („Immer musst du singen!“). Die konkrete Situation wird durch Verallgemeinerungen vernebelt („immer, nie“). Das eigene Empfinden drückt sich eher indirekt in einem vorwurfsvollen Unterton, dem bösen Blick, der gereizten Stimmlage und der abwertenden Wortwahl aus („Ich kann deinen Gesang nicht mehr ertragen! Dieses Gekrächze jede Nacht. Das hält ja kein Mensch aus!“). Die Enttäuschung, die Verletzung, das Bedürfnis darunter wird jedoch häufig verschwiegen („ich fühle mich wie gerädert, kraftlos, erschöpft, ...“).
Anstatt eines klar geäußerten Wunsches („Singe doch bitte nicht mehr nachts, damit wir wieder zu unserem Schlaf kommen“) wird geschimpft, gedroht, gejammert, mit Dritten über den Drachen gelästert, ohne ihn selbst zu informieren: „Der hat nie gelernt, auf andere Rücksicht zu nehmen. Was für ein Egoist!“ oder „Der macht das bestimmt nur, um uns zu ärgern!“
Vielleicht kann es manchen als kleine Anregung dienen? Mir hilft diese Geschichte immer wieder aufs Neue ...
(Der Antaghar)