Vielleicht der innere Kern von Liebe?
Bei einer Veranstaltung an einer Schule für Kinder mit Lernschwierigkeiten hielt ein Vater eine Rede, die so schnell keiner der Anwesenden vergessen wird.
Nachdem er die Schule und ihre Mitarbeiter in höchsten Tönen gelobt hatte, stellte er folgende Frage: "Wenn keine störenden äußeren Einflüsse zum Tragen kommen, gerät alles, was die Natur anpackt, zur Perfektion. Aber mein Sohn Dany ist nicht so lernfähig wie andere Kinder. Er ist nicht in der Lage, die Dinge so zu verstehen wie andere Kinder. Wo ist die natürliche Ordnung der Dinge bei meinem Sohn?"
Das Publikum war angesichts dieser Frage vollkommen stumm.
Der Vater fuhr fort: "Ich bin der Meinung, wenn ein Kind so ist wie Dany, mein Sohn, das geistig und körperlich behindert zur Welt kommt, dann entsteht die Möglichkeit, wahre menschliche Natur in die Tat umzusetzen. Und es liegt nur daran, wie die Menschen dieses Kind behandeln."
Dann erzählte er die folgende Geschichte: Dany und ich kamen einmal an einem Park vorbei, in dem einige Jungs Fussball spielten. Dany fragte: "Glaubst du, die lassen mich mitspielen?"
Ich wusste, dass die meisten der Jungen jemanden wie Dany nicht in ihrer Mannschaft haben wollen, aber als Vater war mir auch klar: Wenn mein Sohn mitspielen durfte, dann würde dies ihm ein Gefühl der Dazugehörigkeit geben, nach dem er sich so sehr sehnte. Und es würde ihm auch die Zuversicht geben, trotz seiner Behinderung von anderen akzeptiert zu werden.
Ich ging also zu einem der Jungen auf dem Spielfeld und fragte, ohne allzu viel zu erwarten, ob Dany mitspielen könne. Der Junge, offenbar der Kapitän eines der beiden Teams, schaute sich hilfesuchend um und sagte: "Na ja, wir liegen sowieso 0 : 4 hinten und es sind noch zehn Minuten zu spielen. Da haben wir wohl keine Chance mehr. Ich glaube schon, dass er mitspielen kann. Wir werden ihn einwechseln, ich bin sowieso platt und geh raus."
Dany ging zur Bank der Mannschaft und zog sich mit einem breiten Grinsen ein Trikot des Teams an.
Ich sah ihm dabei mit Tränen in den Augen zu. Und die Jungs sahen, wie ich mich freute, weil mein Sohn mitspielen durfte.
Sein erster Ballkontakt ging total daneben. Dany wollte aufs Tor schießen, traf den Ball aber nicht richtig. Doch er kullerte zufällig einem freistehenden Mitspieler vor die Füße, der zum 1 : 4 einschoss und Dany dankbar umarmte. Auch wenn Dany den Ball gar nicht richtig getroffen hatte, war er doch begeistert, dass er mit dabei sein durfte und irgendwie zu einem Tor beigetragen hatte. Und er grinste bis zu beiden Ohren, als ich ihm vom Spielfeldrand aus zuwinkte.
Zwei Minuten später schoß Danys Mannschaft noch ein Tor: nur noch 2 : 4. Der Fehler von Dany, der zum 1 : 4 geführt hatte, hatte seiner Mannschaft irgendwie neuen Mut gegeben, und plötzlich spielte sie sich in einen Rausch. Auch wenn Dany meist nur hilflos hin- und herlief und eher zufällig mal über den Ball stolperte, freut er sich riesig und war überglücklich. Und bei jedem Tor jubelte er begeistert mit, als mache er das an jedem Tag.
Als drei Minuten vor Schluss völlig überraschend das 3 : 4 fiel, wurde die gegnerische Mannschaft nervös und fürchtete um den Sieg. Und in diesem Zustand war es für einen Stürmer von Danys Mannschaft kein Problem, eine Unachtsamkeit der Gegner auszunützen und zwei Minuten später den Ausgleich zum 4 : 4 zu markieren.
Und dann geschah etwas Unfassbares, was die Welt verändern könnte, wenn es öfter geschehen dürfte. Es gab in der letzten Minute des Spiels einen Elfmeter für Danys Mannschaft. Und der Kapitän seines Teams lief aufs Spielfeld, nahm Dany in den Arm und sagte ihm, er solle den Elfer schießen. Wenn er träfe, hätten sie das Spiel völlig überraschend doch noch gewonnen. Wenn nicht, würden sie zwar nicht gewinnen, hätte aber dank ihm wenigstens ein Unentschieden erreicht. Deshalb habe er es verdient, jetzt den Elfmeter schießen zu dürfen.
Als Dany allerdings an den Elfmeterpunkt trat, merkte der gegnerische Torwart rasch, dass Dany diesen Elfer wohl niemals verwandeln würde. Und so geschah es denn auch: Dany nahm Anlauf und traf nicht einmal den Ball. Der Schiedsrichter bestand auf Wiederholung, denn der Spieler habe den Ball gar nicht getroffen. Das Spiel wäre nun gleich zu Ende, nur noch der Elfmeter dürfe ausgeführt werden. Allerdings dürfe das kein anderer Spieler. Der gleiche Spieler müsse erneut schießen.
Und so musste Dany noch einmal ran. Der Kapitän ging zu ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er erklärte ihm, wie er den Ball am besten trifft. Dann ging er zum gegnerischen Torwart und flüsterte auch ihm etwas ins Ohr. Der grinste breit und nickte nur.
Dany lief an und schoss. Diesmal traf er den Ball, und nicht mal so übel. Aber es wäre niemals ein Treffer für sein Team geworden, der Torwart hätte den Schuss leicht und mühelos abwehren können. Doch er warf sich zwar martialisch auf den Ball, ließ ihn aber unter seinem Körper durchrutschen. Der Ball rollte hinter ihm weiter in Richtung Tor, der Tormann hechtete hinterher, verfehlte ihm knapp – und der Ball passierte die Linie. Tor! 5 : 4 für das Team von Dany. Und er hatte den Siegtreffer erzielt.
Alle umarmten ihn, trugen ihn auf den Schultern vom Platz und jubelten ihm zu und feierten ihn als den Held des Tages.
"An diesem Tag", so beendet der Vater seine Erzählung, während ihm die Tränen übers Gesicht liefen, "brachten die Spieler von beiden Mannschaften ein Stück wahrer Liebe und Menschlichkeit in Danys Welt."
Der Junge erlebte keinen weiteren Sommer mehr. Er starb im folgenden Winter. Aber er hatte nie vergessen, wie es war, ein Held zu sein und und zu erleben, wie seine Mutter ihren kleinen Helden unter Tränen umarmte, als er nach Hause kam!"
*****
NUN NOCH EINE KLEINE ANMERKUNG ZU DIESER GESCHICHTE:
Wir alle schicken Tausende von Witzen oder oberflächlicher Mitteilungen per E-Mail durch die Gegend, ohne darüber nachzudenken, schreiben Beiträge im Joyclub über alles mögloiche - aber wenn es darum geht, Anregungen in Bezug auf Lebensentwürfe zu verschicken, dann zögern die meisten.
Aber wir alle haben tagtäglich Tausende von Möglichkeiten, die "natürliche Ordnung der Dinge" zu verwirklichen. Viele scheinbar triviale zwischenmenschliche Kontakte stellen uns vor die Wahl:
Geben wir ein bisschen Liebe und Menschlichkeit weiter?
Oder verpassen wir diese Chance und machen die Welt dadurch ein bisschen kälter?
Die Jungs der beiden Fußballteams haben dieser Welt etwas Licht, viel Herzenswärme, Güte und Liebe geschenkt. Das ist für mich der Kern dessen, was wir Liebe nennen – egal ob in unseren Beziehungen und Familien oder in erotischen Begegnungen. Wenn dieses Licht dabei ist, dann ist Liebe dabei. Wenn nicht, dann mag es Verliebtheit sein oder Geilheit oder was auch immer, aber Liebe ist es dann nach meiner Meinung nicht.
(Der Antaghar)