Sankt Johannistag - II. Johannisschlüssel
Johannistag, der sonnenwarme,
Hat alle Blumen aufgeküßt.
O sei in deines Jünglings Arme
Du schönste Blume, mir gegrüßt!
Der Schlüssel blüht heut wenig Stunden,
Der in die Zauberhöhle führt.
Du hast den Talisman gefunden:
Mein Herz sprang auf, als du's berührt.
Dir steht die Wundergrotte offen.
Komm, nimm was Alles dir gefällt:
Mein Lieben, Sehnen, Fürchten, Hoffen,
Und was für Schätze sie enthält.
Mein leuchtend Lied tritt dir entgegen,
Mit Kranz und Blumenstrauß geschmückt.
Es bringt dir den Johannissegen,
Den ich im tiefen Schacht gepflückt.
Einst Sankt-Johannes aus der Wüste
Hinab zum stillen Jordan ging
Und fromm das Heil der Welt begrüßte,
Das er am heil'gen Strom empfing.
Und in die gottgeweihten Hände
Des Wassers klare Welle stoß,
Die er dem Herrn als Himmelsspende
Auf die verklärte Stirne goß.
Da senkte sich das Glanzgefieder
Der Taube von des Vaters Thron,
Und eine Stimme drang hernieder:
Das ist der ew'gen Liebe Sohn! —
So grüß' auch ich am sonnenhellen
Johannistage dich mit Lust.
Und gieße dir der Liebe Wellen
Als Taufe über Haupt und Brust.
Da thut dir einer Stimme Tönen
Die tröstliche Verheißung kund:
Die Liebe zieht dich in des Schönen
Und Wahren ewig sel'gen Bund.
Ludwig Storch
Aus der Sammlung Liebesgedichte