Ja, so war das damals... oder nicht...?
Es mutet tatsächlich irgendwie seltsam an, wenn man hier die Erinnerungssplitter liest, die zum Teil 50 und mehr Jahre zurückleuchten....
Seltsam deshalb, weil sich bislang vorwiegend Erinnerungen aus den westlich gelegenen Ländern stammen. Seltsam deshalb, weil sie eigentlich kaum anders aussehen, als die, die ich nun als echte Ostpflanze kaum anders erlebt habe.
Nun ist es nicht wirklich seltsam, dass sich erinnerungen sehr ähneln, sondern eigentlich das, was man derzeit politisch in den Medien draus macht. Erinnert man sich im Osten in dieser Weise, dann ist es Ostalgie und ein ewig verklärtes Rückblicken in eine doch so grausam schlimme Zeit - zumindest will man uns das so erklären...
Und wenn ich dann lesen kann, dass es in Bayern und anderswo sehr ähnlich war, dann steigt der Ärger hoch, über das, was man und, vor allem aber der Jugend über den ach so finsteren Osten glauben machen will.... Nun will ich nicht unbedingt eine politische Debatte hier lostreten, aber es ist tatsächlich so, dass leider vieles so dargestellt wird, dass wir ja die armen und bemitleidenswerten und so schlimm unterdrückten Ostdeutschen waren.... Ich denke, ganz so, wie man es heut gern darstellen will, war es nicht!
Und ich sehe, dass man auch westlich der Werra auch zum recht spartanisch lebte und dabei gar nicht unzufrieden war.... Warum auch?
Das Leben lässt sich nicht auch einzelne Details reduzieren, ganz besonders dann nicht, wenn sie lediglich politisch als Mittel zum Zweck degradiert werden....
Ja zu meinen Erinnerungen, die in die 50-iger und 60-iger zurückreichen - also meine Kinderzeit...
Meine Eltern wohnten mit Vaters Eltern in einem kleinen aber eigenem Häuschen. Die Großeltern hatten 1 winzige Küche und ein etwas größeres Schlafzimmer im Obergeschoss. Es war klein aber sehr gemütlich. Unterm Herd im Kohlekasten wuchsen Jahr für Jahr die kleinen Hühnerkücken heran, die uns später frische Eier legen und noch später eine schöne Suppe oder einen lecker Brathuhn bescherten... Völlig normal in randstädtischer, etwas bäuerlich angehauchten Umgebung. Heut ein Unding - die Geflügelgrippe lässt grüßen.... Oma schnitt altbackenes Brot aus der Konsumbäckerei in kleine Würfel als Hühnerfutter. Ohne Hunger zu haben (!!!) ich fand es absolut lecker, den Hühner dieses trockene Brot wegzufuttern....
Und im Herbst im Dunkeln auf den Feldern Wasserrüben klauen - das war Nervenkitzel, denn hätte uns der Bauer erwischt, dann hätte es wohl was mit der Pferdepeitsche gegeben. Oder kräftiges Handauflegen auf den Allerwertesten hätte zum Nachdenken angeregt, dass man nicht klaut....
Ich sag nochmals - wir hatten keinen Hunger- es ging darum, einen Schabernack zu machen. Und Wasserrüben frisch aus der ganz kühlen erde und mit den Zähnen geschält - Abwaschen?Wozu....- das wer ein Genuss.... Und unsere kleine "Bande" hatte mehrere solch "Korken" drauf. Allerdings - das Klauen war Nervenkitzel, Mutprobe, Gruppenzusammenhalt usw. aber es beschränkte sich eben auf Wasserrüben, Äpfel und Birnen oder Erdbeeren - also nix was wirklich etwas wert gewesen wäre. Hätte man uns erwischt - naja Stubenarrest hätte es schon gegeben
Samstag war in den 50-igern Badetag zu Hause. Eine Zinkbadewanne passte quer gerade so in die kleine Küche und das Wasser wurde im Einkochtopf auf dem Herd warm gemacht. Naja und es wurde immer nur die Hälfte Wasser ausgeschöpft um für den nächsten heißes Wasser zuzugießen.... Aus heutiger Sicht - oh Gott...... In den 60-igern wurde dann der inzwischen leere Stall zum Bad mit Dusche und mit Badewanne ausgebaut. Ein Durchlauferhitzer sorgte dann für Warmwasser....
Am schönsten war aber immer die Weihnachtszeit und Vorweihnachtszeit.
Da ging es wirklich erst Ende November frühesten los. Klar die Geschenkwünsche gab es schon früher, aber weihnachtlich wurde es damals nicht schon im August......
Die Weihnachtspyramide wurde vom Boden geholt und beim Gärtner wurde ein Adventskranz geholt, oder er wurde von Oma auch selbst gebunden. Uralte Kerzenhalter zum anklippsen rot-goldene Bänder und ein Stab... wow, das brachte Stimmung.
Und Stollenbacken - das hatte was. Oma und Mutter sammelten die Zutaten, die es damals nicht so reichlich gab. Orangat und Mandeln - das gab es im Osten in den 50-igern udn auch in den 60-igern nun eher selten. Und da kam das Weihnachtspäckchen aus dem Westen willkommen, weil man das hohe C für den Stollen so einfach günstiger bekam. Wäre auch ohne gegangen oder mit "Ersatzstoffen" - aber mit Omas Bruder im Westen war das OK. Als Gegenleistung haben wir dann getrocknete Waldpilze "exportiert" die im Westen richtig teuer waren und Omas Bruder aß so gern Gulasch oder Rinderroulade mit Pilzsoße... So hatten beide Seiten was davon.
Auch wenn wir mit der Kirche nicht so viel am Hut hatten - ach wie schön waren die Weihnachtslieder zu den Adventsnachmittagen. Niemand störte sich an den Engeln und am Herren, den man ehrte. Alle sangen gerührt mit - bei der Betriebsweihnachtsfeier auch der Parteisekretär und der BGL-Vorsitzende (für nicht-Ossis - das war der Chef der Betriebs-Gewerkschaftsleitung -BGL-er genannt).
Auch wenn im ost-amtsdeutsch die Engel offiziell "Jahresendfiguren" waren - im Konsum oder der HO waren es für alle trotzdem Engel. Und Schallplatten mit den Thomanern (Leipziger Thomaner-Chor - ein sensationell guter Knabenchor der Leipziger Thomaskirche...) oder dem Dresdner Kreuzchor - die waren wirklich Mangelware und man war froh, da entsprechende Platte für 16,10 Mark der DDR (zum Teil aber auch für 12,10 Mark) zu ergattern. Aber mit etwas Glück bekam man die schon....
Und auch die Weihnachtsfeiern zum so genannten Pioniernachmittag (meist Mittwochs 16:00 Uhr) waren ganz sicher eher nicht sozialistisch angehaucht -auch wenn der Weihnachtsmann einen roten Mantel trug
.
Weihnachten verwässerte eigentlich erst nach der Wende zunehmend. Da verfiel viel dem Commerz - die Stimmung und der Reiz litten ganz arg. Und ehrlich, wer kann sich von August bis Dezember in Weihnachtsstimmung halten, zumal ab Dezember schon die ersten Osterhasen auftauchten.....
Selbst für die Kinder und Enkel schafft man es kaum, so richtige Weihnachtsstimmung aufzubauen - für die meisten zählen nur noch die Geschenke - pfeif auf Weihnachten....
Schade!
Sicherlich - vieles verklärt sich in der Vergangenheit. Aber das ist, so meine ich, nichts Schlimmes.
Unterm Strich war das meiste viel einfacher strukturiert, es war dunkler und weniger farbenfreudig. Aber gleichzeitig auch irgendwie gemütlicher.
So hat jede Zeit ihren eigenen Reiz.
Wir denken eigentlich gern zurück und wir können sagen, dass wir eigentlich nicht wirklich etwas vermisst haben, obwohl einiges fehlte. Der heutige Überfluss macht es schwerer zu genießen und etwas zu finden, was besonders herauszufiltern.
Wenn man zuviel hat, ist man nicht unbedingt zufriedener...
Aber es bleibt wohl auch vorwiegend das hängen, was man als schön empfand. Und das ist auch nicht ganz so schlecht
Wolf
der Biberzahn