Der Liebhaber, @cioccolata
Liebe Cioccolata,
auf meiner Suche nach den Gefühlen, die Frauen beim Betrachten von Pornos verspüren hast Du mir "Der Liebhaber" empfohlen und "WomaninBlack" hat bestätigt. Nun habe ich mir die CD zu Gemüte geführt.
Der Thread "Lust und Frust..." ist sicherlich nicht der beste Ort für meine Eindrücke, doch, es war hier, wo Du mir die Empfehlung gabst und deshalb will ich mich hier bei Dir bedanken:
Das ist ja großes Kino!
Der Regisseur, Jean-Jaques Annaud hat auch bei "im Namen der Rose" Regie geführt!
Deshalb ist der Film zunächst ein Genuß, den man eigentlich auf eine Kinoleinwand projiziert goutieren sollte. Wunderbare Aufnahmen aus einem exotischen Land. Es hat mich den ganzen Dreck der Vietnamkriege vergessen gemacht. Ich habe mich in die Zeit zurück versetzt gefühlt, in der Joseph Conrad seine Novellen geschrieben hat. Fantastische Wolkenszenen über einer total flachen subtropischen Mekong-Landschaft. Dicke, verhüllende, Rauchwolken aus dem Schlot eines Überseedampfers. Die Strassenszenen mit ihrem Menschengedränge. Nichts in dem Film ist Zufall. Alles systematisch und professionell geplant und ausgeführt. Die Flussfähre –ich erinnere mich nur zu zwei Anlässen an sie – wurde eigens für diesen Film gebaut! Der Ozeandampfer wurde aus dem fernen Russland angeheuert. Die Schauspieler wurden weltweit gesucht, und dort interviewt.
Großes Kino!
Die Story ist ein von Marguerite Duras geschriebener Traum:
Welches pubertierende Mädchen wünscht sich wohl nicht, von einem versierten Playboy initiiert zu werden? Wie's leider meistens läuft ist an erotischen Foren wie diesem zu lesen.
Welcher Mann wünscht sich nicht, das luxuriöse Leben eines Playboys zu führen, welcher Mann wünscht sich nicht eine Jungfrau, der er leidenschaftlichen Sex erschließt? Warum wohl wird bis zum heutigen Tag in so vielen Gesellschaftskreisen die jungfräuliche Braut idealisiert?
Tatsächlich wird ihr Wunsch auch erfüllt: sie braucht nicht, wie sie, im Internat heimlich nächtlich mit einer Vertrauten tuschelnd spekuliert, sich als Nutte in ein Bordell zu verdingen. Ein reicher Playboy spricht sie auf der Flussfähre an und ist sofort wie behext von ihr. Sie sieht später, wie er täglich in seiner Limousine vor ihrem Mädchenpensionat wartet, bis sie eines Tages zum Auto hingeht und die Tür öffnet.
Gleich von Anfang an macht sie klar, dass sie keine Liebe will. Sie will nur ihren ersten Sex. Welcher Mann wäre nicht gerne Lover einer solchen Jungfrau? Wieder kommt ihr ein mildes Schicksal zu Hilfe: Der Liebhaber ist Chinese und sie ist Französin. Ein gemeinsames gesellschaftlich anerkanntes Leben wäre unmöglich, was Joseph Conrad auch seinen "Lord Jim" spüren läßt.
Exotik pur.
Obwohl es ein großer Kinofilm ist kommen dann doch Bettszenen mit viel nackter Haut und Kopulation in FSK16 konformer Missionarstellung.
Aber: es wäre kein französischer Film, wenn nicht jene wunderbaren Momente zwischen und nach dem Sex sorgsam ausgearbeitet wären. Jene Momente, die dazu beitragen, dass Sex nicht nur aus tierischem Nehmen und genommen werden besteht, sondern zur seelisch befriedigenden Begegnung zwischen Mann und Frau wird. Französische Regisseure wie auch Jean-Jaques Annaud wissen das und vergessen es nicht!
Obwohl der Regisseur ein Mann ist, nehme ich an, dass er bei den Sexszenen durch die Augen einer Frau geschaut hat. Ihr Atem, ihre Mimik steht im Vordergrund. Sein Gesicht ist kaum zu sehen. Dafür gerät erstaunlich oft sein knackiges Hinterteil ins Gesichtsfeld, wie es genussvoll zwischen ihre gegrätschten Beine stößt. Kann ich mich da erinnern, wie sich Frauen heimlich zutuscheln "sieh 'mal: sein knackiger Arsch!"?
Primäre Geschlechtsorgane – für einen "Männerporno" so wichtig – sind überhaupt nicht zu sehen. Ob das steil aufgerichtete Glied, auf das wir Männer so stolz sind, eher selbstverständliche Nebensache ist, für eine Geliebte?
Mich persönlich hat die Erzählstimme erotisch ungemein angesprochen. Sie reflektiert die Empfindungen einer Frau während des Sex. Für mich als Mann wirkt das wie ein Spiegel: ich höre, was sie empfindet, während ich in ihr bin. Das ist als ob ich mir beim Sex im Spiegel zusehe. Ob es wohl ein Kunstgriff ist, dass die Erzählstimme vom persönlichen "ich" in das etwas distanziertere "sie" wechselt, während des ersten Sex? Bei ähnlichen Situationen im weitern Verlauf des Films bleibt die Erzählerin beim "ich".
Zum Schluß des Filmes ruft seine Familie ihn zur standesgemäßen und sicher vermögensvermehrenden Hochzeit zwischen Chinesenfamilien. Seine Braut kennt er nicht, sie wird ihm erst bei der Hochzeitzeremonie präsentiert.
Sie fährt nach Europa, um ihr Leben als Schriftstellerin zu beginnen.
Liebe war nicht dabei. Das schwören sie sich oft. Doch, wie das anscheinend ist, bei wirklich gutem Sex, als sie sich viele Jahre später in Paris zufällig treffen ist die Erinnerung sofort da.
BFlat