Pessimismus nein, Optimismus ja, aber nur mit Realismus
Lieber Cruiserman,
du hast aufgezeigt, dass du auch in deinem Betrieb beobachten kannst, dass für einem Teil der Jugend auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr besteht. All das, was du sagst, trifft die Probleme bis aufs I-Tüpfelchen.
Und als Mensch mit Verantwortungsgefühl erwartest du Abhilfe durch die Gesellschaft über die Schule.
Zu diesem Punkt habe ich wiederum eine - berufsbedingte - Sichtweise.
Die ist aber leider keineswegs hoffnungsfördernd. Vielleicht solltest du daher, um deinen Seelenfrieden zu bewahren nicht weiterlesen - schließlich sind wir ja hier im Joy-Club und nicht im „Problem-Club“.
Die von mir wahrgenommene Wirklichkeit:
1.
Eltern bewirken Fehlhaltungen bei ihren Kinder, weil sie
selbst die erforderlichen Haltungen und Einstellungen nicht erlernt haben und sie daher natürlich auch nicht weitergeben können. Haltungen werden schließlich nicht durch Worte vermittelt sondern nur über das Vorleben dieser Haltungen. Was ich selbst nicht habe, kann ich zwar mit Worten nennen, aber nicht vorleben.
2.
Eltern sind die mit Abstand prägendsten Vorbilder ihrer Kinder.
3.
Kinder orientieren sich an ihren Eltern, hängen an ihren Eltern, selbst wenn es schlechte Eltern sind.
Diese drei Tatsachen sorgen zusammen für einen geschlossenen Teufelskreis, der nicht schnell und einfach aufgebrochen werden kann. Eine Öffnung diese Kreises in kleinsten Schritten wäre überaus zeit- und personalintensiv, und selbst wenn Personal und Mittel dazu bereitstünden, ist kein durchschlagender Erfolg in kurzer Zeit zu garantieren.
Was wäre für diese Gruppe junger Menschen, über die Verkleinerung von Klassen hinausgehend, zu tun? Diese Kinder benötigen, zusätzlich zu den Angeboten im Klassenunterricht der Schule, intensive und andauernde persönliche Begleitung und Betreuung, in die auch die Eltern mit einbezogen werden müssen. Diese Arbeit erfordert speziell ausgebildetes und sehr erfahrenes Fachpersonal. Die Kunst dieses Personals im Umgang mit diesen Kindern, bzw. Jugendlichen und Eltern besteht, ganz pauschal gesagt, in einen schwierigen Ausgleich zwischen Fördern und Fordern, immer verbunden mit Achtung und Wertschätzung, was leicht gesagt und schwer getan ist.
In der Regel wird, um möglichst alle Kinder ausbildungsfähig zu machen - durchaus gut gemeint - ganz pauschal gefordert, die Klassen zu verkleinern, damit so alle Kinder gleichermaßen gefördert werden können.
Es ist aber aufweisbar, dass die Vorteile einer Verkleinerung von Klassen vordringlich wieder den Schülern der Leistungsspitze und des Mittelfeldes zu gute kommen und nur in geringerem Maße den oben genannten leistungsschwachen oder leistungsverweigernden Schülern. Die Folge: Der Leistungsabstand zu den Schülern der Spitze und Mitte würde sich nicht verringern sondern sogar vergrößern. Und das hätte wiederum zur Folge, dass Leistungsmotivationen eher schwinden denn gesteigert würden. Wir sehen: Auch mit einer Verkleinerung von Schul-Klassen wäre es da nicht getan. Denn unmotivierten und demotivierten Kindern und Jugendlichen gelingt es immer wieder, den Angeboten und Anforderungen der Schule erfolgreich auszuweichen oder sich zu verweigern.
Die innere Logik dieses Ausweich- oder Abwehrverhaltens ist sehr komplex. Zu den Gründen dieses Verhaltens, kann hier in der Kürze nur gesagt werden, dass es durchaus eine eigene „Logik“ hat, diese aber für einen Außenstehenden kaum nachvollziehbar ist.
Die Sache hat zum einen etwas mit unserem System der Leistungsbewertung zu tun, in dem alle Leistungen, die unter dem Durchschnitt liegen, von uns allen nicht mehr positiv sondern als etwas Negatives angesehen werden. In einem Notensystem mit 6 Notenstufen werden Noten von der Note 4 abwärts nicht mehr als Anerkennung und Bestätigung von Leistung sondern als offenbare Abwertung empfunden. Weder Eltern noch Kinder würden solche Noten stolz als Erfolgsnachweis vorzeigen! Obwohl diese Kinder Leistung erbringen, fühlen sie sich im ständigen Vergleich zu den anderen immer als „underdogs“.
Es wäre also zum einen eine Änderung im System der Leistungsbewertung erforderlich und zum anderen die oben genannte personal- und kostenintensive Sonderförderung der Kinder mit besonderem Förderbedarf.
Solche Spezialförderung wird in der Öffentlichkeit bestenfalls für sichtbar schwer behinderte Kinder als berechtigt anerkannt. Und da es ja schon an der Regelförderung in den Schulen noch sehr mangelt, müsste wohl erst einmal diese Regelförderung auf einen besseren Standard gebracht werden, bevor Spezialmaßnahmen finanziert werden könnten.
Womit ich zu dem entmutigenden „kurzen Sinn einer langen Rede“ komme: Daran, dass ein zwar kleiner, aber doch nicht unerheblicher Teil unserer Jugend wenig Zukunftschancen hat und haben wird, wird sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts Wesentliches ändern.
Wie soll man mit einem solchen Ergebnis umgehen?
Nun: Sowohl Optimisten als auch Pessimisten dürften mit dieser Darstellung kein Problem haben. Denn Pessimisten werden sich, durch solche Analysen bestätigt, in pessimistischer Zufriedenheit zurücklehnen. Und Optimisten sind ebenfalls nicht belastet; sie können ja diese Sichtweise ganz einfach als Pessimismus abtun.
Lediglich den Realisten bliebe noch eine Aufgabe - zu überlegen, was denn für solche Jugendliche – über eine Grundversorgung mit Hartz IV hinausgehend - zu tun wäre, um ihrem Leben Sinn zu geben.
Mit realistischen Grüßen
brunnenbauer (m)