Lieber cruiserman,
Deine (Eure) Sichtweise, dass es Tabus eigentlich gar nicht mehr gibt, halte ich für bedenkenswert und für eine plurale Gesellschaft als Ganzes gesehen gilt das sicherlich.Ich frage mich allerdings, ob es nicht überaus verschiedenartige Tabus gibt, die wir nicht ohne weiteres unter einem einzigen Tabubegriff zusammenfassen und in einem beurteilen können. Es mag keine allgemeingültigen Tabus mehr geben, aber es gibt Personen und Gruppen die sich strengsten Prinzipien und Regeln auch bezüglich Tabus unterwerfen. Für sie ist die Infragestellung von und die meinungsverschiedene Auseinandersetzung über bestimmte Personen, Sachverhalte, Handlungweisen, ja selbst jegliche Betrachtung und Beschreibung unerlaubt, ja undenkbar, weil dadurch für sie existenziell wichtige Werte in Gefahr zu geraten scheinen.
Beispiel: Eine große Zahl von christlichen Gläubigen reagierte und reagiert teils noch immer zumindest verunsichert, ja sogar ablehnend selbst auf begründete Missbrauchsvorwürfe gegen geistliche Personen. Der Hintergrund für dies Haltung: Weil Geistliche die direkten Vermittler des Göttlichen sind, übertrug sich die Heiligkeit und Unantastbarkeit des Göttlichen mehr und mehr auch auf die Boten und Diener Gottes Traditionell ist daher für viele Gläubige schon der einfache Verdacht gegen ein Priester ein Tabubruch, fast gleich einem Sakrileg. Wir haben hier den entscheidenden Grund dafür, dass die Kirche(n) als religiöse Gemeinschaft(en) der gläubiger Menschen – obwohl zumindest in ihren Ansprüchen (eine) höchst moralische Institution(en) – sich nicht selbst und aus eigener Kraft mit dem Krebsgeschwür des Missbrauchs von Kindern erfolgreich auseinandersetzen konnten und können.. Selbst Eltern von missbrauchten Kindern wagten oft nicht, dieses Tabu zu brechen. Sie wendeten den Blick von Tatsachen ab und forderten ihre Kinder auf zu schweigen oder sie beschuldigten sogar ihre eigenen Kinder der Lüge.
Die Folgen eines Tabubruchs gehen von eigener Gewissenslast über ungewisse Angst vor Ächtung durch die Glaubensgemeinschaft und dem Ausschluss aus der Glaubensgemeinschaft bis hin zur Angst vor Heilsverlust im Jenseits.
Gruß
brunnenbauer (er)