„Früher war alles besser“
Nostalgie ist meist ein schönes, warmes Gefühl. Im Rückblick drängen sich viele schöne Erinnerungen aneinander, als wäre es alles an einem Abend passiert. Dass es auch früher Abende gab, an denen nichts lief, wird kaum mehr erinnert. Dass es auch manchmal grenzwertige Szenen gab, wird glücklicherweise gern verdrängt.
Das ist schön, wenn man schon so viel erlebt hat und jahrelang in der Szene ist. Dadurch wird aber jeder weitere Abend mit höheren Maßstäben gemessen, welche mit der Realität irgendwann nicht mehr vereinbar sind. Dadurch kommt oft Frust auf.
„Die Szene hat sich verändert“
Seit 2018 bin ich aktiv. Schon damals gab es Menschen, die das wilde Durcheinander ohne großes Nachfragen schätzten und mit anderen Menschen, die andere sexuelle Ausrichtungen oder Vorstellungen hatten, aneckten. Menschen, welche von unbekannten Gästen Umarmungen, Streicheln oder Arschklapsen abwehrten, wurden vor 5 Jahren noch manchmal als „zickig“ oder „gestört“ betitelt. Es ist also für mich kein Corona-Phänomen, dass hier verschiedene Vorstellungen, was ein Swingerlclub zu sein hat und wie dort gefeiert wird, aufeinandertreffen.
Wenn ich Menschen zuhöre, die seit Jahrzehnten in der Szene sind, erzählen sie von Runden mit nonverbalem Konsens, wo alle, die da waren auf größtenteils heterosexuelle Art im klassischen Pornosinn Sex hatten. Dazu gehörte natürlich ungeschützer Oralverkehr, in der Regel geschützter Geschlechtsverkehr, auch mal doppelt oder anal, allerdings überwiegend mit einem weiblichem Bottom und bisexuelle Spiele hauptsächlich unter Frauen. Die Erzählungen gleichen sich sehr häufig.
Nun ist es meiner Meinung nach heute so: Die Sexualitäten haben sich dermaßen aufgeblättert, durch verschiedene Anreize von Pornos aber auch durch die Möglichkeit, zu der eigenen Sexualität (und dem eigenen „Kink“) zu stehen und dies ausleben zu können. BDSM ist dabei heutzutage genauso breit gefächert wie der Vanilla Sex selbst. Hinzu kommen diverse Vorlieben, was die Sexualpartnerwahl betrifft. Das geht von Geschlecht über Alter bis hin zu einer bestimmten Haarfarbe oder Augenfarbe. Eine Absage heutzutage müsste also eigentlich besser zu ertragen sein, als zu der Zeit, wo alle ungefähr dasselbe wollten. Und auch so ist erklärbar, dass häufig nicht so viel an einem Abend "läuft". Also muss der freie Abend "anders" gefüllt werden.
Ich bin glücklich, in einen Swingerclub von heute gehen zu können, wo es an den abwaschbaren Kunstledermatten Kondome, Taschentücher und Desinfektionsmittel gibt. Ich liebe es, wenn ich mir nach dem Eintritt bis zu 8 Stunden lang um nichts Gedanken machen muss und Wellness-, Speise-, Getränke- und rauchfreie Sitzmöglichkeiten einladen, mit anderen Menschen ins (FSK18-) Gespräch zu kommen und evtl. woanders zu landen. Ich schätze abwischbare Fußböden und mag es, wenn Menschen mich ansprechen und mir verbal zu erkennen geben, dass sie mich mögen oder attraktiv finden, ohne das sie mich angrabschen. Ich mag es wild durcheinander, aber bitte mit denen, die ich an dem Abend ausgewählt habe und die auch mit mir aktiv werden möchten. Mein Fokus ist momentan liebevoller Herrenüberschuss mit Herren meines Alters. Ich bin auch sehr an Mutual Masturbation interessiert (sich gegenseitig beim Masturbieren zuschauen), gern in größeren Gruppen. Und ich mag besondere Runden mit interessanten Sexualitäten, zum Beispiel würde ich gern mal mit jemandem im Club aktiv werden, der besonders auf Ballons abfährt. Weshalb sollte das nicht gehen? Warum nicht auf einer offenen Matte? Es gibt ja auch Voyeure im Club, die nur zum Gucken kommen.
Ich finde, ein Swingerclub ist (und war auch schon 2018) ein Erwachsenenspielplatz, an dem immer noch „Nein heißt Nein“ gilt und „Alles kann, nichts muss“. Und ich möchte frech die These aufstellen: Vielleicht ändert sich nicht (nur) die Szene, sondern auch wir selbst. Und dies andauernd, bis zum letzten Atemzug. Das sehe ich als Chance.