Ein, wie ich finde, toller Artikel aus 11 Freunde:
Mensch, Trainer!
Jupp Heynckes führt den FC Bayern vorzeitig zur 28. Meisterschaft. Sein Erfolg ist das Ergebnis einer Demut gegenüber dem Fußball, mit der sich manche an der Säbener Straße schwer tun.
Als Jupp Heynckes am Samstag mit glänzenden Augen vor der Bayern-Kurve stand und mit den Fans die 28. Meisterschaft feierte, wurde auch dem letzten Zweifler klar: Dieser Trainer passt zum FC Bayern. Wie kaum ein zweiter in der Geschichte dieses Klubs versteht er es, Ansprüche und Realitäten in Einklang zu bringen. Jetzt, da er das Rentenalter längst überschritten hat, ist es, als sei er in diesem von Stars gespickten Ensemble am Ende selbst der einzig wahre Superheld. Ein Mann, der die Welt gesehen hat. Der verstanden hat, welche Probleme die entrückten Unterschiedsspieler, die ihn tagtäglich umgeben, mit sich herum schleppen. Der die Gelüste der feisten Vorstandsbosse vieler Großklubs kennt und zu moderieren weiß. Und dabei nie vergessen hat, wo sein Platz in dieser durchgeknallten Welt des internationalen Profifußballs ist.
Auch in München haben sie Josef Heynckes aus Schwalmtal am Niederrhein über die Jahrzehnte oft vor Augen geführt, dass sie ihn für seine Aufrichtigkeit, sein Fachwissen und seine Akribie schätzen, sein provinzieller Background in neuralgischen Momenten aber doch nicht ganz in Einklang mit der Klubphilosophie zu bringen war. Irgendwie taten sich die Granden an der Säbener Straße meist schwer, einen Coach auf der Bank zu haben, der Spiele mit derart innerer Hitze begleitete, dass er fortwährend mit roter Birne dasaß.
Heynckes schien lange nicht zu passen
Als sie Heynckes beim FC Bayern 1991 entließen, folgte nach dem katastrophalen Zwischenspiel des ach so lässigen Dänen Sören Lerby der graumelierte Gentlemen Erich Ribbeck. Als auch dieses Engagement von wenig Erfolg gekrönt war, kam der italienische Grand Seigneur Giovanni Trapattoni. Der FC Bayern war stets beseelt von dem Versuch, nicht nur einen fähigen Trainer zu verpflichten, sondern einen Aristokraten mit möglichst üppiger Trophäenvitrine. Jupp Heynckes schien in dieses Anforderungsprofil lange nicht zu passen.
2009 kam er wieder, um den Scherbenhaufen aufzukehren, den Weltenbürger Jürgen Klinsmann hinterlassen hatte. Zwei Jahre später tat er seinem Kumpel Uli Hoeneß erneut den Gefallen, als dieser auch mit dem niederländischen General Louis Van Gaal auf die Schnauze gefallen war. Erneut bewies Heynckes, wie leicht es einem Mann mit seiner Erfahrung fällt, einen Kader aus weltfremden Ich-AGs und Multimillionären zu einer gutgelaunten Einheit zu verschweißen. Dennoch überließen es ihm die FCB-Bosse auch diesmal nicht, seinen Rücktritt nach dem epochalen Triple nach eigenem Gusto zu verkünden, sondern der Vorstand proklamierte Heynckes’ Renteneintritt vorzeitig von sich aus, weil er offenbar vor Stolz, Übertrainer Pep Guardiola nach München gelotst zu haben, das Wasser nicht mehr halten konnte.
Heynckes hat alles mit dem ihm eigenen Gleichmut hingenommen. Er kennt die Gesetze des Geschäfts. Seine Demut scheint grenzenlos, denn er weiß, wie sehr er, der kleine Junge aus Mönchengladbach, vom Fußball und nicht zuletzt vom FCB profitiert hat. 1998 hat er mit Real Madrid sogar mal ein Champion-League-Finale gewonnen, in dem Bewusstsein, am Tag nach dem Spiel seinen Hut nehmen zu müssen. Auch hier schied er in Würde und erhobenen Hauptes. Offenbar hat Jupp Heynckes verstanden, dass in diesem Geschäft nicht der am weitesten kommt, der am meisten austeilt, sondern derjenige, der am meisten einstecken kann.
Und so hat er sich 2013 nach dem Triple aufs Altenteil verkrümelt, ohne in München dreckige Wäsche ob seines stillosen Herauskomplimentierens zu waschen. Er hat sich gefreut, dass ihn die Leute am Ende seiner so reichhaltigen Karriere in Lob und Ehre priesen, dass ihm jeder zum Schluss bestätigte, ein ganz großer Trainer gewesen zu sein. Trotz »Osram«, trotz mangelnder Gelassenheit, trotz dem Image des Kleinbürgers.
Er hat es längst allen gezeigt
Als ihn Uli Hoeneß im Herbst 2017 bekniete, nun auch das Chaos zu begrenzen, dass ein lustloser Carlo Ancelotti in München zurückgelassen hatte, tat es der Präsident vielleicht das allererste Mal in der Überzeugung, mit Heynckes keinen Aufräumer und Restrukturierer zu holen, sondern den in diesem Moment weltweit besten Trainer für den schlingernden Klub. Denn das Arsenal an Soft Skills, über das der 72-Jährige verfügt, ist einzigartig: sein Händchen für die Stars (fast rührend, wie er am Samstag den Veteranen Robben und Ribery Respekt zollte und sie in der Manier eines Altenpflegers an der Hand in die Kurve führte, als wolle er sie damit höchstpersönlich im Glanze eines Titel in die Rente verabschieden), seine Fremdsprachenkenntnisse, sein Fleiß, seine Pflichtschuldigkeit.
Und nicht zuletzt: Seine Freiheit, niemandem mehr etwas beweisen zu müssen. Weil er es allen längst gezeigt hat. Weil jeder froh ist, dass Heynckes da ist und diese Mannschaft, die viele Fußballfans mitunter langweilt, weil sie die Liga nach Belieben beherrscht, im DFB-Pokal marschiert und auch in der Champions League bislang kaum vor ernste Probleme gestellt wurde, mit einer extra Prise Newswert und Glamour versieht.
Egal, ob Heynckes am Ende erneut mit drei Pokalen abtritt oder nicht, wenn er sich am Saisonende mal wieder verabschiedet, ist die Bundesligageschichte um ein verrücktes Kapitel reicher. Und eine seiner bedeutendsten Persönlichkeiten ärmer. Aber, wer weiß, wie in München nach der sechsten Meisterschaft in Folge die kommende Spielzeit verläuft. Womöglich fingert Uli Hoeneß im verflixten siebten Jahr schneller auf der Handytastatur nach der Nummer des alten Freundes, als manchem in München lieb ist.