Der Tränensammler vom 01.05.2004
Der Tränensammler schlendert am liebsten über den Friedhof und schaut dabei auf den Boden. Er weiß, wo er nach den kleinen Kostbarkeiten suchen muss.
Ganz hinten, an den frischen Hügeln. Bei den Gräbern, die mehr als ein Jahr liegen, findet er selten etwas.
Nur da ganz hinten glitzert der Boden. Und wenn dann die Trauernden nach Hause gehen, schreitet er durch die Reihen, bückt sich und streichelt die Tränen von der Erde in seine warme Hand.
Danach legt er sie vorsichtig in eine kleine Schachtel und freut sich innerlich über seinen tollen Fang.
Zuhause besieht er sie sich dann genauer. Er wendet und dreht sie. Mal lässt er die Sonne hindurchscheinen. Dann ist es der Schein der Glühbirne, der die Tropfen funkeln lässt. Jede Träne ist anders.
Es kommt immer drauf an, weswegen sie vergoßen wurde. Je intensiver die Trauer, desto leuchtender und wertvoller die Träne. Nach diesem Wert ordnet er sie dann in sein rotes Album ein. Das ist für die Trauertränen und dann gibt es auch noch ein anderes Album. Ein Gelbes. Die Tropfen, die hier eingeordnet werden sind sehr, sehr selten. Der Tränensammler besitzt nur zwei dieser Gattung. Die fand er auf der Treppe einer Kirche. Sie lagen zwischen Reiskörnern und Rosenblättern. Ganze drei Tage verbrachte er damit sie zu betrachten.
Zwei Glückstränen kleben im gelben Album.
Nach dem er diese gefunden hatte, war er noch oft an der Kirche gewesen, aber stets umsonst.
Glückstränen sind seltener als Diamanten und viel schöner, findet er. das Licht bricht sich darin in allen Regenbogenfarben und die Tröpfhcneform ist schön fragil.
Der Tränensammler sammelt nur seine eigenen tränen nicht. Die kann und mag er nicht schön finden. Dabei wären sie sehr wertvoll, denn sie blitzen vor Traurigkeit. allein das Tränen sammeln, bewahrt ihn davor zu weinen.
Deswegen sammelt er.