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Der Moment

*******cott Paar
100 Beiträge
Themenersteller 
Der Moment
An manchen dieser Spätsommertage,
wenn ich schweißnass in deinen Armen liege,
nachdem wir uns geliebt haben,
kann ich den Moment unseres Abschieds
So klar und deutlich vor mir sehen
Wie das Grau deiner Augen,
die mich fragend betrachten.

Es wird Winter sein.
Ich werde jenen Mantel tragen, in dem du mich
Das erste Mal sahst und mir lachend sagtest,
er sehe aus wie der Pelz eines wilden Tieres.
Ich werde ihn nicht ablegen, obwohl wir uns nicht
Unter freiem Himmel begegnen; doch ich werde ihn brauchen,
diesen schützenden Pelz.
Du wirst mir gegenüberstehen und deine Arme
In Erwartung meiner Umarmung in die Luft heben, wo sie
Für einen Moment erstarren, als du verstehst, was
Gleich mit uns passieren wird.

Und irgendwann, zwischen all diesen losen Sätzen und Wörtern,
die zwischen unseren Mündern, die nicht mehr
in wahnsinniger Leidenschaft aufeinandergepresst sind,
hin und her wandern,
werde ich jene Sätze sagen, die alles beschreiben,
was wir von Anfang an wussten.
„Liebster, manche Entscheidungen sind nur ein Abwägen von Schmerz
Und die Frage, wem wir diesen Schmerz letztlich zumuten.
Du konntest ihn ihr nicht zumuten,
also schenktest du ihn mir.
Und ich kann ihn nun nicht mehr tragen.“

Und du wirst mich ansehen in diesem Moment
Mit deinen grauen Augen, die meine Welt hätten werden können,
und ich werde sehen,
dass du sofort begreifst, was ich dir sage,
auch wenn du so tust, als müsstest du erst darüber nachdenken.

Und du wirst in diesem Moment nichts sagen,
was mich dazu bringt, meinen schützenden Pelz abzulegen
Und mich wieder in deine Arme zu legen,
obwohl wir beide wissen, dass es das ist, was ich möchte.
Und du wirst seufzen, und vielleicht wirst du auch weinen,
in diesem Punkt bin ich noch nicht sicher.
Dass ich weinen werde,
Weiß ich gewiss.

Und irgendwann, wenn dieser Moment vorbei ist,
werde ich mich umdrehen und zur Tür hinaus
In den kalten Winterabend treten
Und deinen Blick spüren, der mir folgt,
bis ich in der Dunkelheit verschwinde
Und du mich niemals wiedersehen wirst,
Weil du vor langer Zeit bereits entschieden hast,
dass es so enden wird.

Im satten Sonnenlicht des Spätsommertages,
in dem wir uns lieben und ineinander ruhen,
betrachtest du mein Gesicht,
ehe du meine Stirn küsst und mich fragst,
woran ich denke.
Ich gebe dir keine Antwort, sondern bette
Schweigend meinen Kopf auf deiner Brust.
Und so bleiben wir liegen
Für eine kleine Weile.
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Gruppen-Mod 
Das ist einfach großartig geschrieben!

Zwar schon nicht mehr wirklich Lyrik, aber das ist egal, der Text packte mich von der ersten Zeilen an.
*******cott Paar
100 Beiträge
Themenersteller 
Vielen lieben Dank!! Das macht mich glücklich zu lesen...
***75 Mann
496 Beiträge
Ich mag deine Texte, da sie mit viel Kreativität und Phantasie geschrieben sind. *anbet* *liebguck*

Im Punkt der Lyrik, gebe ich Rhabia recht. Ich sehe den Text eher als gelungene Poesie, in der Literaturbetrachtung. Mit dem Schwerpunkt der Versinnbildlung bildhafter Betrachtung.

Gelegentlich ist ja der Spagat nicht einfach. Da Du eine, persönlich empfunfene, Wortdichte verwendest, ist die literarische Zuordnung für mich schwerer zu deuten.

Finde ich manchmal alles Käse, da mir die Aussage und Intention des Verfassers wichtiger ist, da es eine eigene angenommene Objektivierung geben kann.
*******cott Paar
100 Beiträge
Themenersteller 
Hmm, ich glaube sowieso, Gattungszuordnungen sind die Erfindung phantasieloser Literaturwissenschaftler (ja, ich darf das sagen, bin selbst eine... ;)). Bei diesem Text verstehe ich jedoch absolut, dass er schon die Grenzen der Lyrik sprengt, weil er, abgesehen von der freien Form, die ich ja immer verwende, weniger bildhaft und stilmitterärmer arbeitet als die anderen. Könnte auch als kurze Situationsbeschreibung in einem Stück Prosa funktionieren, was bei den anderen Gedichten überhaupt nicht geht. Hier ist auch die Erzählsituation komplexer, als es für Lyrik Norm ist, Gegenwart plus antizipierte Zukunft. Dennoch ist es für mich wichtig, dass der Text Versgestalt hat und lyrisch ist. Prosa liegt mir als Schreibende so gar nicht.

Hmm, ich muss mal gucken, die schwedische Lyrikerin Edith Södergran schrieb mal was ganz Tolles über den besonderen Charakter ihrer sehr freien Lyrik, wenn ich Muße hab, übersetze ich das mal, weil es wirklich sehr kluge, erhellende Gedanken sind.

Danke für die Diskussion und euer Lob! *g* *g* *g*
***75 Mann
496 Beiträge
Ich nehme an, dass Dir die Poetik am Ehesten liegen könnte, da Du dort eben die Möglichkeit besitzt in Versen zu schreiben. Zumal man die Möglichkeit besitzt in Halbreimen zu schreiben.

(Das finde ich das faszinierende und geniale an Michel Montaigne, er verstand es wie kein anderer, Prosa und Poesie auf scharfsinnige Weise zu verbinden.)
*******cott Paar
100 Beiträge
Themenersteller 
Nuja, wie genau das jetzt heißt, was ich da schreibe, ist mir eigentlich relativ wumpe, solange es mich selbst und vielleicht auch andere glücklich macht. Was wo möglich ist oder nicht, ist ja spätestens seit dem postmodernen „Anything goes“ eh irgendwie egal... *zwinker*
Michel de Montaigne schätze ich in Momenten, würde aber nie sagen, dass er mein Schreiben beeinflusst oder es ihm ähnelt - ich will nicht scharfsinnig formulieren in meiner Lyrik, sondern authentisch und gefühlsbetont.
Hier das, was Edith Södergran über ihre Lyrik sagt:

„Att min diktning är poesi kan ingen förneka, att det är vers vill jag inte påstå. Jag har försökt bringa vissa motsträviga dikter under en rytm och därvid kommit underfund med att jag besitter ordets och bildens makt endast under full frihet. [...] Min självsäkerhet beror på att jag har upptäckt mina dimensioner. Det anstår mig icke att göra mig mindre än jag är.“
Edith Södergran, Septemberlyran (1918)

Meine Übersetzung:
„Dass meine Dichtung Poesie ist, kann niemand verneinen, dass sie Lyrik ist, will ich gar nicht behaupten. Ich habe versucht, einige widerwillige Gedichte in Reim und Rhythmus zu bringen und bin schließlich zu der Erkenntnis gekommen, dass ich die Macht von Wort und Bild nur in vollkommener Freiheit der Form besitze. Mein Selbstvertrauen rührt daher, dass ich meine Dimensionen entdeckt habe. Es steht mir nicht, mich kleiner zu machen als ich bin.“

Das drückt eigentlich alles aus; Södergran wird inzwischen als die Begründerin der modernen schwedischsprachigen Lyrik angesehen - weil sie ihre Dimensionen gefunden hat und ihnen folgte.
***75 Mann
496 Beiträge
Hatte ich ja auch schon angeführt, dass mir die Intention wichtiger ist, als in diesen Momenten noch darüber nachzudenken, welche Versdichtung ich verwende. Ich meine lediglich bei mir, dass ich zumeist Kreuzreime verwende. Prosa aber auch Poetik spiegeln weniger meine Gefühle. Aber wie gesagt; ich denke nicht darüber nach.
*******cott Paar
100 Beiträge
Themenersteller 
Ich sehe es nochmal ein bisschen anders, ist aber eine Eigenart von mir, die ich mir im Studium der Literaturwissenschaft angeeignet habe, als mir bewusst wurde, wie ätzend und quälend es für Schüler ist, im Deutschunterricht immer mit dem ollen "Was will uns der Autor damit sagen" gepiesackt zu werden, also die gute alte Autorintention.
Für mich spielt inzwischen viel mehr eine Rolle: "Was macht der Text mit mir?" Was berührt er in mir, was ich schon kenne, was ist mir völlig fremd, woran erinnert er mich, welche Gedanken bekomme ich, welche Erfahrungen, die ich gemacht habe, kann ich damit verknüpfen? Also eher rezeptionsästhetisch. Was der Autor damit ausdrücken will, ist mir da erstmal relativ egal (manchmal ist eine Zigarre eben wirklich nur eine Zigarre... ;))
Entsprechend ist es für mich als Schreibende umso spannender, zu erfahren, was meine Texte mit den Lesern machen - erst da erkenne ich für mich, dass meine Gedichte wirklich leben.
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