Der Gentleman - was macht ihn aus?
Was einen Gentleman ausmacht ist gar nicht mal so klar definiert. Ursprünglich stand der Begriff mal für den niedersten englischen Adelsstatus, zu Shakespeares Zeiten war er eng mit dem Recht Waffen zu tragen verknüpft.In der Sharpe Fernsehreihe sind die Gentlemen eher verkommene und karriereorientierte adlige Offiziere denen das Wohl ihrer Soldaten häufig egal ist.
Als Definitionen zu meinem Gentleman on a Budget Beitrag wurde viel genannt: Die "Innere Einstellung", die Ausstrahlung, Umgangsformen, Selbstsicherheit und Autorität, jedoch ohne den Anschein etwas besseres zu sein, Fairness, Empathiefähigkeit, Bescheidenheit, Großzügigkeit, Aufmerksamkeit, Hilfsbereitschaft, Lockerheit, charmant sein, Stil, Etikette, zu wissen wie man eine Frau behandelt, aber nicht einfach nur ein Sugardaddy, Charakter, Bildung, Erziehung...
...puh.
In einem meiner Bücherrregale steht dann noch "The Compleat Gentleman", ein Buch dass den Gentleman als modernen Ritter katholischer Ideale verortet. (und für mich mit all den Begleiterscheinungen dann überhaupt nicht mehr taugt.)
Dennoch schauen wir auf bestimmte Archetypen und Menschen und sind uns sofort klar: "Ja, das ist ein Gentleman!"
Ich werde mich hier hüten, auch nur zu versuchen, eine allgemeingültige Definition herzuleiten. Das wäre zum Scheitern verurteilt.
Was ich aber machen kann, ist aufzuschreiben, was meinGentleman Ideal ausmacht, und was ich dadurch für Ansprüche an mich selber stelle.
Für mich ist ein Gentleman untrennbar mit der britischen Stiff Upper Lip und dem Bild der Gentlemens Clubs verbunden: Haltung, Benehmen, Höflichkeit trotz Gegenwind, und ein Drang zu Unerschütterlichkeit. Dazu kommen die äußerlichen Merkmale: Man achtet auf sich und das eigene Erscheinen. (In einem Ratgeber wird so zum Beispiel der Gentleman aufgefordert, sich nur mit kalten Wasser rasieren zu lassen, damit man im Fall des Falles auch im Feld ohne den Butler oder der Möglichkeit heißes Wasser zu bereiten glattrasiert dem Feinde entgegen tritt!)
Im alltäglichen Umgang mit anderen ist man sich des eigenen Status bewußt, tut aber so, als wenn er irrelevant wäre. Man ist also auch Dienstboten und Untergebenen gegenüber höflich, man beschützt Schwächere und zollt anderen Respekt. Ein Gentleman ist nicht bescheiden, er praktiziert Understatement.
Gleichzeitig hat man aber auch Ansprüche, an sich, aber auch an das Leben: Nicht unbedingt materiell, aber dennoch auch: Das Leben soll angenehm sein, man priorisiert also Ausgaben und Aufmerksamkeit dahingehend. Man kann zwar alles selber machen, tut es aber nicht. Zeit und Muße sind der Luxus, den man sich gönnt.
Aus dem Anspruch kommt der Stil. Und auch wenn ich sehr feine Menschen in zerrissenen Klamotten und mit bunten Haaren kenne: Für mich gehören zum Gentleman-sein eben auch Leder, Tweed und Bartwachs. Nicht weil diese Dinge teurer Luxus sind, sondern weil sie zuṁ erstrebten Erscheinungsbild gehören. An dieser Stelle erinnere ich auch daran, dass der Anzug aus der Historie heraus ein demokratisierendes Kleidungsstück ist. Er wurde vom Arbeiter ebenso getragen wie vom Aristokraten. Die Idee des Anzugs grenzte sich ab von der Ständekleidung. Und ein Anzug "zwingt" die Person in ihm in eine Haltung und ein bestimmter Habitus geht mit ihm einher.
Der Gentleman, so wie ich ihn verstehe, muss diesen Anzug nicht immer tragen - aber man sieht der Person eben an dieser Haltung an, dass sie es normalerweise tut.
Die Accessoires des Gentlemans sind eben auch nicht nur Selbstzweck - Visitenkarten, Taschentücher, etc. sind dazu über- oder gereicht zu werden, die Taschenuhr statt dem Handy signalisiert den gelassenerem Umgang mit der Zeit, und so weiter.
Und dann gibt es ja noch die Kinky Seite des Gentleman-Seins: Hier wird der Anspruch und der Status fast schon absurd überhöht. Aus der Dame wird das Subjekt, der Umgang bleibt höflich, aber die Attitüde des Herrenclubs wird betont. Das ist etwas, was im Alltag nichts zu suchen hat, aber beim Flirt mitunter aufblitzt. Der Gentleman im Kink ist höflich, respektvoll, aber dreist: