Hi,
ich bin erstens selbst Mathe-Lehrerin (in der Sek1) und hab zweitens ein Kind ganz frisch in der 2. Klasse. Im Mathe-Heft der ersten Klasse kam auch schon was zur Wahrscheinlichkeitsrechnung vor. Laut Lehrplan (NRW) kommt das auch immer wieder mal in kleinen Anteilen, also eigentlich jedes Jahr.
Relevant ist dabei vielleicht, wie fit die Kids allgemein sind (wir fangen in der 5. noch mal mit Zehnerübertrag beim Addieren im Zahlenraum bis 100 an) und wie die Lehrperson und die Lernenden im Denken funktionieren. Üblicherweise heißt es, wer Mathe kann, hat Schwierigkeiten in Stochastik und umgekehrt. So richtig viele Menschen kenne ich nicht, die in Mathe annähernd alles auch im Leben anwenden können. Es ist leider gesellschaftlich anerkannt zu sagen: "Bruchrechnung hab ich noch nie gerafft". Aber trau dich mal zu sagen: "Das mit dem Lesen hab ich bisher nicht wirklich verstanden."
Geschockt bin ich immer dann, wenn ich mir anschaue, in wie vielen Leistungsabrechnungen Fehler zu meinen Ungunsten sind. Wenn ich das nicht merke, zahle ich halt drauf. Ich würde sagen, nicht nur 80% der Nebenkostenabrechnungen sind zu Ungunsten der Mieter fehlerhaft, auch merken locker 80% der Betroffenen nicht, wenn Rechnungen vorn und hinten nicht stimmen können. Ich halte es für Prinzip.
Aber ich sehe auch ein, dass für viele Menschen Zahlen nicht "leben". Ich hab halt ein Zahlengehirn. Manchmal weiß ich zum Zerplatzen nicht, wie ein Name ist, aber ich weiß, dass er aus insgesamt 5 Buchstaben und davon 2 Vokalen besteht.
Ansonsten möchte ich mich für den Anfangspost bedanken. Mir ging dazu so wahnsinnig viel durch den Kopf, dass es hier den Rahmen sprengen würde. Ich denke aber, mit etwas Zeit werde ich wohl mal ein Schreiben Richtung Politik schicken. Man sagt ja oft, Lehrer und Anwälte sind die unbequemsten Kunden - wissen alles und nix richtig. Wenn ich dann höre, dass manche Deutschkollegen über 1. Klasse Schreiblineatur von Kästchen sprechen und ich dran verzweifle, dass mich Zehntklässler völlig ahnungslos anschauen, wenn ich sag: "Ihr braucht in Naturwissenschaften kariertes Papier.". Am besten kommt dann noch die Reaktion: "Ist das das mit den Linien oder mit den Kästchen? Auf Kästchen kann ich nicht schreiben."
Zur Qualifikation: Je nach Schulform, Bundesland und Personaldecke darf man (nicht alle) Fächer auch fachfremd unterrichten. Das hängt am Lehrermangel. Aber wie in jedem Job: nicht jeder, der was macht, hat auch Ahnung davon. Ich persönlich halte mich von allen Fächern fern, bei denen ich den Kids keine Leidenschaft vorleben kann. Eins der besten Jahre war das, in dem ich fachfremd unterrichtete, mit einem Kollegen vom Gymnasium in den Ferien immer alles durchnahm, was ich den Kids bis zu den nächsten Ferien beibringen musste und bei Unklarheiten ganz klar sagen konnte: "Ich hab keine Ahnung. Ich hab das auch erst in den letzten Ferien gelernt. Vielleicht hab ich noch nicht alles geschnallt, aber ich klär das. Am Ende machen wir es bitte im Unterricht so, wie ich es für richtig halte, weil ich euch die Noten gebe. Wenn ihr aber denkt, das ist falsch und ich will euch nicht glauben, dann macht ihr es im echten Leben so, wie ihr (oder ein anderer Ausbilder) es für richtig befindet."
Mich wundert nicht, dass wir Fachkräftemangel und abartig viele nicht arbeitende Menschen haben. Ich wäre für deutlich mehr Lehrer, die vielleicht nicht immer alles komplett wissen, dafür aber von allem ziemlich viel und das sinnvoll verknüpft an die Jugend weitergeben könnten. Und die vor allem nicht so tun, als hätten wir die Weisheit mit Löffeln gefressen.
Wenn ich Fehler machen, finde ich gut, wenn mich jemand darauf hinweist. Nicht gut finde ich, wenn ich in der Öffentlichkeit oder vor einer Klasse oder gar vor Kollegen dafür zerrissen werde.