Und hier also ...
... bereits der angedrohte erste Teil eine Geschichte.
Wenn sie Euch gefällt und Ihr gerne weiterlesen möchtet, wird sie nach und nach fortgesetzt werden.
Viele Freude beim Lesen!
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„Das gibt es doch nicht!“, knurrte Professor de la Roche, nachdem er den Text gelesen und die Blätter aus der Hand gelegt hatte. „Sind Sie sicher, dass Sie das alles korrekt übersetzt haben?“
Seine höllisch attraktive Assistentin nickte. „Natürlich. Zur Sicherheit hab ich es von zwei unabhängigen Fachleuten zusätzlich übersetzen lassen und aufeinander abgestimmt. Ich hab es dann nur noch in eine etwas zeitgemässere Sprache übertragen. Aramäisch ist schließlich eine ziemlich gewundene, sehr blumige Sprache für unsere modernen Ohren, immerhin waren die Essener Orientalen.“ Dabei schüttelte selbstbewusst sie ihre prachtvolle Mähne. Nicht mal im Traum hätte irgendjemand hinter dieser rassigen Frau die nahezu unentbehrliche rechte Hand eines berühmten Wissenschaftlers vermutet, des Archäologen Professor de la Roche von der Pariser Universität. Sie war fast so etwas wie ein fleischgewordener Männertraum, wenn auch zugleich ungemein gebildet und mit einem scharfen Verstand gesegnet.
Der Professor, der noch nie einen Blick für derlei Schönheiten und Nebensächlichkeiten gehabt hatte und nur an seinen überaus spannenden Forschungen interessiert war, quittierte das aufreizende Zurückwerfen ihrer langen, roten Haare mit einem skeptischen Seitenblick. „Nun ja“, brummte er nachdenklich, „das mag schon sein. Aber – wie erklären Sie sich dann diesen höchst merkwürdigen Inhalt?“
Sie hob die Schultern und grinste ihn an. „Sie haben keine Ahnung, was das bedeuten könnte?“
Er warf noch mal einen Blick auf den Text, runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Nein, wirklich nicht“, murmelte er. „Interessant, sehr interessant. Aber was es bedeuten soll ...“ Er ließ den unvollendeten Satz in der Luft hängen.
Michelle Beaufort, so hieß seine Assistentin, dachte nur ein Wort: Männer! Und dann sagte sie leise: „Vielleicht waren die Menschen damals doch nicht so einfach gestrickt, wie wir alle glauben. Und religiös zu sein, das hat wohl damals noch nicht bedeutet, auch sexualfeindlich zu sein.“
„Wie bitte?“ Der Professor räusperte sich. „Also, ich muss doch bitten! Sie sollten etwas mehr Ernsthaftigkeit an den Tag legen, meine Liebe. Das ist ein uraltes Dokument, eine Sensation gewissermaßen. Und Sie kommen mir mit Sex!“
„Sie verstehen immer noch nicht?“, fragte sie und lächelte ihn fast verführerisch an.
Wieder schüttelte der angesehene Gelehrte den Kopf, während sie gelassen fortfuhr: „Sie hatten erwartet, dass die alten Essener nur auf ihren Gott achten, diesen JHWH. Und dass sie nur auf einen Messias warten, auf die angekündigte Reinkarnation des Propheten Elias. Stimmt’s?“
„Nun ja …“, sagte er und sah sie erstaunt an, „so in etwa …“
„Und jetzt halten Sie den Beweis in Händen, dass alles ein bisschen anders war.“
Er nahm die Brille ab, rieb sich die Nasenwurzel und überflog den Text noch einmal. „Gut, gut“, rang er sich mühevoll ab, „wenn Sie es sagen. Man könnte es in der Tat so sehen. Doch dann wäre das ja …“
„… Eine Sensation ohnegleichen“, beendete sie seinen Satz. „Sie hätten dann den Beweis, dass die christlichen Kirchen seit jeher die Geschichte verfälscht haben. Denn sie wollten nicht, dass die Menschen sich mit dieser ungeheuren Energie befassen, die durch eine spirituell gelebte Sexualität freigesetzt wird. Das hätte zwar den Menschen geholfen, aber die Macht der Regierenden und der Kirchen untergraben. Verstehen Sie jetzt?“
Er blickte sie verwirrt an. „Sie wollen allen Ernstes behaupten, dass die Menschen damals …“
„Ja, genau!“, unterbrach sie ihn. „Die Essener waren so etwas wie Tantriker. Und Jesus war bekanntlich Essener. Gibt es da nicht dieses Manuskript von Maria Magdalena, in welchem nahezu tantrische Praktiken beschrieben werden, sogar einige der Göttin Isis geweihte sexuelle Rituale, die jeden zu wahren Wundertaten befähigen könnten?“
„Schwachsinn!“, knurrte Professor de la Roche. "Wie kann Sex die Menschen befähigen, Wunder zu vollbringen?"
„Sie halten das für ausgemachten Blödsinn, nicht wahr?“ Michelle Beaufort lächelte versonnen und biss sich auf die Unterlippe. „Vielleicht sollten wir angeblich so modernen und freien Menschen etwas dazulernen, das wir alle längst vergessen haben. Lesen wir doch noch einmal gemeinsam und ganz langsam diesen Text durch. Er dürfte weit über 2000 Jahre alt sein, erscheint mir aber ziemlich aktuell. Und wer weiß, vielleicht hilft er uns in diesen verworrenen Zeiten weiter?“
„Glauben Sie wirklich?“ Er ließ das Blatt sinken und setzte seine Brille wieder auf, wirkte dabei wie ein kleiner Junge, der ein neues, aufregendes Abenteuer wittert.
Sie strahlte ihn unternehmungslustig an. „Und? Sollen wir?“
„In Ordnung“, sagte er ruhig und auf einmal seltsam gefasst. „Das tun wir. Da drüben am Schreibtisch und bei einem starken Kaffee. Vielleicht begreifen Sie als Frau mit ihrer weiblichen Intuition das alles ja viel rascher und besser als ich?“
Und sie lasen gemeinsam diesen so explosiven Text, erst kürzlich entdeckt und übersetzt. Wort für Wort und Satz für Satz. Hätten sie geahnt, was sie damit letztendlich auslösen würden - vielleicht hätten sie diesen seltsamen und verstörenden, uralten, aramäischen Text gleich wieder verschwinden lassen.
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(Der Antaghar)