Hypnose und Kontrollverlust / Kontrollabgabe
Im Vorstellungsthread ergab sich ein Austausch zum Thema Kontrollverlust bzw. Kontrollabgabe in Hypnose, den ich in einen neuen Thread verschoben habe, damit wir ihn hier weiterführen können.
(Undine:) Ich würde sagen, das Thema ist komplex, weil "Kontrolle", "Willen" usw. für sich schon total komplexe Konzepte sind.
Die Fachliteratur sagt folgendes:
Auch wenn die Frage nach der Willenlosigkeit experimentell nicht leicht zu entscheiden ist, weil der Charakter eines Experiments dem Probanden grundsätzlich die Verantwortung abnimmt, schließt der heutige Stand der Forschung nach Meinung maßgeblicher Autoren praktisch aus, dass ein Individuum unter Bedingungen der hypnotischen Trance als der Kontrolle über seinen Willen beraubt angesehen werden kann.
Die bisher vorliegenden systematischen Studien und Literaturzusammenfassungen […] kommen einhellig zu der Auffassung, dass in hypnotischer Trance nichts zugelassen wird, wofür nicht eine, wenn auch wahrscheinlich nichtintegrierte Bereitschaft vorliegt.
Quelle: Revenstorf, Peter (Herausgeber): Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin, 2. Auflage, 2009, S. 142
Andererseits finde ich auch, dass man mit pauschalen Aussagen wie "man macht unter Hypnose nichts, was man nicht will" vorsichtig sein sollte, denn es sind ganz zweifellos auch Übergriffe dokumentiert, die unter Hypnose stattgefunden haben, oder für die Hypnose als Mittel der Manipulation eine Rolle gespielt hat. In dem Zusammenhang klingen solche Sätze dann nämlich schnell nach Victim Blaming und lassen die Betroffenen alleine.
Es gibt dysfuktionale Beziehungen, Machtmissbrauch und Manipulation, sowohl im therapeutischen Kontext als auch in sexuellen oder romantischen Beziehungen. Menschen haben oft Ambivalenzen und es gibt eine Menge Gründe, Dinge zu tun, die man eigentlich nicht will oder die einem selbst schaden. Auch Hypnose kann in einem solchen Zusammenhang manipulativ und schädlich eingesetzt werden.
Ich sage also immer lieber: "Man kann mit Hypnose andere nicht besser manipulieren als mit anderen Mitteln der Kommunikation."
Ähnliches gilt auch für den BDSM-Kontext, wenn man Hypnose als Mittel einer einvernehmlichen Kontrollabgabe einsetzt. Auch ohne Hypnose übernehmen sich Passive manchmal oder vergessen ihr Safeword. Auch unter Hypnose können versehentliche Grenzüberschreitungen passieren. Wenn jemand in einen starken inneren Konflikt gerät zwischen "Ich möchte mich unterwerfen und ich möchte, dass Hypnose als Instrument der Macht für mich kompromisslos funktioniert" und "Diese bestimmte Suggestion gefällt mir nicht", dann kann das ganz schön unangenehm werden.
(Fremd-) Hypnose, egal in welchem Kontext, beruht darauf, einer anderen Person die Führung zu überlassen. Das würde ich aber nicht notwendigerweise als Abgabe der Kontrolle und schon gar nicht als unkontrollierten Kontrollverlust bezeichnen.
Es ist eher wie beim Paartanz: Das Ganze funktioniert nur, wenn eine Person führt und eine folgt, aber die folgende Person kann auch jederzeit stehen bleiben und sagen, nö, die Figur gefällt mir nicht, oder in die Richtung mag ich nicht tanzen. Manchmal ist sie aber auch so im Schwung, dass sie erst ein paar Schritte zu spät merkt, dass sie zu weit gegangen ist.
Das alles sind nicht in erster Linie hypnotische Probleme, sondern grundsätzliche Risiken zwischenmenschlicher Interaktion.