Unterschied erotische / sexual-therapeutische Hypnose
Hallo Esteva,
also erst einmal meine uneingeschränkte Zustimmung zu dem, was
@***is und
@*********el_HH geschrieben haben.
Als Ergänzung folgendes:
Für mich besteht der zentrale Unterschied zwischen erotischer Hypnose und Hypnose-Sexualtherapie darin, dass erotische Hypnose in den Bereich hedonistischer Lebensgestaltung gehört und Hypnose-Sexualtherapie in den Bereich professioneller, therapeutischer Dienstleistung - und das hat Konsequenzen:
Im privaten Lebensbereich können die Möglichkeiten der Hypnose dazu genutzt werden, für Hypnotee und Hypnotiseur*in gleichermaßen gute Gefühle, Spaß, Lust, sexuelle Erregung, Befriedigung, Unterhaltung, Ausleben von Fantasien etc. zu realisieren. Das schließt ausdrücklich sexuelles Engagement des Hypnotiseurs/der Hypnotiseurin
während und nach der Hypnose mit ein. Das durch den Hypnose-Prozess entstehende Machtgefälle zwischen Hypnotiseur*in und Hypnotee ist dabei willkommener Begleitumstand, der entsprechend von vorher getroffenen, konsensuellen Vereinbarungen zwischen Hypnotee und Hypnotiseur*in für das gemeinsame Vergnügen genutzt wird. Deshalb nenne ich Hypnose-Anwendungen im privaten Kontext auch hedonistische Hypnose.
Anders bei der Hypnose-Sexualtherapie. Sie gehört in den professionellen Bereich der therapeutischen Dienstleistung. Wie bei jeder Form von Psychotherapie verbietet sich ein sexuelles Engagement zwischen Therapeut*in und Hypnotee
ganz grundsätzlich, weil es hier ausschließlich um die Therapie-Ziele der Klientin/des Klienten geht und das durch Hypnose und den therapeutischen Prozess entstehende Machtgefälle zwischen Therapeut*in und Klient*in ausschließlich im Sinne des gemeinsam erarbeiteten Arbeitsauftrages für die Therapie genutzt werden darf.
Warum? Weil immer wieder mal auftretende Verletzungen dieser Regel empirisch gezeigt haben, dass nach vollzogenem Geschlechtsverkehr der therapeutische Prozess regelmäßig abbricht und scheitert - dass eine derartig ausgelebte, sexuelle Anziehung zwischen Klient*in und Therapeut*in im Nachhinein oft als Missbrauch erlebt wird und oft eine lange Leidensgeschichte von Missbrauchs-Erlebnissen auf Klienten-Seite fortsetzt - und weil aus ganz grundsätzlichen, systemischen Überlegungen eine scharfe Trennung zwischen dem Heimat-System und dem Therapie-System des Klienten/der Klientin aufrecht erhalten werden muss. Dabei ist das Heimat-System das Zielsystem, in dem die therapeutischen Interventionen zur Wirkung kommen sollen, und das Therapie-System der geschützte Bereich, in dem der Klient/die Klientin neue Erkenntnisse und neue, psychische Strukturen und Muster entwickeln kann. Sexualität zwischen Therapeut*in und Klient*in löst sofort die Grenzen zwischen Heimat-System und Therapie-System auf.
Um es nochmal anders zu sagen:
Grundlage für hypnotische Prozesse in der Therapie ist ausschließlich der zwischen Therapeut*in und Klient*in erarbeitet Arbeitsauftrag - professionelle Ethik fordert, dass alles Geschehen in der Therapie diesem Auftrag dient (und keinesfalls den partikularen Lustempfindungen eines Therapeuten/einer Therapeutin).
Grundlage für hypnotische Prozesse im privaten, hedonischen Umgang mit einander ist der Konsens aller Beteiligten darüber, Hypnose zum Zweck des Vergnügens und des sexuellen Erlebens aller Beteiligten zu nutzen - dies schließt das Lustempfinden von Hypnotee und Hypnotiseur*in gleichermaßen ein.
Konsens
in diesem Sinne ist wirksam, wenn
1. er explizit ausgehandelt und ausgesprochen ist - (der Meta-Konsens in D/s-Beziehungen sei hier einmal ausgeklammert, da er für viele in dieser Gruppe irrelevant ist) -
2. er rein freiwillig ist, ohne Druck und Nötigung zustande kommt, also als Ausdruck des freien Willens aller Beteiligten anzusehen ist -
3. er ein informierter Konsens ist - idealerweise wissen alle Beteiligten viel über Hypnose, also auch diejenigen, die in die Rolle des/der Hypnotee gehen -
4. er prinzipiell jederzeit widerrufbar ist - hier wären für den Hypnose-Prozess entsprechende Maßnahmen zu treffen -
(5.) in amerikanischen BDSM-Hypnose-Kreisen, die in dieser Hinsicht eine Vorreiter-Rolle einnehmen, wird die Frage des Konsens-Prinzips seit einiger Zeit intensiv diskutiert, und als ein weiteres Element für einen gültigen Konsens das Vorliegen eines "enthusiastischen Ja's" im Gegensatz zum Nicht-Vorliegen eines "Nein's" als Merkmal eines gültigen Konsenses angeführt -
in wieweit diese Forderung jedoch in jedem Fall aufrecht erhalten werden kann und ob das überhaupt wünschenswert ist, weil damit das spontane Erleben sowohl der/des Hypnotee als auch der/des Hypnotisierenden unverhältnismäßig beeinträchtigt wird, darüber ist bislang keine abschließende Einigung erzielt worden. Dennoch ist es gut, auch über diesen Aspekt zu wissen.
Gemeinsamkeiten:
Dass darüber hinaus sowohl bei erotischer Hypnose als auch bei Hypnose-Sexualtherapie als Grundlage der Prozesse noch ganz andere Komponenten hinzukommen müssen, die beiden Bereichen gemein sind, soll zum Schluss noch kurz erwähnt werden. Das wären unter anderem das Vertrauen zwischen Hypnotiseur*in und Hypnotee, die beidseitige Bereitschaft, sich auf den Prozess einzulassen, und die Fähigkeit, zu lernen und sich weiter zu entwickeln - um nur einige der Wichtigsten zu nennen.
Ausdrücklich nicht erwähnt habe ich hier den Aspekt "Hypnotisierbarkeit der/des Hypnotee" -
denn anders als die klassische Hypnose geht die moderne Hypnose nach Erickson davon aus, dass jeder halbwegs intelligente Mensch mit Vorstellungsvermögen hypnotisierbar ist, und hat dafür entsprechende permissive Verfahren entwickelt. In dieser Hinsicht ist das Vorgehen der modernen Hypnose den Sprachformen der klassischen Hypnose
weit überlegen! Der kooperative Ansatz der modernen Hypnose entspricht auch ausgezeichnet dem Konsens-Prinzip der hedonistischen Hypnose.
Selbstverständlich können, je nach Gusto, bei der erotischen Hypnose sowohl der permissive, moderne als auch der autoritative, klassische Hypnose-Ansatz sowie auch Mischformen zum Einsatz kommen, wobei für sämtliche Hypnose-Anwendungen, also auch für den paternalistischen, autoritativen Ansatz
gelten muss:
Ethisch gerechtfertigt ist Hypnose nur nach einem im Vorhinein ausgehandelten Konsens, der die Qualitäten aufweist: explizit ausgesprochen, sowie freiwillig, informiert und jederzeit widerrufbar zu sein.
Anmerkung zum Schluss:
Neben dem professionellen, therapeutischen und dem rein privaten, hedonistischen Lebensbereich, in dem Hypnose Anwendung finden kann, gibt es natürlich noch den professionellen, hedonistischen Bereich der Sexualarbeiter*innen
- wie in diesem Bereich die grundsätzlichen Überlegungen zur professionellen, erotischen Hypnose
sind, wäre ich sehr gespannt, von einer der dort engagierten Personen aus erster Hand zu erfahren und hier als weitere Ergänzung zu lesen ...