versus oder beides?
Mir persönlich gehen diese Versus-Diskussionen vom Typ Klassische Hypnose versus Moderne Hypnose und NLP derbe auf den Zünder, um bei den allfälligen Fahrzeugmetaphern (Porsche, Käfer, Mountainbike, Dreirad etc.) zu bleiben.
Hier im Gruppenforum den größten Polarisierer auf Seiten der Klassischen Hypnose, Wolfgang Künzel aka Alexander Cain, als Autorität und fachlichen Experten für Aussagen über Hypnose allgemein und die Moderne Hypnose nach Milton H. Erickson im speziellen vorzustellen und ausgiebig zu zitieren, wie dies
@*******paar in diesem Thread tut, erscheint mir allerdings als etwas zweifelhaft und möchte von mir nicht unwidersprochen hingenommen werden.
Sicher, Künzel versteht sein Handwerk, was die Showhypnose angeht, und sicherlich versteht er auch etwas von klassischer Hypnose, keine Frage, aber von Moderner Hypnose nach Milton H. Erickson hat er offenbar keine Ahnung - oder, genauer gesagt, bestenfalls eine vage Ahnung, aber keinerlei fundierte Kenntnisse und keinerlei praktische Erfahrung. Woher sollte er auch - er hat großsprecherisch sämtliche Experten im Feld vor den Kopf gestoßen und niemand im Feld wird bereit sein, seine Kenntnisse und Erfahrungen mit ihm zu teilen.
Ich würd sagen: Schuster, bleib bei Deinen Leisten. Aussagen von Künzel über klassische Hyponose-Techniken und Verfahren, soweit es um das How-To-Do-It geht, sind meiner Auffassung nach durchaus beachtenswert. Kritisch wird es allerdings bereits bei den behaupteten Auswirkungen, und was die therapeutischen Effekte und insbesondere ihre Nachhaltigkeit angeht, gilt die klassische Hypnose nach der übereinstimmenden, durch wissenschaftliche Forschung und klinische Erfahrung untermauerten Auffassung im Feld professioneller Hypnose-Therapeuten zur Zeit als weitgehend überholt.
Andererseit muss man auch sagen, dass im Curriculum der beiden größten, deutschen Hypnose-Gesellschaften, der Milton-Erickson-Gesellschaft (M.E.G.) und der Deutschen Gesellschaft für Hypnose (DGH), tatsächlich die Prinzipien und Wirkweisen der Klassischen Hypnose nur in Spuren vorkommen - was einhergeht mit einem Verlust entsprechender Fähigkeiten im professionellen Feld - einfach, weil sie als therapeutisch irrelevant eingeschätzt werden. Zeit und Ressourcen sind knapp - und deshalb konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf das, was man für wirksam und relevant hält - wie z.B. die Eskimos 100 Begriffe für Schnee haben und wir vielleicht vier oder fünf.
Außerdem hat sich bei einigen Akteuren im akademisch-therapeutischen Feld mittlerweile eine ähnliche Neigung zur Polarisierung ausgebreitet wie bei Künzel. Hier wäre der Berliner Hypnose-Ausbilder der DGH Werner Eberwein zu nennen, der sich als Vertreter einer "Humanistischen Psychotherapie" versteht, in seinen Kommentaren auf seiner Website über den Showhypnotiseur Jan Becker aber alle humane Zurückhaltung aufgibt und sich in persönlich herabsetzenden Äußerungen ergeht. Typische White-Knight-Attitüde: ich bin auf der Seite des Guten und deshalb ist mir alles erlaubt. Der Showhypnotiseur und Hypnose-Lehrer Jan Becker, das Ziel dieser herabwürdigenden Kommentare von Eberwein, ist auch Autor einiger Sachbücher zur Hypnose, die viele Wochen in der Spiegel-Bestseller-Liste geführt wurden und die Hypnose-Techniken zur Selbsthypnose gut verständlich und menschlich wohlmeinend einem breiten Laienpublikum vorstellen - seine Shows sind vielleicht ein wenig exzentrisch, aber durchaus lehrreich - ich erlebe ihn als sehr viel menschlicher als den erklärten Humanisten Werner Eberwein mit seiner hasserfüllten Rechthaberei.
Und auch Wolfgang Künzel selbst ist von einigen akademischen Hypnose-Experten des Erickson-Lagers nicht gerade mit Samtschuhen angefasst worden, wie man in seinem Buch "Schlaf" nachlesen und im Internet nachrecherchieren kann. Im Grunde genommen sind diese ganzen Auseinandersetzungen unfruchtbar.
Fruchtbar finde ich, beide Hypnose-Stile vorurteilsfrei zu betrachten und die dort entwickelten Methoden, Techniken und Modelle zu verstehen und sich verfügbar zu machen - man erhöht damit seine eigene Flexibilität - , denn beide Vorgehensweisen haben Vor- und Nachteile und konvergieren auch in vielerlei Hinsicht.
Warum zum Sektierer werden, sich auf einen der beiden Hypnotisier-Stile beschränken und sich in seinen Vorurteilen einmauern? Das gilt für beide Seiten! Was soll gut daran sein? Seine eigene Unfähigkeit, mit einem bestimmten Instrumentarium erfolgreich umzugehen, gleich zu einer kosmischen Gesetzmäßigkeit zu machen und zu behaupten, es funktioniere nicht und sei "NLP-Wunschdenken", kommt mir vor, als würden Enten behaupten, es liege am Wasser, wenn sie nicht schwimmen können ... und die eigene Unfähigkeit, bestimmte Trance-Phänomene wie Somnambulismus hervorzurufen, damit zu rechtfertigen, dass die doch nur "ein Mythos" seien, erinnert mich an die berühmte Fabel vom Fuchs mit den Trauben - oder besser gesagt: ohne sie.
Vergleichende Betrachtungen der beiden Hypnose-Stile versprechen durchaus mehr als nur das Aufaddieren von Tools und Techniken, denn Erkenntnis geschieht durch Unterschiedsbildung und einer meiner Lehrer, den ich sehr schätze, sagte immer: Kennst Du nur eine Sache, kennst Du sie schlecht. Denn ihre charakteristischen Merkmale fallen Dir erst im Vergleich mit Alternativen auf.
Deshalb: statt versus lieber beides!