Häutungen
Wow, so viele Reaktionen seit heute Morgen auf diesen Beitrag. Ich stelle meinen dennoch hier mal rein ohne alle Kommentare bisher gelesen zu haben.Heute beim verspäteten Sonntagmorgenfrühstück habe ich etwas getan, wonach mir schon lange nicht mehr zumute war – ich war hier im Joy. Und ich las diesen Beitrag. Irgendwie beschäftigt mich der Gedanke von dir, Ludivine, und es drängt mich, dazu ein paar Zeilen zu schreiben.
Das Erwartungs- und Verhaltensmuster von Männern jenseits der 50 ist – leider erkenne ich das unter meiner Spezies auch – so, wie du sie beschrieben hast – und ich versuche zu relativieren: nicht gerade selten. Auch ich ertappe mich hin und wieder im Stillen bei dem Gedanken an die gelebte Freiheit, mit dem tiefdumpfen, sonoren Rattern der Harley unter mir auf dem Weg von L.A. nach Las Vegas unterwegs zu sein, das Lebensgefühl des Spät-68er-Geborenen nochmals ausleben zu wollen und den nachts noch sommerlich warmen Fahrtwind in meinen damals langen blonden Haaren zu spüren. Doch bisweilen kommt der – weiß Gott, nicht dumme - Satz in mir hoch, „nicht zweimal in den selben Fluss steigen“ zu können.
Männer, so denke ich, orientieren sich sehr oft an Highlights, die Erfolg für sie bedeuten. Erobern ist ja auch so ein Ding, was wir ein Leben lang mit uns herumschleppen – das Mammut so zu erlegen, wie man(n) es gelernt hat. Wie ich darüber denke, über dieses sich in verschiedenen Lebensbereichen mehr oder weniger sichtbar ausgeprägte Verhalten, lasse ich mal außen vor, das ergibt stundenlange Diskussionen. Und ich wage den Versuch, es zu verknappen und zu polarisieren: Viele wollen sich mit ihrer sich verändernden Männlichkeit nicht beschäftigen. Sie sind der Meinung, sie schwindet – ein Trugschluss, der in Verhaltensstarre führt. Das macht unsicher. Jüngere weibliche „Begleitung“, so ketzerisch bin ich jetzt, ist das sichtbare Abziehbild als Beweis für die (noch) vorhandene Erfolgsfähigkeit. Gleichaltrige Frauen haben mit ihrem Klimakterium zu kämpfen, das ist wenig kompatibel und stört. Nur: wie lange geht das – und zu welchem Preis? Ganz abgesehen davon, wie die Frauen, die es auf diese Weise eine Zeit lang mit sich geschehen lassen, sich fühlen – hinterher. Naja, „Le_etoile“ hat das auf den Punkt gebracht...
Worüber ich mir in meinen 50ern im Klaren werden musste, ist, das Leben als „Prozess von Häutungen“ zu verstehen – geistig, mental und vor allem körperlich. Das war und ist für mich verdammt harte Arbeit. Ich kann das unterstreichen: Menschen altern sehr unterschiedlich. Auch ich wirke jünger als ich bin, merke, dass es dem Stereotyp der Altersgruppe nicht entspricht. Auch wenn ich feststelle, dass die Menschen um mich im Schnitt um etliche Jahre jünger sind, bin ich nicht dem Jugendwahn anheim gefallen. Es ist für mich eine Frage wie ich am Leben teilnehme. Geistige Fitness, mentale Vitalität sind Kräfte des Lebens, die man eher jungen Menschen zuzuordnen bereit ist. Ja, es ist auch eine Frage des Umfeldes, in dem man sich bewegt, wie man gesehen und angenommen wird. Man kann das nicht pauschalieren, doch: das „Abwatschen nach Verhaltensmustern“ dem viele sich aussetzen, das eigene Ausrichten nach den Erwartungen Anderer wirkt auf mich lähmend. Sich dem zu widersetzen, kostet Kraft, ganz klar. Und hier steigen viele Menschen – nicht nur Männer - im Alter aus. Sie wollen ihre Ruhe. Wenn dann der vorgegebene Schnittmusterbogen der Grünfläche im Schrebergarten zum Lebenszweck geworden ist, naja, dann wird’s halt insgesamt einfach immobil.
Ich bin nun mal älter geworden, physisch langsamer, aber auf eine andere Art fit. Die Haut, die Muskeln sind nicht mehr dieselben, habe mich gehäutet, aber ich bin immer noch der, der ich es zuvor war, - der, der jung gebliebene, wilde Gedanken hegt, der anecken will, provoziert und das Leben intensiv inhaliert – eine Art „Anti-Muster“-Muster. Das muss jeder für sich auf seine Art verarbeiten, wenn derart vermeintlich Gegensätzliches zutage tritt.
Einen Großteil meines Lebens habe ich schon gelebt, die Lebenszeit ist im wahrsten Sinne verbraucht. Und wir alle sind Verbraucher. Auch das zu erkennen, mir sagen zu können, musste ich mich erst mal lernen. Nur: mit den Häutungen kommt eine Art Veredelung hinzu, die glücklich machen kann – zu erkennen, dass Reife etwas sehr Schönes ist, das man in jungen Jahren einfach nicht hat, noch nicht haben kann. Und hier schließt sich für mich der Kreis zu den Erwartungen der Männer, sich mit jüngeren Frauen als Trophäen vermeintlich umgeben zu müssen.
Ja, es gibt sie, jüngere Frauen, die gut zu älteren Männern passen – aber es sind eher die Ausnahmen – es sind jene, mit der dafür nötigen Reife. Vielleicht müssen Männer den Reifebegriff für sich und für gleichaltrige Frauen anzunehmen lernen, um nicht weiterhin dem Jugend-Stress zu unterliegen. Nicht selten bewahrheitet sich ja der Spruch „wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“. Und wer Glück hat, trifft dann noch auf eine gleichaltrige Frau, die nicht nur reif ist, sondern äußerlich jung...