Nur Sex
Ein Freund hat seit drei Jahren eine Affäre. Ganz altmodisch. Also keine Internetbekanntschaft. Und macht sich Gedanken, weil er für sich ganz klar weiß, dass es nicht "nur" um Sex geht. Es geht aber auch nicht um die Frage, ob er seine Familie verlassen möchte. Weder für ihn noch für sie. Also nicht um Moral.Eigentlich geht es um zwei Menschen, die sich in in einer Phase der Veränderung begegnet sind.
Beide sind erwachsen genug und verstehen die eigenen Bedürfnisse gut genug, um zu erfassen, dass es eher Freundschaft ist.
"Aber wozu dann der Sex?" fragte er mich.
Und ich fand, dass er die Antwort auf diese Frage eigentlich direkt vor der Nase hatte.
Aber man nimmt sie nicht wahr, weil man heute, rigider denn je, versucht "nur Sex" und "Beziehung" zu trennen.
Diese Trennung ist eine zutiefst moralische und in unserem Rechtssystem fest verankert.
"Nur Sex" bedeutet, dass man aneinander keinerlei moralischen und rechtlichen Ansprüche geltend machen kann. Diese Privilegien sind, juristisch und moralisch fest verankert, denen vorbehalten, die offiziell in einer Beziehung sind.
Früher ging das so weit, dass Kinder, die aus solchen Beziehungen entstanden als illegitime Kinder bezeichnet wurden. Ca. um 1974 wurde das geändert.
Es geht letztlich immer nur um die Frage inwieweit jemand für das, was er tut verantwortlich gemacht werden kann.
Wer den Pfad der Tugend verlässt, der verlässt den Bereich, in dem ihn öffentliche Moral und Justiz schützen.
Wir erleben eine Hochzeit der Doppelmoral.
Die Sache mit dem "nur Sex" ist ähnlich wie die Geschichte mit dem Läufer und der Schildkröte.
Jeder weiß, dass das eigentlich nicht funktioniert.
Selbst wenn man nur Sex miteinander hat.
Also sagte ich meinem Freund, dass er vielleicht erst einmal klären sollte was Sex eigentlich ist?
Ratloses Gesicht, Grinsen, wieder Ratlosigkeit.
Wir kommen auf die Welt und unsere ersten Jahre sind durch sinnliche Erfahrungen geprägt: Wir haben emotionale Bedürfnisse nach Nähe, Vertrauen, wie lernen uns selbst an dieser Welt kennen und kuscheln, schmusen, Beziehung und Entwicklung sind etwas, das wir von Beginn an üben und das so unmittelbar mit unserer eigenen Entwicklung verbunden ist, dass wir es nicht als getrenntes Bedürfnis ansehen.
Dann kommt die Pubertät. Und plötzlich kommt das Thema Sex ins Spiel.
Eigentlich ist die Fähigkeit und das Bedürfnis erwachsene Sexualität zu entwickeln lediglich eine Weiterentwicklung, die einige Jahre benötigt und ganz sicher nicht isoliert vom Rest der Entwicklung stattfindet.
Aber genau so wird das Thema heute behandelt.
In den 20igern habe ich mich "ausgetobt", mir war bewusst, dass meine Versuche und Experimente mit meiner Weiterentwicklung zu tun hatten, es war schmerzlich zu erleben, dass man eine Beziehung hat und die dann verliert, weil man selbst nicht in der Beziehung bleiben kann, weil der andere die Entwicklung als Bedrohung empfindet, das nicht dulden mag. Und dabei ging es nicht um Sex mit anderen. Obwohl auch das dann immer wieder mal Thema wurde. Das ist eine Konsequenz. Aber nicht die Ursache.
Manche Männer gehen fremd, wenn sie das Gefühl haben ihre Frau geht auf und davon.
Manche Männer dulden, dass ihre Frau fremd geht, um sie nicht zu verlieren.
Männer und Frauen sind sich in ihren Empfindungen also ähnlicher, als das Verhalten oft Glauben machen mag.
Manchmal ist es die berufliche Weiterentwicklung, manchmal sind es Kinder: Dann hat man "nur Sex", weil man woanders Anerkennung und Nähe sucht. Genau das, was über Sex eben auch vermittelt wird.
Die rein sinnliche Erfahrung, die eben Teil unserer Sexualität ist und schon lange bevor wir erwachsene Sexualität erleben und kennen lernen können Teil unseres Selbst ist.
In Phasen, in denen wir uns weiter entwickeln (müssen), liegt nahe, dass wir es so tun, wie wir es von Beginn an getan haben: Mit allen Sinnen.