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Intelligenz und Wissenschaftssprache

Intelligenz und Wissenschaftssprache
Ich habe einen Bekannten, der eine volkswirtschaftliche Doktorarbeit geschrieben hat. Hinterher meinte er, sein Professor hätte seine Doktorarbeit nicht verstanden. Was ist das für ein Schwachsinn, wenn ich eine Doktorarbeit schreibe, die noch nicht einmal mein betreuender Professor versteht.
Wie seht Ihr die Anwendung von Wissenschaftssprache?
*******_88 Frau
2.205 Beiträge
Nunja, ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Professor keine "Wissenschaftssprache" versteht, das dürfte tatsächlich Unsinn sein.

Allerdings ist es nun wirklich nicht jedem gegeben, sich korrekt und verständlich auszudrücken und das führt, gerade im wissenschaftlichen Bereich, nicht gerade selten dazu, dass Leute schlichtweg Schwachsinn schreiben, der zwar hochgestochen klingt, aber aufgrund der Formulierungen vollkommen sinnfrei ist.

Das ist die eine Möglichkeit.
Die zweite Möglichkeit des "nicht verstehens", ist, dass der Professor die Arbeit einfach inhaltlich nicht nachvollziehen konnte;
dass also die neuen Gedankengänge, die eine Doktorarbeit ja haben muss, nicht strukturiert und plausibel genug erklärt wurden, so dass der Professor einfach keinen Plan hatte, was der Doktorand der Welt mit dieser Arbeit mitzuteilen versuchte.

Diese Variante des "nicht verstehens" halte ich übrigens für die deutlich wahrscheinlichere und das liegt dann eben nicht daran, dass der Prof. keine Wissenschaftssprache versteht, sondern daran, dass dein Freund sich für großartig hält, ohne es zu sein oder aber so großartige und neue Gedanken hatte, dass er vergaß, das, was für ihn selbstverständliche Folgerungen sind, auch anderen vernünftig zu erschließen.

Und richtig fatal wird es, wenn die beiden möglichen Gründe zusammen kommen...
******aas Mann
1.590 Beiträge
Ich kenne keinen Fall einer Doktorarbeit, die dem Erst- und Zweitkorrektor (was sagt der eigentlich?) übern Zaun auf den Schreibtisch geworfen wurde. Dissertationen sind begleitete Arbeiten, in denen ein Doktorvater lenkt, Themen zusteuert, Artikel abzweigt und vorveröffentlicht, und dem Gesamtprodukt seine Richtung gibt - steht am Ende ja auch sein Name drin.
Wie also ein "nicht verstanden" zustande kommen kann, kann widerum ich nicht verstehen. Man mag Beweggründe bei Deinem Bekannten vermuten, was aber hier auch nicht nötig ist.

Um aber nicht völlig am Thema vorbeizureden: Wissenschaftssprache an sich entwickelt sich aus den Wissenschaftlern heraus, die Dinge erforschen, beschreiben und gemeinsam verstehen müssen. Begriffe werden festgelegt, damit alle zusammen wissen, wovon die anderen reden.
Dann kommt noch hinzu, dass sich bei internationalen Themen Wissenschaftler in einer gemeinsamen Landessprache verständigen müssen, die oft nicht ihre Muttersprache ist. Englisch ist hier verbreitet, da es relativ einfach zu lernen und strukturell nicht so komplex ist. Aber ein nicht-Muttersprachler tendiert dann dazu, Wendungen und Konstrukte seiner Sprache nachzubauen, was es wieder komplexer macht. Wenn er gleichzeitig noch die internationalen Fachtermini zu verwenden sucht, und möglicherweise noch neue aus seinen Ergebnissen definieren und beschreiben will, wird's anspruchsvoll.

Das kann für Außenstehende wie jede Menge Quatsch klingen. Für Wissenschaftler in ihrem Feld ist das Alltag, die merken es nicht. Für feldübergreifende Forschung ist es anstrengend, aber lohnend, sich in die Sprache des anderen Zweigs einzuarbeiten. Bis dahin alles noch okay.

Schlimm wird es erst bei sogenannter Wissenschaftsprosa; wenn ein Autor versucht so kompliziert wie möglich zu schreiben, um seinen Kollegen zu zeigen dass er viel besser denken und formulieren kann als alle anderen zusammen. Junge Wissenschaftler stöhnen dann und glauben, sie hätten nichts kapiert und müssten genauso sein. Alte Wissenschaftler lachen über diese Ich-kann-aber-besser-als-Du Schwanzvergleicherei und schreiben dann über den Kollegen gehässige Kommentare in ihren eigenen Werken.
Und so justiert sich die Sprache dann wieder - wer versucht, damit rumzuprahlen, wird ausgebremst. Möglicherweise ist es das, was Deinem Bekannten passiert ist; und der Kommentar des Doktorvaters ein Hinweis darauf, dass er endlich mit der Schwafelei aufhören soll? Wir werden es nie erfahren.
Ich mußte mal ein Referat halten über das Habituskonzept von Pierre Bordieu halten. Das Habituskonzept sagt schlichtweg aus, daß Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, sich unterschiedlich verhalten.
Ich mußte dazu 12 hochgedrechselte schwachsinnige Seiten lesen und habe eine Woche gebraucht bis ich den Inhalt verstanden hatte. Da viel mir nichts mehr ein! So eine Zeitverschwendung!
******aas Mann
1.590 Beiträge
Äh, nein. Das Habituskonzept sagt kurz gesagt aus, dass das soziale Umfeld bestimmt wie sich ein Mensch verhält; nicht umgekehrt.

Außerdem heißt der Mann Bourdieu, nicht Bordieu.
Und Einfallen kommt von Fallen; wie "da viel mir nichts mehr ein" zustande kommt erschließt sich mir nicht.

12 Seiten in 7 Tagen; da ist sicherlich Zeitverschwendung im Spiel, da stimme ich allerdings zu.
*****cgn Frau
8.385 Beiträge
Gruppen-Mod 
Eine Dissertation ist das Ergebnis von Forschung, die sich oft über Jahre hinzieht. Sowohl das Thema wie die Entwicklung werden vom Doktorvater oder der Doktormutter im Regelfall jahrelang begleitet.

Wenn am Ende dieses Prozesses einer den anderen nicht versteht, ist das mit hoher Wahrscheinlichkeit kein semantisches oder idiomatisches Problem, sondern fehlende Übereinstimmung in der Bewertung der Analyse. Ist mir so noch nicht begegnet.
Sorry, bin nicht ganz frisch. Habe heute nacht nicht geschlafen.
******aas Mann
1.590 Beiträge
Sorry, ehemaliger Sozialwissenschalftler hier. Man kann's nicht lassen *zwinker*
*****cgn Frau
8.385 Beiträge
Gruppen-Mod 
Moin, Männer...
*******_88 Frau
2.205 Beiträge
"Schlimm wird es erst bei sogenannter Wissenschaftsprosa;ff"
Genau das versuchte ich zu sagen...

Habituskonzept: Wenn "Sie mal denken würden", @******aas , würde dir auffallen, dass, wenn das Umfeld bestimmt, wie sich ein Mensch verhält, was ja, wie du völlig richtig sagtest, das Habituskonzept eben aussagt, daraus auch folgt, dass Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten sich auch unterschiedlich verhalten, da sie sich ja in einem entsprechenden Umfeld bewegen und dort aufwachsen...

Ganz stimmt das aber nicht, weil eben auch der eigene Charakter, der eben angeboren ist, ganz wesentlich mitbestimmt, welche Reaktion jemand worauf hat und es reicht manchmal ein einziger kleiner Input, der maßgeblicher einen Impact haben kann, als die gesamte restliche Umgebung und, anstatt sein Umfeld nachzumachen, zum exakten Gegenteil führt - auch wenn das eher die Ausnahme, als die Regel ist. Ich vermute mal, dass die 12 Seiten genau diesen Fakt von allen Seiten beleuchtet haben - und nicht nur erklärten, dass der Mensch im Wesentlichen ein Produkt seiner Umwelt ist...

Aber *zumthema*
******aas Mann
1.590 Beiträge
*mrgreen* Danke für die Korrektur, Frau Kollegin. Natürlich lasst sich die Breite des Konzepts der Habitusformung nicht in einem Satz zusammenfassen.
Aber; genetischer & persönlicher Habitus: ist das nicht eher Norbert Elias? Alles zu lange her.
*****cgn Frau
8.385 Beiträge
Gruppen-Mod 
Warum sagt eigentlich niemand, dass Intelligenz und Wissenschaftssprache rein gar keine Verbindung zueinander haben?
******aas Mann
1.590 Beiträge
Weil das nur deine Meinung ist, Heidi Liebes...
*****cgn Frau
8.385 Beiträge
Gruppen-Mod 
Eigentlich nicht. Schatz.
******aas Mann
1.590 Beiträge
Stellen wir die Frage dem Publikum.

Was höre ich? *oede*
*******_88 Frau
2.205 Beiträge
Nunja, ich finde, ihr habt beide recht, ihr Schätze. *rotfl*

Theoretisch sind Intelligenz und Wissenschaftssprache zwei völlig verschiedene Dinge; praktisch hilft Intelligenz aber ungeheuer, Wissenschaftssprache zu verstehen und zu formulieren...

Ist ähnlich wie Intelligenz und Bildung: Nicht das Selbe, aber das eine zieht oftmals das andere nach sich...

...obwohl es in Ausnahmefällen natürlich auch hochintelligente, völlig ungebildete Menschen gibt und andere mit Masterabschluss, die einfach nur strunzdumm sind, aber eben viel (auswendig) gelernt haben.

Und insofern ist es eben doch nur deine Meinung, Heidi, die aber trotzdem nicht falsch ist. Richtig aber eben auch nicht, denn ein dummer Mensch wird damit erhebliche Schwierigkeiten haben, wissenschaftlich zu formulieren. Man braucht also keine Hochintelligenz dafür, aber ohne ein gewisses Maß an Intellekt geht es eben auch nicht...
*****cgn Frau
8.385 Beiträge
Gruppen-Mod 
Was nutzt mir meine ganze Intelligenz, wenn ich zwar die Worte verstehe, aber den Inhalt nicht erfasse, weil mir das Thema fremd ist?
*******_88 Frau
2.205 Beiträge
Na nicht viel, aber das ist ja eine vollkommen andere Frage.

Wobei doch, vorausgesetzt, es ist KEIN naturwissenschaftliches Thema, wo man erst mal Grundkenntnisse braucht, die man nicht schnell mal nachschlagen könnte:

Wenn mir das Thema fremd ist, ist es mir ja nach dem Lesen dieses Beitrages eben nicht mehr fremd und wenn ich ein paar verschiedene, kontroverse wissenschaftliche Arbeiten zu dem gleichen Thema lese und verstehe, dann kann ich sogar noch beurteilen, wer da wo Müll erzählt hat und wer nicht...

Hinterher ist mir, entsprechende Intelligenz vorausgesetzt, das Thema eben nicht mehr fremd... Aber ohne Intellekt verstehe ich natürlich bei jedem fremden Thema nur Bahnhof...
Dazu fällt mir gerade ein, dass einer meiner Mitschüler des Leistungskurses Pädagogik so verschwurbelt schreiben konnte, dass unser Lehrer, der einerseits eh bereits ziemlich verstrahlt und andererseits Alkoholiker war (und vielleicht noch ist), sich nie traute, ihm eine andere Note als eine 1 zu geben, damit er sich nicht mit dem Inhalt auseinandersetzen musste.

Allerdings war Tom (und ist es vermutlich noch) ein extrem kluges Kerlchen.
Selbst wenn eine Klausur inhaltlich keine 1 war, hätte es sicherlich für eine 2 gereicht.
Und so hat sich nie jemand beschwert.
Für mich ist eine geschwurbelte Sprache reine Zeitverschwendung. Würde man an der Uni den Studenten mehr Wissen beibringen, als mit Wissenschaftssprache zu mastubieren, wäre die Welt schon weiter.

Ich hatte einen Nachbarn, der hatte sehr viele Fachbücher in seiner Wohnung. Er studierte Geld, Kredit und Finanzen. Nach seinem Studium war er lange Zeit arbeitslos. Ich habe mir eines Tages Aktien gekauft und von da an, habe ich mit allen Studenten, die auch Aktien hatten stundenlang diskutiert. Das waren in den 80er Jahren viele.
Statt Fachbücher, habe ich hunderte von Biografien gelesen. Dadurch bekam ich eine Vorstellung für die Probleme und Befindlichkeiten unterschiedlicher Zeiten und Länder. Meinen Abschluß machte ich in Absatz, Markt, Konsum, obwohl ich nie vor hatte in diesem Bereich zu arbeiten. Es war das Einfachste und so hatte ich genügend Zeit mich um die wichtigen Dinge zu kümmern. Ich hatte nie vor, als Angestellter zu arbeiten, sondern wollte immer selbständig sein. Dafür brauchte ich keine Noten sondern Wissen. Ich war auch mein ganzes Leben lang Freiberufler bzw. Unternehmer.
*****cgn Frau
8.385 Beiträge
Gruppen-Mod 
@****63 Hier mischen sich gerade viele Ebenen. Es gibt keine präzise Definition für „Geschwurbel“, weil es sich dabei um eine individuelle Wahrnehmung handelt. Und natürlich gibt es innerhalb eines DIN Idioms diverse Fachsprachen, die einzelnen Berufsgruppen eine präzise Verständigung ermöglichen. Ich nenne exemplarisch Juristen und Mediziner, um zu verdeutlichen, was ich meine. Untereinander ist da oft Verkürzung möglich, gegenüber Dritten funktioniert das eher nicht.

Politiker sprechen oft ohne exakte Inhalte, indem sie Zielvorhaben beschreiben und dabei so tun, als sei das schon Realität...

Man sollte das nicht alles in einen Topf werfen.
Natürlich habe ich Fachbegriffe. Habe ich an der Börse, im Recht oder auch beim segeln. Aber das hat für micht nichts mit Geschwurbel zu tun. *zwinker*
*****cgn Frau
8.385 Beiträge
Gruppen-Mod 
Deine Definition von Geschwurbel ist eben deine. Je nachdem, in welcher Welt man sich bewegt, ist es vielleicht anders.

Ist jetzt auch keine Überraschung, dass jemand, der zahlenaffin ist, sich weniger mit Sprachfeinheiten befasst.
*********frau Frau
9.515 Beiträge
Wieso? Ich bin sowohl zahlenaffin als auch mit Sprache beschäftigtdas kommt durch meine beiden Berufe. Mathematikerin und Journalistin.
*********frau Frau
9.515 Beiträge
Und es gibt viele Mathematiker, die sich belletristisch betätigen.
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