"Der Geist der Zeiten ist der Herren eigner Geist" (Goethe)
Wenn Du neugierig quer durch ca. 6000 Jahre Geschichte und Entwicklung der populärsten Kulturen und Kontinente schlendern würdest, kämst Du auch nur zu dem Schluß:
Den Rahmen für Sexualität gibt immer die Moral vor, die Moral richtet sich nach dem "Zeitgeist" und der ist einerseits von den Existenzbedingungen abhängig, andererseits von den Interessen der Gruppe, die die Existenzbedingungen verwaltet.
Das bedeutet, dass der Umgang und die moralische Bewertung von Sexualität (Mann sein und Frau sein) immer einerseits durch Notwendigkeiten bestimmt wird, die das Überleben sichern und andererseits durch die Interessen derer, welche die Ressourcen in der Hand haben.
Die von unbedarften Gemütern gerne gepriesene sexuelle Freiheit von "Naturvölkern", ist sehr viel mehr als unsere Kultur an Notwendigkeiten gebunden, die ihr Lebensraum bestimmt. Überleben ist im wörtlichen Sinne der Schwerpunkt ihrer "Moral".
Und entsprechen ist Sexualität in der Praxis viel rigider reglementiert.
Bei den Massai z.B. dürfen junge Krieger und Mädchen, vor der Geschlechtsreife der Mädchen, sexuell miteinander tun und lassen, was sie wollen.
Geschlechtsreife bedeutet für das Mädchen, dass es beschnitten wird und einen älteren Mann bekommt, der kein Krieger mehr ist, um mit ihm Kinder zu haben.
Die jungen Krieger sind für diese Mädchen dann tabu. Der Job eines Kriegers ist es nicht, Kinder groß zu ziehen, wenn sie aus dem Kriegeralter heraus sind, bekommen sie eine beschnittene Frau. Die noch nicht geschlechtsreifen Mädchen sind für sie dann tabu. Von den älteren Männern erwartet man, dass sie erfahren genug sind, um innerhalb des Stammes soziale Verantwortung zu übernehmen.
Warum die Mädchen beschnitten werden, kann man sich denken.
Sexualität und soziales Zusammenleben sind genetisch und kulturell unweigerlich verknüpft.
Durch die Industrialisierung, zwei Kriege und die Pille haben sich die wirtschaftlichen und soziokulturellen Voraussetzungen für Sexualität in der BRD grundlegend verändert.
Die wesentliche Veränderung seit der Industrialisierung ist für unser Land, dass Frauen zunehmend gleichberechtigt leben können, das bedeutet: Sie sind in ihrer Sexualität theoretisch rechtlich, moralisch und finanziell unabhängig von einem Mann.
(Karl der Große hat seinen Töchtern hier alle Freiheiten gewährt, was zumindest seiner politisch vertretenen Haltung widersprach, aber machtpolitisch hat er sich dadurch, zumindest auf die Töchter und deren Kinder bezogen, die Füße frei gehalten.)
Ab den 70igern haben sich juristisch wesentliche Dinge verändert.
Zum Beispiel wurde in Anpassung an die Tatsache, dass der Aufbau der BRD auf Frauen als Arbeitskräfte angewiesen war, viele also längst berufstätig waren, das Recht des Ehemannes seiner Frau vorzuschreiben ob sie berufstätig sein dürfe, aufgehoben. Und Frauen durften ohne Einwilligung des Gatten die Pille nehmen.
Die sexuelle Freizügigkeit der 20iger haben Frauen initiiert, die finanziell und intellektuell unabhängig gewesen sind.
Das war keine allgemeine Haltung zu Sexualität, das war die Ausnahme.
Erst kurze Zeit zuvor wurden die ersten Mädchen zum Abitur zugelassen und durften Universitäten besuchen. Das waren keine Arbeiterkinder.
Hier galten strengste moralische Werte.
Um 1900 erklärte der Mann die Frau. Und er erklärte sie so, wie er sich die "Unterrassen" der Kolonien erklärte.
Die Ideologie des 3. Reiches schwelte bereits, als Hitler geboren wurde. Er hat nur den kolonialistischen Übermenschenwahn umgesetzt, den z.B. die 1918 gegründete Thulegesellschaft verkörperte. Und daran ist der dann auch gescheitert. Dass er die damals verlorenen Kolonien wieder holen wollte.
Der Natioalsozialismus war kein Phänomen, das an Hitler gebunden war. (Siehe Südafrika, Ghandis Geschichte ist wirklich interessant.)
Aber die Herren, die hinter Hitler standen und größtes Interesse an z.B. der Kolonialisierung hatten, ... egal. Heute nennen wir das Globalisierung.
Jede Zivilisationsstufe hat ihre eigenen Probleme. Jeder Fortschritt bedeutet neue Konflikte. Aus 1 gelösten Problem ergeben sich unendlich viele neue Probleme.
Unsere relativ stabilen wirtschaftlichen Verhältnisse und ein Lebensraum, den wir weitgehend unter Kontrolle haben, gibt uns in der Gestaltung unserer sozialen und sexuellen Beziehungen größere Freiheit, als es jemals in der Geschichte der Menschheit zuvor gab.
Der Erfolg des Homosapiens beruht nicht auf seiner Fähigkeit alles zu vögeln, was nicht bei 3 auf den nächsten Baum geflüchtet ist, sondern auf seiner Fähigkeit zu sozialer Interaktion und Kommunikation auf exklusivem Niveau. Zwischen sexuell definierten Menschen: Männlein und Männlein, Weiblein und Weiblein, Männlein und Weiblein.
Um eine stabile und zielgerichtete Ordnung in soziale Interaktionen zu bringen, hat man Sexualität immer wieder den Regeln des sozialen Zusammenlebens unterworfen.
Sexualität und soziales Zusammenleben gehören zusammen.
Dadurch, dass heute theoretisch jeder unabhängig von familiärer und nachbarschaftlicher sozialer Interaktion sein Leben bewältigen kann, haben soziale Kontakte an Verbindlichkeit verloren und die sexuellen mit ihnen.
Eins der daraus folgenden Probleme ist, dass Kinder in der Wunderwelt der Riesenwaschkraft ohne komplexe und verbindliche soziale Einbindung groß werden.
Ein anderes, dass durch diesen Verlust verbindlicher sozialer Kommunikation die Informationen oberflächlicher werden und immer weniger Bezug zur komplexen Realität haben.
Und dann ist da noch die Tatsache, dass kaum ein Mensch auf diese Weise dauerhaft glücklich und zufrieden leben kann.
Wir sind nämlich nicht wirklich frei. Wir haben nämlich menschliche Bedürfnisse.
Das bedeutet nicht, dass wir in alte Strukturen zurück fallen müssen, wir müssen einfach neue entwickeln, müssen herausfinden, welche Lösung unseren Bedürfnissen gerecht wird.
Neu ist, dass wir unsere Sexualität nicht Notwendigkeiten unterordnen müssen, das bedeutet, wir müssen selbst Verantwortung dafür übernehmen.
Das größte Problem dabei scheint immer zu sein, dass
persönliche Freiheit und Beziehung als antagonistischer Widerspruch
interpretiert werden.
Dieses Problem löst die Generation nach uns, denen wir Freiheiten geben, ohne ihnen wirklich zeigen zu können wie man damit gescheit umgehen kann.