leuchter:
FACHKULTUR:
In der Bildungssoziologie geht man (ohne das zu sehr auf die eigene Disziplin zu beziehen) davon aus, dass ein Studium weniger die Erlangung von Wissen sondern das Erlernen einer Fachkultur leistet. Also zum Beispiel die richtige Sprache zu lernen, die von der der anderen Berufe unterscheidbar ist.
Diese These ist mir zu einseitig. Dem Einschreiben bestimmter Verhaltensdispositionen zu einer Fachkultur geht doch die wissenschaftliche Bemühung vorraus, das bisher nicht erforschte, unbeschriebene, noch nicht in Worte gestanzte, zu beschreiben. Diese Erklärung unterstellt irgendwie, dass die Abgrenzung von anderen Fachkulturen wichtiger sei, als die wissenschaftliche Tätigkeit. Diese These trifft nur auf Pseudowissenschaften wie BWL und diverse Management-Studiengänge zu. Allen anderen Wissenschaften geht doch die Idee vorraus, einem nicht-identifizierten Sachverhalt nachzujagen, der daher eine adäquate (wissenschaftliche) Erforschung und Beschreibung benötigt.
heidicgn:
Sie [Wissenschaft] dient also quasi als Abstandshalter - und wird auch so eingesetzt.
Nein! Es liegt in der Natur der Sache! Für manche Sachverhalte müssen bestimmte Bezeichnungen in bestimmten KOnstellationen verwendet werden. Abgrenzung ist das Produkt, nicht die zugrundeliegende Intention! Erfahrung würde normalisiert oder standardisiert, wenn alles in Alltagssprache rückübersetzt werden müsste. Das Ergebnis wäre eine Art Neusprech. Die Vielfalt der (wissenschaftlichen) Begriffe erlaubt es doch gerade den Sachverhalten etwas gerechter zu werden, als es die Alltagssprache erlaubt.
heidicgn:
An der Uni gibt es vielfach noch das Gefühl, eine engere Zugehörigkeit zu einer Gruppe entweder zu erreichen oder doch zumindest vorzutäuschen, indem man sich im Rahmen einer berufsgruppentypischen Terminologie bewegt, das gibt sich mit dem Erwachsenwerden ganz oft von alleine.
Also die Annahme einer berufsgruppentypischen Terminologie zur Auflösung der Adoleszenzkrise mag vereinzelt zutreffen, aber nicht allgemein. Und dass man mit dem Erwachsenwerden (nach der Uni?!), dann das aufgeblasene Gelehrten-sprech ablegt, ist nun auch davon abhängig, ob die Begriffe den Sachverhalten gerecht werden oder nicht. Ich werde meinen Eltern gegenüber, die beide nicht Soziologie studiert haben, nicht auf wichtige Begriffe verzichten, die einen Sachverhalt aufschliessen und so zum Verständnis eines noch nicht erfahrenen Sachverhalts beitragen.
Also: Terminologie dient nicht nur zur Adoleszenzkrisenbewältigung, sondern auch zur Krisenbewältigung (Mensch trifft auf etwas nicht-identifiziertes) in anderen Sachverhalten. Begriffe, die die Ebene der Alltagssprache verlassen, sind dann notwendig, wenn es der Sachverhalt erfordert. Bleibt nun das schöne Problem, wann dies der Fall ist.