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Codierung / Decodierung

Codierung / Decodierung
Hallo,

ich habe gestern einen mordsinteressanten Vortrag gehört. Ein sehr alter Soziologenprof, schon aD. Hat einen Vortrag nur für Dozenten gehalten.

Im wesentlichen ging es um die Kommunikation mit Studenten.

Zum Ende kam er auf eine interessante These.

Betrachtet man die assymetrische Komm. und die symetrische in ihren Grundsätzen, so vermutet er dass Komm. von Akademikern (oder werdenden) sich immer weiter von der symetrischen Komm. entfernt.

Will sagen, seiner Meinung nach codieren Akademiker immer häuffiger ihre Komm. derart dass sie bewusst oder unbewusst, von vielen Menschen nicht mehr decodiert werden kann. Dieser Vorgang scheint sich seiner Meinung nach immer weiter zu etablieren.

Die Gründe findet er im Standesdünkel und eben in Gruppendynamischen Effekten des "dazugehörens".

Ich gestehe, ich war baff erstaunt. Viele Kollegen wurden wach und erklärten auch Sie würden dieses Phämomen ständig verstärkt wahrnehmen.

Meine Frotzelei dass die meisten Akademiker irgendwie Soziopathen waren, wies er zurück mit einem wirklich beeindruckenden Satz.

"Wenn Sie meine Damen und Herren Lehrbeauftragte, natürlich dieses Spiel mit immer komplexeren Sätzen mitmachen um eben Ihren akademischen und didaktischen Führungsanspruch zu untermauern, dürfen Sie sich nicht wundern wenn das ein sich selbterfüllende Profezeihung wird"

.... ein beeindruckender Satz.


Januszauber
****on Mann
16.230 Beiträge
@januszauber
Ja. Ich unterschreibe, was der alte Soziologe da sagt. Um nicht als unwissenschaftlich und schlicht dazustehen, fühlen sich Akademiker oft zu einem Jargon geradezu verpflichtet, der nicht nur die im Fachbereich sehr wohl verständliche Fachsprache umfasst, sondern sie intellektualisieren ihre Sprache zusätzlich in einem Maße, das den Empfängerhorizont überfordern kann. Weil die Intellektualisierung* nicht dem Zweck der Verständlichkeit dient, sondern im Gegenteil vernebeln soll, dass die jeweiligen Aussagen schlicht und einfach sind. Oder auch unausgegoren.

* Intellektualisierung: In diesem Fall meine ich damit fremdwortlastige Satzhülsen, die den Anspruch hoher Sinnbeladung demonstrieren, ihn aber - einmal doch übersetzt und verstanden - nicht erfüllen.
Soziologie
Ich habe während meines Wirtschaftsstudiums auch zwei Soziologieklausuren schreiben müssen. Wir haben als Studenten immer gesagt: Soziologie ist die Kunst einfache Sachverhalte möglichst kompliziert auszudrücken!!
Ich empfinde diesen Vorgang als das Gegenteil von intelligent. Wie gesagt es ist eine Prestigesache, die die Dinge unnötig verkompliziert und damit ineffektiv macht. Ohne die Fachsprache würde so mancher Leser eines Fachbuches merken, daß der Autor im Prinzip nicht viel zu sagen hat.
...
Hört mal bitte auf so codiert zu schreiben, sonst kann ich es irgendwann nicht mehr decodieren *baeh*
Wenn sie sich untereinander so "codiert" unterhalten und sich die Begriffe an den Kopf schmeissen, mag es ja noch in Ordnung gehen, nur leider "verlernen" die meisten, sich auch normal verständlich auszudrücken.

Und hier liegt meines Erachtens dann die Gefahr - sofern sie Mitarbeiterführung auch im "nichtwissenschaftlichen Bereich" innehaben - dass sie sich ihren ihnen unterstellten Mitarbeitern nicht mehr verständlich machen können und diese nur noch Bahnhof verstehen und die Frustration auf beiden Seiten vorprogrammiert ist.

Für mich ist Intelligenz, wenn ich einem nicht Fachmann einen schwierigen Sachverhalt einfach und für ihn verständlich rüberbringen kann und nicht, einen einfachen Sachverhalt möglichst zu verkomplizieren und aufzublasen, damit niemand den Nonsens versteht, den ich verzapfe.
Das stimmt schon alles, manche Intellektuellen meinen es bierernst, wenn sie sich mit Fremdwörtern abgrenzen wollen.

Aber das Kryptolologisieren kann auch Spaß machen! Wenn sich zwei unterhalten, die Lust auf Sprache haben und diese herrlich verkorksen. Verfremdete Wörter sind ein feines Mittel zur Ironie!
Manche Schlaumeier haben so einen gewissen Unterton, der sich selbst nicht ernst nimmt und den finde ich witzig.
Keiner hat was gegen ein Bonmot oder einen amüsanten Schlagabtausch mit witzigen Formulierungen incl. Fremdwörtern, wie es hier öfter passiert. *kissenschlacht*
**********henke Mann
9.665 Beiträge
Soziolekte
Ich will keinesfalls die Lanze brechen für verquaste Sprache, ganz im Gegenteil. Mein Eindruck ist, dass in den Geisteswissenschaften immer wieder alter Wein in neue Schläuche gefüllt wird. Ich habe nationalökonomische Schriften aus der Zwischenkriegszeit gelesen, in denen in deutschen Worten klar ausgedrückt war, was ich in VWL-Literatur aus den 1970er komplett verklausuliert wiederfand. In der Theorie der Internationalen Beziehungen läuft es ähnlich, da gibt es alle zehn Jahre einen ganzen Begriffskosmos, um das gleiche zu beschreiben.

Aber: Manchmal lassen sich bestimmte Sachverhalte im betreffenden Soziolekt treffender ausdrücken, manche Fremdworte haben keine wirklichen deutschen Synonyme. (Oder kann mir einer sagen, mit welchem deutschen Wort Dom oder Sub adäquat wiedergegeben wird?)
*******enza Mann
3.454 Beiträge
...
Die Gründe findet er im Standesdünkel und eben in Gruppendynamischen Effekten des "dazugehörens".

Das mag bei einigen Wissenschaftlern ein gewisse Rolle spielen, wird aber allgemein überschätzt.

Es gibt noch einen weiteren Grund für die Abschottung durch Codes:

Das Bemühen von Akademikern, sich möglichst einfach und allgemeinverständlich auszudrücken, wird gerne auch vom Plebs missbraucht, um sich in seinem Bescheidwissertum zu suhlen und altklug rumzupöbeln. Wenn ich mitunter so lese, wozu z.B. die Relativitätstheorie so alles herhalten muss, wird mir schlecht.

"Mit dem gemeinen Volke war keine Verständigung möglich. Er hatte die Erfahrung gemacht."

(Heinrich Mann: "Professor Unrat")

Ein gutes Beispiel wäre ein wissenschaftliches Gutachten zu den ökologischen Folgen eines Großprojekts:

Natürlich muss das am Ende politisch auf ein ja oder nein runtergebrochen werden. Wir wissen aber alle, dass die am politischen Entwscheidungsprozess beteiligten sowieso mit einer vorgefassten Meinung an die Sache herangehen, so dass man sich das Gutachten eigentlich schenken könnte.

Wenn ich so ein Gutachten zu erstellen hätte, würde es mich mächtig in den Fingern jucken, das so zu verfassen, dass nur ein Bruchteil der Leser die komplizierten Regelkreise überhaupt versteht. Denn einerseits entspricht das ja der Realität, andererseits könnte es nicht schaden, wenn all diese Volldeppen sich in der anschließenden politischen Diskussion möglichst häufig als solch erweisen, indem überall klar wird, dass sie nicht ein Gramm verstanden haben.

Hört mal bitte auf so codiert zu schreiben, sonst kann ich es irgendwann nicht mehr decodieren

Wir müssen unbedingt zwischen syntaktischen und semantischen Codes unterscheiden. Ich suche gerne ein teutsches Synonym für ein Graecum raus, aber wenn mir jemand Nebensätze verbieten will, werde ich aggressiv.
****on Mann
16.230 Beiträge
(Oder kann mir einer sagen, mit welchem deutschen Wort Dom oder Sub adäquat wiedergegeben wird?)

"Kathedrale" und "Langes belegtes Brötchen".
@****on: Hä? Und ich dachte, Sub wäre eine Unterpflasterbahn!
**********henke Mann
9.665 Beiträge
Aber...
... "Kathedrale" ist kein deutsches Wort *zwinker*, "Pflaster" auch nicht...
****on Mann
16.230 Beiträge
"lang" als lateinisches Lehnwort auch nicht.
**********henke Mann
9.665 Beiträge
Da hatte der...
... gemeine Germane also nur neandertalische Brunftlaute in seinem Aktivwortschatz?
****on Mann
16.230 Beiträge
Ganz fremdwortfrei läßt es sich nur schweigend leben.
*******enza Mann
3.454 Beiträge
...
Da hatte der...
... gemeine Germane also nur neandertalische Brunftlaute in seinem Aktivwortschatz?

mag sein, aber er war dennoch rhetorisch nicht ganz ungeschickt, wie man hier sehen kann:



*****_54 Frau
11.795 Beiträge
Codierte Sprache hat etwas mit "Herrschaftswissen" zu tun, das - bewusst oder unbewusst - gezielt eingesetzt wird.

Wo kämen wir denn da hin, wenn JEDER uns verstünde ...
*zwinker*
*****cgn Frau
8.385 Beiträge
Gruppen-Mod 
Codes
verwenden wir alle, nur mal so bemerkt.

Jede Gruppe der Gesellschaft - egal welchen Bildungsstandes - entwickelt eine Art codierter Sprache. Diese unterscheiden sich wesentlich von der sogenannten Hochsprache, beispielsweise hört sich die Sprache junger Deutschtürken anders an als die von Deutschrussen. Das ist ein altbekanntes Phänomen und ist nicht auf die akademische Welt beschränkt.

Sinn und Zweck von Codes aller Art ist die Abgrenzung zu den "anderen" und die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls. Insofern stellt jeder der ungezählten deutschen Dialekte eine Art Code dar, der die Nutzer zu einer Gemeinschaft formt.

Schnittmengen gibt es querbeet.

Juristen benutzen andere Codes als Mediziner - kennt jeder aus dem Alltag.
*******enza Mann
3.454 Beiträge
...
Sinn und Zweck von Codes aller Art ist die Abgrenzung zu den "anderen" und die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls.

Für wissenschaftliche Fachsprachen gilt das nicht: Hier geht es um Verdichtung und Verkürzung von Kommunikation.

Was nicht bedeutet, dass die Fachsprache mitunter zu Abgrenzungszwecken oder dem Lockermachen von Drittmitteln missbraucht wird, aber der ursprüngliche Zweck ist definitiv ein anderer.
****on Mann
16.230 Beiträge
Für wissenschaftliche Fachsprachen gilt das nicht: Hier geht es um Verdichtung und Verkürzung von Kommunikation.

Hier geht es aber um die Gefahr, dass selbst die Wissenschaftler einander nicht mehr verstehen. Es geht also nicht um die wohldefinierte Fachsprache, sondern um ein babylonisches Akademikersprechchaos.
*****cgn Frau
8.385 Beiträge
Gruppen-Mod 
Für wissenschaftliche Fachsprachen gilt das nicht: Hier geht es um Verdichtung und Verkürzung von Kommunikation.

Das scheint nur so. In Wirklichkeit geht es sehr wohl um eine Abgrenzung zum "unverständigen" Teil der Bevölkerung. Die Kommunikation wird ja durch eine Mehrverwendung von Fremdwörtern keineswegs verdichtet oder verkürzt, sie wird nur anders.

"der Appendix auf der 12" ist ja nicht kürzer als "der Blinddarm......." es ist eher versachlichend, um eine größere Distanz herzustellen. Das zeigt sich immer dann, wenn sich die Gruppen mischen. Dann empfinden die einen mitunter etwas als zynisch, was andere ganz normal finden. Eine Frage der täglichen Praxis.

Hier im Forum ist auch schon mehrfach kritisiert worden, dass so wahnsinnig viele Fremdwörter verwendet werden - auch da ist es eine Frage der Gewohnheit, was der eine täglich tut, ist für den anderen fremd. Fremde Wörter, fremde Welten.
Die Verwendung von Fachbegriffen bzw. Fremdwörtern sollen auch in vielen Bereichen Kompetenz vortäuschen, die oft gar nicht vorhanden ist.

Kleine Anekdote am Rande dazu:
Ich habe mal einem Psychiater eine Frage gestellt. Daraufhin erhielt ich eine Antwort mit sieben Fremdwörtern. Ich entgegnete: Erklären Sie es doch etwas einfacher. Daraufhin bekam ich eine Antwort mit fünf Fremdwörtern. Bitte noch einfacher- Antwort mit drei Fremdwörtern. Was bedeutet denn der... Begriff. Antwort: Hach, das ist halt unheimlich kompliziert.
Scheiße wenn man Dinge nur auswendig gelernt hat, ohne sie zu verstehen!! war mein Gedanke. *autsch*
****on Mann
16.230 Beiträge
Was bedeutet z.B.:

Hintergrund war im wesentlichen der sich etablierende Postrukturalismus, der mittels ubiquitärer und absoluter Relativierungsmöglichkeiten auch versprach, das eigene Leiden am Geschlecht...die eigenen Schwierigkeiten mit der Geschlechtsidentität durch vermeintliche Entlarvung des Geschlechts als Fabriziertes und durch moralische Entlastung mittels Politisierung dieser angeblichen Fabrizierung zu lindern.

War in einem Nachbarthread die Erläuterung der These, dass Feminismus und Lesbenbewegung in einem direkten Zusammenhang stehen.
*****cgn Frau
8.385 Beiträge
Gruppen-Mod 
Die Verwendung von Fachbegriffen bzw. Fremdwörtern sollen auch in vielen Bereichen Kompetenz vortäuschen, die oft gar nicht vorhanden ist.

Ja, wie so viele andere Dinge auch, kann das Vortäuschen fehlender Kompetenz eine Ursache sein. Es ist allerdings so, dass das nicht gut funktioniert. Wenn man Fremdwörter benutzt, ohne den semantischen Inhalt zu kennen oder eine sinnvolle Syntax bilden zu können, fällt man sofort auf, und zwar ganz oft auch denjenigen, die nur wenig Kenntnisse haben.

Das intuitive Verstehen oder Erspüren von Kongruenzen in der Kommunikation - also Deckung von Inhalt, Aussage und Person - ist dem Menschen auch in die Wiege gelegt. Möglicherweise kann er das Gefühl nicht benennen, aber fühlen kann er es, wenn etwas nicht stimmt. Menschen, die sich mit Sprache professionell beschäftigen, können noch viel mehr.

Worte sind sehr verräterisch.

Ich glaube, das ist bisher mein Lieblingsthema.
*****cgn Frau
8.385 Beiträge
Gruppen-Mod 
Hintergrund war im wesentlichen der sich etablierende Postrukturalismus, der mittels ubiquitärer und absoluter Relativierungsmöglichkeiten auch versprach, das eigene Leiden am Geschlecht...die eigenen Schwierigkeiten mit der Geschlechtsidentität durch vermeintliche Entlarvung des Geschlechts als Fabriziertes und durch moralische Entlastung mittels Politisierung dieser angeblichen Fabrizierung zu lindern.

Schön, oder? Musste ich auch dreimal lesen, bis es ankam.

Im Klartext kann es heißen, dass Frauen im allgemeinen zu dem gemacht werden, was sie sind, weil sie unter frauenfeindlichen Lebensumständen leben müssen. Also schien es zu einem definierten Zeitpunkt logisch zu sein, nur mit Frauen zu leben, um dem schädigenden Einfluss des männlichen Geschlechts zu entgehen.

Oder so ähnlich...Interpretation ist zulässig an dieser Stelle und hängt von der jeweiligen Positionierung des Interpretierenden ab, eine gewissen pejorative Tendenz ist allerdings evident.
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