Vera Lengsfeld über...
...eine Rede von Olaf Henkel:
In diesem Land gibt es keine Opposition mehr
Zu dieser traurigen Feststellung kam Hans-Olaf Henkel, der Hauptredner der gestrigen Veranstaltung der „Zivilen Koalition“ im Hotel Schweizerhof in Berlin. Die mehr als dreihundert Gäste waren auf ihrem Weg am Denkmal für Alexander von Humboldt vorbeigekommen, einer der wenigen libertären Deutschen. Wirklicher Liberalismus hat hierzulande keine Tradition. Die Deutschen neigen zu Staatgläubigkeit und bevorzugen eine Einheitsmeinung, eine Einheitspartei und Einheitsmedien. Jedenfalls ist das der Zustand, in dem sich das vereinte Deutschland, nur zwanzig Jahre nach dem Aufbruch der Ostdeutschen in die Demokratie wiederzufinden scheint.
Alle Deutschen? Nein, der von den Mainsteam- Medien vermittelte Eindruck täuscht. Als Beatrix von Storch, die Vorsitzende der „Zivilen Koalition“ den Abend mit dem Thema: „ESM- Vertrag - der Weg in die Schuldenunion?“ eröffnete, konnte sie mitteilen, dass soeben die Marke von 180 000 Petitionen gegen den ESM- Vertrag geknackt worden war. Damit dürfte die Aktion von Abgeordneten-Check schon jetzt eine der erfolgreichsten in der Geschichte des Deutschen Bundestages sein.
Henkel begann seinen Vortrag mit der Aufzählung von vier Ereignissen des Tages, die in den deutschen Medien nicht erwähnt worden waren:
Das Rating von Italien wurde nochmals herabgestuft. Siemens hat seine Einlagen aus französischen Banken zurückgezogen. Die Risikoaufschläge für Bundesanleihen haben Rekordhöhe erreicht. In Portugal wurde soeben eine neue1.1Milliarden-Lücke entdeckt, auf der schönen Insel Madeira sogar ein Loch von 5-8 Milliarden.
Das Menetekel ist unübersehbar, aber die Politik reagiert mit Denkverboten. Der Einheitseuro ist mit einem Tabu belegt. Ausgerechnet die tabubrechende 68er Generation, die jetzt in allen Schaltstellen der Macht und der veröffentlichten Meinung sitzt, geriert sich als Hüter eines neuen Tabus.
Eine Analyse, was seit der Einführung des Euro passiert ist, wie sich die Erwartungen erfüllt oder nicht erfüllt haben, existiert nicht. Wenn es in Hamburg Hochwasser gibt, wird als erstes ein Krisenstab gebildet. Auch nach mehreren Jahren Finanzkrise hat die Bundesregierung nichts Vergleichbares aufzuweisen.
Dabei haben wir es , so Henkel, mit einer dreifachen Krise zu tun: der Überschuldung, des Euro und der Finanzmärkte.
Die Situation ist hochkomplex. Henkel beschreibt den gegenwärtigen Zustand als „organisierte Verantwortungslosigkeit“. Exakt diesen Terminus benutzte der DDR-Regimekritiker Rudolf Bahro in den 70er Jahren, um die Zustände in der DDR zu illustrieren. Bahros Buch hieß: „Die Alternative“, etwas, das es heute angeblich nicht mehr gibt.
Henkel zeigt am Ende seines Vortrages Alternativen auf. Als erster Schritt könnte beschlossen werden, dass die Bankenrettung renationalisiert wird. Das heißt, jedes Land kümmert sich um die Rekapitalisierung seiner eigenen maroden Geldinstitute.
Griechenland und andere Überschuldungs-Staaten müssen die Möglichkeit erhalten, aus dem Euro auszutreten, einen Schuldenschnitt zu machen und die Abwertung ihrer Währung vorzunehmen. Nur so hätten sie eine Chance, wieder auf die Beine zu kommen.
Der von den „Eurorettern“ diktierte Weg für Griechenland führt dagegen direkt in die Spaltung der EU. Die Politik nimmt die griechischen Realitäten nicht zur Kenntnis. Beispiel: Als Aktivposten für die Gesundung Griechenlands steht die Privatisierung der staatlichen Stromerzeuger. Aber 60% des griechischen Stroms wird aus Braunkohle erzeugt, weshalb es in weiten Teilen des Landes riecht, wie in der DDR selig. Auch der Personalbesatz von 150% erinnert an den untergegangenen Arbeiter-, und Bauernstaat.
Ähnlich sieht es bei der ebenfalls zu privatisierenden Eisenbahn aus, wo es 50% zu viel Personal gibt. Kein Investor wird Interesse an diesen Schrottunternehmen haben.
Renten werden kaum noch ausgezahlt, Akademiker müssen einen zweiten Beruf aufnehmen, um ihr Einkommen zu sichern. Ein Kilo Fisch kostet inzwischen 50Euro, ein Kilo Lamm ebenfalls. Nur die Erzeugnisse aus Neuseeland sind noch billiger. Die einheimische Wirtschaft wird durch das Euro-Rettungsprogramm zerstört.
Wenn der zweite „Griechenland-Rettungsschirm auf den Weg gebracht“ wird, werden sich die Verhältnisse noch verschlimmern. Eine deutsche Kanzlerin, die in dieser Situation den Griechen den guten Rat gibt, in Zukunft doch bitte etwas fleißiger zu sein, legt die Lunte an eine hochexplosive Gemengelage.
Henkels Resümee : die Kritiker der Eurorettungspolitik sollten sich nie mehr sagen lassen, sie seien keine Europäer. Es ist die Politik der Merkel, Sarkozy et tutti quanti, die antieuropäisch ist, weil sie zur Spaltung der EU und der Spaltung Europas führt.