Wulff und die Würde des Amtes - Die Affäre als Komödie
So schreibt heute der S.P.O.N.
Eine Kolumne von Jan Fleischhauer
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Ein Journalist macht mit einem Politiker zusammen ein Buch; das Honorar darf er allein behalten, so ist es mit dem Verlag vereinbart. Dann gerät der Politiker, der inzwischen zum Bundespräsidenten aufgestiegen ist, in Schwierigkeiten. In der Zeitung, in der der Journalist als Kolumnist arbeitet, erscheint ein großer Artikel darüber, dass ein bekannter Finanzunternehmer 40.000 Euro für Anzeigen ausgegeben hat, um das Buch zu einem Erfolg zu machen. Der Journalist erklärt darauf, dass er von diesen Anzeigen zum ersten Mal durch die Recherchen seiner eigenen Zeitung erfahren habe. Natürlich ist er entsetzt. Der Politiker sagt das Gleiche: Aber was im Fall des Journalisten für bare Münze genommen wird, gilt bei seinem Mitautor als billige Ausflucht, die nur den Verdacht nährt, er wolle etwas verbergen.
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Man muss sagen, die Affäre Wulff hat auch ihre komischen Seiten. Selten konnte man so viele Leute dabei erleben, wie sie die offensichtlichsten Widersprüche und Unsinnigkeiten von sich gaben, ohne dass sie dabei das Gesicht verziehen durften. Wie jede Illusionskunst verlangt auch die Heuchelei von den Akteuren eine Ernsthaftigkeit, die nur um den Preis kompletter Ironiefreiheit zu haben ist. Das macht den Spaß an der Sache aus.
Wer in den vergangenen Tagen zum Beispiel den Grünen dabei zusah, wie sie ihre Hände in Sorge um das "höchste Amt" im Staate rangen, konnte einen Lachanfall kaum unterdrücken. Einmal Renate Künast bei Günther Jauch über den Christdemokraten im Schloss Bellevue sagen zu hören, dass er "uns" doch "Werte vermitteln", "Sinn stiften", "Linien aufzeigen soll", war die ganze Aufregung wert.
Auch die Einlassungen führender Sozialdemokraten vor Weihnachten streiften die Grenze zur Hochkomik. Dass der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy dem Mann aus Niedersachsen nun ganz empört "Salamitaktik in Sachen Wahrheit" vorhielt, kann man nur mit der relativen Jugend des Anklägers erklären - oder einem akuten Amnesieanfall. Wenn jemand die Salamitaktik im Bundespräsidialamt eingeführt hat, dann war es der Wulff-Vorgänger und Vorzeige-Sozialdemokrat Johannes Rau, der sich in seiner Affäre über ein paar zu viel geflogene Flugmeilen immer nur an das erinnerte, was die Medien gerade zutage gefördert hatten. "Nachinformieren" nannten Raus Anwälte diese Form der selektiv einsetzenden Späterinnerung. Sie sicherte ihm übrigens die volle Amtszeit von fünf Jahren, ohne dass jemals ein SPD-Funktionär daran Anstoß genommen hätte.
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Gefährliche Nähe zu den Reichen
Mit jedem Tag, den die Affäre um den Hauskredit der Familie Wulff andauert, scheint die Bedeutung des Staatsoberhaupts nun zu wachsen, was auch insofern bemerkenswert ist, als bislang kaum jemand auf die Idee gekommen wäre, in Heinrich Lübke eine besondere moralische Instanz zu sehen. Oder in Karl Carstens, dem Wanderpräsidenten. Oder dem fröhlichen Walter Scheel, der immer ganz oben auf dem gelben Wagen hockte. Tatsächlich hat es in der Geschichte der Bundespräsidenten nach Theodor Heuss nur einen Amtsinhaber gegeben, der in der intellektuellen Klasse des Landes allgemeine Zustimmung genoss, das war Richard von Weizsäcker. Und diese Zustimmung verdankte er wiederum vor allem der moralisch eher bedenklichen Tatsache, dass er sich kaum im Amt gegen den Mann wandte, dem er alles verdankte, nämlich Helmut Kohl.
Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" hat übers Wochenende in bewundernswerter Klarheit festgestellt, worum es in der Affäre Wulff eigentlich geht. "Was Christian Wulff bislang vorgeworfen wird, hat nicht das Zeug zur Watergate-Affäre", stand dort zu lesen. "Aber es bleibt der Eindruck, dass er schon als Ministerpräsident nicht begriffen hat, wie peinlich genau man als Spitzenpolitiker darauf achten muss, nicht zu sehr in die Nähe der Reichen und Superreichen zu kommen."
Man kann sich als Politiker in Deutschland alles Mögliche leisten, ohne dass dies ernsthafte Konsequenzen hätte. Man kann dummerhafte Gesetze erlassen oder viel Geld für Prestigeprojekte ausgeben, die sich dann als große Fehlinvestition erweisen. Man kann nach der Wahl das Gegenteil von dem tun, was man vorher angekündigt hat, und überhaupt die Wähler für Menschen halten, die nur betrogen werden wollen. All das ist kein Grund für einen Abschied von der Politik, geschweige denn einen sofortigen Rücktritt. Aber wehe, man ist einmal zu oft in der Nähe von Menschen erwischt worden, die in diesem Land als zu wohlhabend gelten, dann gibt es kein Halten mehr.
Ein Glück für Wulff, dass sein Freund Geerkens den Grundstein zu seinem Vermögen mit Schrotthandel gemacht hat, muss man im Rückblick feststellen. Nicht auszudenken, der Mann wäre Investmentbanker gewesen, das hätte der Präsident in keinem Fall überlebt.
Quelle: Spiegel online