Mensch, lass es gut sein
Alle sind "irgendwie unzufrieden", obwohl es allen eigentlich gut geht. Die Autorin Danijela Pilic entlarvt ein Gefühl, mit dem man sich das Leben schwer macht
Neulich telefonierte ich mit einigen Freunden, die ich stressbedingt ziemlich vernachlässigt hatte. Ich blieb seltsam berührt zurück. Etwas Ungreifbares belastete mich. Am nächsten Morgen las ich in meiner Bäckerei den Spruch des Tages auf einem dieser blöden Kalender, die immer meinen Blick fangen: "Der höchste Genuss besteht in der Zufriedenheit mit sich selbst. (Jean-Jacques Rousseau)". Klar! Das war es: Keiner meiner Freunde war zufrieden. Niemandem ging es richtig schlecht, alle waren gesund, eine war sogar frisch verliebt und beschwerte sich stundenlang über ihre Arbeitssituation. Während mir die mit dem Leben ebenfalls unzufriedene Bäckerin meine Brötchen in die Tüte stopfte, fragte ich mich: Wann habe ich zum letzten Mal den Satz "Ach, mir geht’s gut" gehört? Wann habe ich ihn zum letzten Mal gesagt? Ist es neuerdings chic, unzufrieden zu sein? Stecken wir uns damit gegenseitig an? Gibt es Zeiten, in denen sich diese Unzufriedenheit verdichtet? Eine Freundin sagte: "Ich bin irgendwie schlecht drauf, obwohl eigentlich alles gut ist. Aber das sind ja gerade alle. Liegt vielleicht an den Sternen."
Freiheit genießen
Nein, liebe Freundin: Es liegt an uns selbst. Wir stehen auf Gottes goldener Seite und reiben uns an Luxusproblemen auf. Das iPhone ist kaputt, die Jeans sitzt etwas eng, man hat das Wochenende verbummelt und nun ein schlechtes Gewissen. Dass wir gesund sind, Freunde und Jobs haben, ja gut, aber irgendetwas nagt an uns. Das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit vielleicht, eine latente Langeweile mit dem Erreichten, das Fehlen von etwas … Liegt das am Alter? Fällt es uns, je älter wir werden, schwerer, zufrieden zu sein? Oder liegt es an dem Zeitalter, in dem wir leben? "Menschen, denen es ungleich besser geht als ihren Vorfahren, neigen stark zu der bemerkenswerten Ansicht, dass das, was sie sind und haben, bei weitem nicht ausreicht", schreibt der Philosoph Alain de Botton in seinem Buch "Statusangst". Wir sind freier, reicher und leben länger als unsere Vorfahren. Doch es wird schwieriger, zufrieden zu sein, je mehr Auswahl und Chancen man hat. Die Freiheit, die wir genießen, die Tatsache, dass wir nicht mehr starre Rollen erfüllen müssen, nähren Unzufriedenheit, glaubt auch Sabine Asgodom, Autorin von „Das Glück der Pellkartoffeln: Der Luxus der Zufriedenheit“. Heute hätten wir mehr Möglichkeiten, etwas zu ändern. „Es gibt fast einen Zwang zu handeln. War eine Frau früher in einer Beziehung unzufrieden, gab es nicht viel, was sie dagegen unternehmen konnte. Damals konnte man alles auf den lieben Gott schieben. Heute ist man für sein Glück verantwortlich.“ Vier weitere Schritte, um endlich wieder zufrieden zu werden.
Lässiger leben
Oft ist alles in Ordnung, solange man sich mit seiner Agenda zuknallt und keine Zeit hat, darüber nachzudenken, was fehlen könnte. Doch sobald man frei hat, gerät man in Freizeitstress: Soll ich joggen, mich mit Freunden treffen, endlich die Küche streichen? Wollte ich nicht schon ewig Französisch lernen, Yoga machen, Tango tanzen? Hilfe! Ich persönlich habe ein Rezept dagegen entwickelt: nichts tun. Langeweile zulassen. Anfangs fiel das schwer, doch ich lasse mir kein schlechtes Gewissen mehr von mir selbst machen, weil ich entspanne, vor mich hin pussele und eins mit meinem Sofa werde. Es ist nämlich so: Wenn ich nicht 800 Punkte auf eine Todo-Liste setze, werde ich auch nicht enttäuscht sein, dass ich schon wieder nix geschafft habe. "Das Aufgeben von Erwartungen bringt genauso viel Erleichterung wie Erfüllung. Es wird einem seltsam leicht ums Herz, wenn man sich mit seinem Versagen auf einem bestimmten Gebiet abgefunden hat", schrieb der Psychologe William James. Also: Eine To-do-Liste machen, nichts darauf schreiben, nichts durchstreichen und ab aufs Sofa - gern auch bei schönem Wetter. Nur weil Radiomoderatoren brüllen, dass die Sonne scheint und man raus muss, stimmt das noch lange nicht. Man muss gar nichts. Man kann aber einfach das Radio ausschalten.
Jobfrust analysieren
Die Deutschen schneiden zwar in puncto allgemeine Zufriedenheit besser ab als noch vor ein paar Jahren, aber nicht, was die Zufriedenheit im Job angeht. Die sank von 7,6 Punkten im Jahr 1984 auf 6,8 Punkte 2009 - und das, obwohl wir weniger arbeiten und mehr verdienen als Bürger anderer OECD-Länder. Das zeigt wieder mal, dass Zufriedenheit nicht davon abhängt, was man hat, sondern was man aus dem macht, das man hat. Okay, Unzufriedenheit ist nicht immer schlecht; sie kann auch anspornen, Dinge besser zu machen, oder ein Impuls sein, sie zu ändern. Der Physiker und Raketeningenieur Wernher von Braun sagte mal: "Es ist mein Job, nie zufrieden zu sein." Das nennt man wohl Perfektionismus - und ist leider ein typisch weibliches Phänomen. Ist man mit seiner Arbeit dauerhaft unzufrieden, rät die Münchner Coaching-Expertin Sabine Asgodom zum hinlänglich bekannten Mantra: Love it, change it or leave it. Das nagende Gefühl kommt in drei Facetten daher: Man ist im richtigen Job, aber in der falschen Umgebung. Man ist in der richtigen Umgebung, aber im falschen Job. Ganz schlecht: Man ist im falschen Job und in der falschen Umgebung. Nur wer sich klar darüber wird, was einem im Job konkret Kopfzerbrechen bereitet, kann handeln. "Es gibt“, so Asgodom, "immer eine Alternative.“
In Beziehungen investieren
"Das Verhalten der anderen ist von grundlegender Bedeutung für uns, weil wir mit angeborenem Selbstzweifel behaftet sind. So bestimmt das, was andere von uns halten, entscheidend mit, wie wir uns selbst sehen“, schreibt Alain de Botton und erklärt weiter: Wir scheinen die Zuneigung von anderen zu brauchen, um uns selbst zu ertragen. Er vergleicht unser Ego und Selbstbild mit einem undichten Luftballon, in den ständig Liebe hineingepumpt werden muss. Die kleinste Stichelei, ein unbeantworteter Anruf, eine schnippische Bemerkung können uns auf die Stimmung schlagen. In einer Zeit, in der Familien und Ehen auseinanderbrechen, sind Freunde oft die Garanten menschlicher Zuneigung. Wir wollen Beachtung, Wohlwollen, Aufmerksamkeit, Liebe. Und zwar ausnahmslos. Alles ganz menschlich. Freundschaften zu pflegen kostet Zeit, Kraft, Mühe, Dankbarkeit, Mitgefühl, Aufmerksamkeit und nicht zuletzt Anwesenheit. Man muss für sie da sein. "Wenn man 200 Tage im Jahr auf Reisen ist, ist es schwer, einen Freundeskreis aufzubauen“, sagt Sabine Asgodom und besteht darauf, dass man eben nicht alles haben kann, wie es uns so gern eingebläut wird. "Wenn man ein Baby hat, leidet das Liebesleben nun mal. Wenn man 80 Stunden in der Woche arbeitet, kommt man nicht zu seinen Hobbys.“ Sie sagt auch: "Wenn ich wiederholt keine Lust habe, Freunde zu treffen, kann ich mich über sie beschweren - oder aber überlegen, warum ich keine Lust habe. Vielleicht sollte ich mir neue Freunde suchen.“
Einfach mal zufrieden sein
Unsere vornehmste Aufgabe ist es zu leben, schrieb Michel de Montaigne. Wir müssen nicht von Projekt zu Projekt hetzen und denken, danach wird alles besser. Das Leben selbst ist das Projekt. "Dankbarkeit macht zufrieden. Und Großzügigkeit“, sagt Sabine Asgodom. Einer meiner Freunde, der schlimmste Schicksalsschläge erlitten hat, ist einer der zufriedensten Menschen, die ich kenne. Er hätte verbittert werden können, ist er aber nicht. Das ist sein Verdienst. Seine Stärke. Seine Entscheidung. Und es ist meine Entscheidung, ob ich mir den Tag versauen lasse und jemanden anmache, weil die Bahn sechs Minuten Verspätung hat. Wer nicht happy ist mit dem, was er hat oder was er ist, wird es wahrscheinlich auch nicht mit dem, was er gern hätte oder wäre. Es liegt an uns, ob wir zu unserem Frieden gelangen oder nicht. Ich rufe gleich meine Freunde an und pumpe all ihre Ego-Ballons bis zum Anschlag mit Liebe auf.
Danijela Pilic - 16. Dezember 2011, aus myselfNeulich telefonierte ich mit einigen Freunden, die ich stressbedingt ziemlich vernachlässigt hatte. Ich blieb seltsam berührt zurück. Etwas Ungreifbares belastete mich. Am nächsten Morgen las ich in meiner Bäckerei den Spruch des Tages auf einem dieser blöden Kalender, die immer meinen Blick fangen: "Der höchste Genuss besteht in der Zufriedenheit mit sich selbst. (Jean-Jacques Rousseau)". Klar! Das war es: Keiner meiner Freunde war zufrieden. Niemandem ging es richtig schlecht, alle waren gesund, eine war sogar frisch verliebt und beschwerte sich stundenlang über ihre Arbeitssituation. Während mir die mit dem Leben ebenfalls unzufriedene Bäckerin meine Brötchen in die Tüte stopfte, fragte ich mich: Wann habe ich zum letzten Mal den Satz "Ach, mir geht’s gut" gehört? Wann habe ich ihn zum letzten Mal gesagt? Ist es neuerdings chic, unzufrieden zu sein? Stecken wir uns damit gegenseitig an? Gibt es Zeiten, in denen sich diese Unzufriedenheit verdichtet? Eine Freundin sagte: "Ich bin irgendwie schlecht drauf, obwohl eigentlich alles gut ist. Aber das sind ja gerade alle. Liegt vielleicht an den Sternen."
Freiheit genießen
Nein, liebe Freundin: Es liegt an uns selbst. Wir stehen auf Gottes goldener Seite und reiben uns an Luxusproblemen auf. Das iPhone ist kaputt, die Jeans sitzt etwas eng, man hat das Wochenende verbummelt und nun ein schlechtes Gewissen. Dass wir gesund sind, Freunde und Jobs haben, ja gut, aber irgendetwas nagt an uns. Das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit vielleicht, eine latente Langeweile mit dem Erreichten, das Fehlen von etwas … Liegt das am Alter? Fällt es uns, je älter wir werden, schwerer, zufrieden zu sein? Oder liegt es an dem Zeitalter, in dem wir leben? "Menschen, denen es ungleich besser geht als ihren Vorfahren, neigen stark zu der bemerkenswerten Ansicht, dass das, was sie sind und haben, bei weitem nicht ausreicht", schreibt der Philosoph Alain de Botton in seinem Buch "Statusangst". Wir sind freier, reicher und leben länger als unsere Vorfahren. Doch es wird schwieriger, zufrieden zu sein, je mehr Auswahl und Chancen man hat. Die Freiheit, die wir genießen, die Tatsache, dass wir nicht mehr starre Rollen erfüllen müssen, nähren Unzufriedenheit, glaubt auch Sabine Asgodom, Autorin von „Das Glück der Pellkartoffeln: Der Luxus der Zufriedenheit“. Heute hätten wir mehr Möglichkeiten, etwas zu ändern. „Es gibt fast einen Zwang zu handeln. War eine Frau früher in einer Beziehung unzufrieden, gab es nicht viel, was sie dagegen unternehmen konnte. Damals konnte man alles auf den lieben Gott schieben. Heute ist man für sein Glück verantwortlich.“ Vier weitere Schritte, um endlich wieder zufrieden zu werden.
Lässiger leben
Oft ist alles in Ordnung, solange man sich mit seiner Agenda zuknallt und keine Zeit hat, darüber nachzudenken, was fehlen könnte. Doch sobald man frei hat, gerät man in Freizeitstress: Soll ich joggen, mich mit Freunden treffen, endlich die Küche streichen? Wollte ich nicht schon ewig Französisch lernen, Yoga machen, Tango tanzen? Hilfe! Ich persönlich habe ein Rezept dagegen entwickelt: nichts tun. Langeweile zulassen. Anfangs fiel das schwer, doch ich lasse mir kein schlechtes Gewissen mehr von mir selbst machen, weil ich entspanne, vor mich hin pussele und eins mit meinem Sofa werde. Es ist nämlich so: Wenn ich nicht 800 Punkte auf eine Todo-Liste setze, werde ich auch nicht enttäuscht sein, dass ich schon wieder nix geschafft habe. "Das Aufgeben von Erwartungen bringt genauso viel Erleichterung wie Erfüllung. Es wird einem seltsam leicht ums Herz, wenn man sich mit seinem Versagen auf einem bestimmten Gebiet abgefunden hat", schrieb der Psychologe William James. Also: Eine To-do-Liste machen, nichts darauf schreiben, nichts durchstreichen und ab aufs Sofa - gern auch bei schönem Wetter. Nur weil Radiomoderatoren brüllen, dass die Sonne scheint und man raus muss, stimmt das noch lange nicht. Man muss gar nichts. Man kann aber einfach das Radio ausschalten.
Jobfrust analysieren
Die Deutschen schneiden zwar in puncto allgemeine Zufriedenheit besser ab als noch vor ein paar Jahren, aber nicht, was die Zufriedenheit im Job angeht. Die sank von 7,6 Punkten im Jahr 1984 auf 6,8 Punkte 2009 - und das, obwohl wir weniger arbeiten und mehr verdienen als Bürger anderer OECD-Länder. Das zeigt wieder mal, dass Zufriedenheit nicht davon abhängt, was man hat, sondern was man aus dem macht, das man hat. Okay, Unzufriedenheit ist nicht immer schlecht; sie kann auch anspornen, Dinge besser zu machen, oder ein Impuls sein, sie zu ändern. Der Physiker und Raketeningenieur Wernher von Braun sagte mal: "Es ist mein Job, nie zufrieden zu sein." Das nennt man wohl Perfektionismus - und ist leider ein typisch weibliches Phänomen. Ist man mit seiner Arbeit dauerhaft unzufrieden, rät die Münchner Coaching-Expertin Sabine Asgodom zum hinlänglich bekannten Mantra: Love it, change it or leave it. Das nagende Gefühl kommt in drei Facetten daher: Man ist im richtigen Job, aber in der falschen Umgebung. Man ist in der richtigen Umgebung, aber im falschen Job. Ganz schlecht: Man ist im falschen Job und in der falschen Umgebung. Nur wer sich klar darüber wird, was einem im Job konkret Kopfzerbrechen bereitet, kann handeln. "Es gibt“, so Asgodom, "immer eine Alternative.“
In Beziehungen investieren
"Das Verhalten der anderen ist von grundlegender Bedeutung für uns, weil wir mit angeborenem Selbstzweifel behaftet sind. So bestimmt das, was andere von uns halten, entscheidend mit, wie wir uns selbst sehen“, schreibt Alain de Botton und erklärt weiter: Wir scheinen die Zuneigung von anderen zu brauchen, um uns selbst zu ertragen. Er vergleicht unser Ego und Selbstbild mit einem undichten Luftballon, in den ständig Liebe hineingepumpt werden muss. Die kleinste Stichelei, ein unbeantworteter Anruf, eine schnippische Bemerkung können uns auf die Stimmung schlagen. In einer Zeit, in der Familien und Ehen auseinanderbrechen, sind Freunde oft die Garanten menschlicher Zuneigung. Wir wollen Beachtung, Wohlwollen, Aufmerksamkeit, Liebe. Und zwar ausnahmslos. Alles ganz menschlich. Freundschaften zu pflegen kostet Zeit, Kraft, Mühe, Dankbarkeit, Mitgefühl, Aufmerksamkeit und nicht zuletzt Anwesenheit. Man muss für sie da sein. "Wenn man 200 Tage im Jahr auf Reisen ist, ist es schwer, einen Freundeskreis aufzubauen“, sagt Sabine Asgodom und besteht darauf, dass man eben nicht alles haben kann, wie es uns so gern eingebläut wird. "Wenn man ein Baby hat, leidet das Liebesleben nun mal. Wenn man 80 Stunden in der Woche arbeitet, kommt man nicht zu seinen Hobbys.“ Sie sagt auch: "Wenn ich wiederholt keine Lust habe, Freunde zu treffen, kann ich mich über sie beschweren - oder aber überlegen, warum ich keine Lust habe. Vielleicht sollte ich mir neue Freunde suchen.“
Einfach mal zufrieden sein
Unsere vornehmste Aufgabe ist es zu leben, schrieb Michel de Montaigne. Wir müssen nicht von Projekt zu Projekt hetzen und denken, danach wird alles besser. Das Leben selbst ist das Projekt. "Dankbarkeit macht zufrieden. Und Großzügigkeit“, sagt Sabine Asgodom. Einer meiner Freunde, der schlimmste Schicksalsschläge erlitten hat, ist einer der zufriedensten Menschen, die ich kenne. Er hätte verbittert werden können, ist er aber nicht. Das ist sein Verdienst. Seine Stärke. Seine Entscheidung. Und es ist meine Entscheidung, ob ich mir den Tag versauen lasse und jemanden anmache, weil die Bahn sechs Minuten Verspätung hat. Wer nicht happy ist mit dem, was er hat oder was er ist, wird es wahrscheinlich auch nicht mit dem, was er gern hätte oder wäre. Es liegt an uns, ob wir zu unserem Frieden gelangen oder nicht. Ich rufe gleich meine Freunde an und pumpe all ihre Ego-Ballons bis zum Anschlag mit Liebe auf.