Das schreibt der Spiegel dazu:
Zum Tode von Johannes Heesters
Das Maxim, Sie wissen schon!
Von Christian Buß
Zuletzt war Johannes Heesters für viele der drollige Show-Methusalem. Da vergaß man leicht: Der lustvolle Tenor brachte einst Frauenherzen zum Schmelzen - und seine Rolle im Nationalsozialismus ist umstritten. Was bleibt, ist die Erinnerung an eine etwas komplizierte Unterhaltungslaufbahn.
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Im "Maxim" gab es keine Sperrstunde, nicht für ihn. Über 70 Jahre lang ging Johannes Heesters in dem Operetten-Etablissement ein und aus; kein noch so kleiner Bühnenauftritt, bei dem er nicht als ewiger Graf Danilo Danilowitsch das Lied aus dem Singspiel "Die Lustige Witwe" zum Besten gab. Erst halb, dann ganz erblindet und ans Klavier seines musikalischen Begleiters geklammert, sang er wieder und wieder "Da geh ich zu Maxim". 1600-mal soll er die Operette in Gänze aufgeführt haben; wie oft er ein Best-of daraus vorgetragen hat, ist nicht verbürgt.
Noch mit 105 und 106 Jahren gingen ihm bei vielen dieser Auftritte die frivolen Eingangsreime aus Franz Lehárs Luststückchen luzide über die Lippen: "Da geh ich zu Maxim/Dort bin ich sehr intim/Ich duze alle Damen/Ruf' sie beim Kosenamen". Als der gebürtige Niederländer das Lied in den dreißiger Jahren mit keckem Tremolo im lustfeindlichen "Dritten Reich" vorzutragen begann, mag das einem erotischen Stoßgebet gleichgekommen sein.
In seinen letzten Lebensjahren war Johannes Heesters für die meisten Menschen allerdings nur der drolligste Methusalem, der dienstälteste Bühnenkünstler der Welt, der von seiner mehr als vier Jahrzehnte jüngeren Frau Simone Rethel mit Frack, Zylinder und wehendem weißen Schal zu oft unfreiwillig komischen Aufritten auf die Bühne eskortiert wurde. Was für aufreizende Kracher die "Maxim"-Nummer und sein Interpret einst gewesen sein müssen, ließ sich nur noch erahnen oder historisch rekonstruieren.
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Jungstar in marktbereinigter Situation
Und da wird es ein wenig schwierig: Der Aufstieg Heesters in Deutschland begann 1935, zwei Jahre nach der Machtergreifung der Nazis. Als Johan Marius Nicolaas Heesters in jenem Jahr über Wien an der Komischen Oper und im Admiralspalast in Berlin landete, waren jüdische Star-Tenöre wie Richard Tauber oder Joseph Schmidt von den Nazis ins Ausland gedrängt worden. Heesters traf also gleichsam auf eine marktbereinigte Situation - die er zu nutzen verstand.
Bald meldete sich die Ufa. Bereits 1936 drehte er an der Seite der damals schon berühmten Marika Rökk mit "Der Bettelstudent" seinen ersten großen Filmerfolg. Bis Kriegsende stand er für 21 Ufa-Filme vor der Kamera, unter anderem für Singspiele wie "Gasparone" (1937) oder "Die lustigen Vagabunden" (1940), in denen Heesters mit seinem Tenor flott durch Phantasielandschaften flanierte und keine unverheiratete Blondine in seiner Umgebung unangejubelt ließ. 1943 nahm ihn Reichspropagandaminister Joseph Goebbels auf die sogenannte "Gottbegnadetenliste", mit der die Nationalsozialisten ihren wichtigsten Künstlern huldigten.
Aber was war Heesters denn nun? Verwirrte Seele, Mitläufer oder gar verkappter Widerständler? Ein Parteibuch der NSDAP hatte er jedenfalls nicht. Festzuhalten ist: Noch 1938 absolvierte er in den Niederlanden einige Gastspiele mit einem Ensemble emigrierter jüdischer Operettenkünstler unter der Leitung von Fritz Hirsch, so etwas tut keiner, der von braunem Gedankengut beseelt ist. Und auch niemand, der in jener Zeit ausschließlich an seinen Aufstieg denkt.
Hat er in Dachau gesungen oder nicht?
Festzuhalten ist aber auch: Am 21. Mai 1941 besuchte er das rund 20 Kilometer außerhalb von München gelegene KZ Dachau. Der Sänger gastierte damals am Münchner Gärtnerplatztheater für die Musikkomödie "Axel an der Himmelstür", die drei Jahre später auch von der Ufa verfilmt wurde. Hat er da nun für SS-Mitglieder gesungen oder nicht? Lange stritten sich Johannes Heesters und seine Familie mit dem Publizisten Volker Kühn über diese Frage. 2010 kam es zu einem für die interessierte Öffentlichkeit eher unbefriedigenden Vergleich: Kühn, Autor des Hörspiels "Hitler und die Künstler", durfte weiterhin behaupten, dass der Heester vor der KZ-Wachmannschaft gesungen habe. Er durfte Heesters aber nicht mehr einen Lügner nennen, wenn der diese Behauptung bestritt.
Auf den ersten Blick mag die Frage, was genau Heesters in jenem KZ, das als Ausbildungszentrum für das Personal der Vernichtungslager in Osteuropa diente, ganz genau gemacht habe, wie Erbsenzählerei wirken. Und doch führt sie direkt in die schwierige politische Bewertung seiner Arbeit als Bühnen- und Filmstar: War seine überzeugende Heiterkeit in den Filmen der Kriegsjahre bloß purem Gehorsam, bloßem Selbsterhaltungstrieb geschuldet? Mit Jopi Heesters ist jetzt auch der letzte Protagonist gestorben, anhand dessen Vita sich die Frage diskutieren lässt, ob man in der NS-Diktatur ein erfolgreicher, aber "unpolitischer" Künstler sein konnte.
Seine deutschen Fans haben ihm das Engagement für die Unterhaltung im "Dritten Reich" nach Kriegsende jedenfalls nicht übel genommen. Er blieb ein Publikumsmagnet und sang sich mit weiterhin beschwingtem Tenor durch Kinohits wie "Im Weißen Rössl" (1952), "Opernball" (1956) oder "Bühne frei für Marika" (1958). Später wurde dann das Fernsehen seine zweite Heimat, er war der Stargast etlicher großer Samstagabendshows.
Heimkehr des "singenden Nazis"
In seiner niederländischen Heimat lief es nicht ganz so glatt. Da nannte man Heesters über viele Jahrzehnte nur "de zingende nazi". Noch in den sechziger Jahren buhte man ihn nach einem Auftritt in dem Musical "The Sound of Music" aus, weil man ihm nicht die Rolle des Widerstandskämpfers abnehmen wollte, die er darin spielte. "Heesters - SS" wurde aus dem Auditorium skandiert. Der niederländische Schriftsteller Harry Mulisch, auch nicht schmeichelhaft, soll ihn 1985 für den Roman "Höchste Zeit" als Vorbild für einen Operettenkollaborateur genommen haben.
Noch im Jahr 2008 gab es bei einem Homecoming-Konzert in einem kleinen Theater in Heesters' Heimatstadt Amersfoort auch Proteste. Danach nahmen ihn dann Mitarbeiter einer niederländische Satiresendung ins Visier, die ihm in einem Interview die Worte entlockten, Hitler sei "ein guter Kerl" gewesen. Später entschuldigte sich Heesters dann bei "Wetten, dass..?" für diese Aussage.
So sehr Heesters von den einen weggestoßen wurde, so sehr umarmten ihn die anderen. Ob das ein Trost für den ehemaligen Großunterhalter war? Die letzten zwei Jahrzehnte spielte er jedenfalls für sein treues deutsches Publikum die Rolle des Musical-Methusalems. Ein bisschen sonderbar mutete diese Greisenbesichtigung schon an. Vor allem, als man 2007 auf der vom Burda-Verlag ausgerichteten Bambi-Preisverleihung bekanntgab, dass man dem Künstler nun jedes Jahr ein Reh verleihen werde. Quasi als Ehrung fürs Weiterleben. Manchmal wusste man nicht genau, wer es böser mit Heesters meinte, seine Fans oder seine Kritiker.
Zuletzt hatte man beinahe schon das Gefühl, der alte Niederländer sei zu cool fürs Land: Statt den Ehrenpreis zur besten Sendezeit in Empfang zu nehmen, ließ er sich in den Folgejahren mehrmals entschuldigen, weil er noch irgendwo einen Liederabend zu absolvieren hatte. Das "Maxim", Sie wissen schon!
Am Heiligen Abend starb Johannes Heesters im Alter von 108 Jahren in Starnberg.