Ja, ich finde es auch interessant, muss dem Herrn Schreiber jedoch widersprechen, denke sogar, dass er sich selbst widerspricht. Mal sehen ob ihr das auch so sieht.
Er bedient sich erst mal einer Definition des Egoismus, um sie dann positiv zu besetzen.
„(Ichsucht, Selbstsucht, Selbstliebe) ist nach dem am Ende des 19. Jahrhunderts gültigen Sprachgebrauch diejenige Gesinnung, die sich nur durch die Rücksicht auf das unmittelbare eigene Wohl oder Wehe, den eignen Nutzen oder Schaden leiten lässt und deshalb eine Aufopferung des eignen Interesses zu Gunsten des Fremden oder im Dienst einer allgemeinen Idee ausschließt...“
Die Definition halte ich für seine Argumentation für nicht glücklich, da es ihm in der Diskussion nicht um den Fremden oder eine allgemein Idee, sondern um den relevanten Anderen geht. (Anmerkung: Damit sind die Leute gemeint, die mein Leben beeinflussen, also um Gegensatz zu all den Millionen Menschen, die mein Leben nie berührt. In der Globalisierten Welt kann der relevante Andere auch ein Kinderbekleidungsfabrikant in China sein, der mein Kind vergiftet, weil er mit giftigen Farben prodiziert.)
In der Definition ist ein Lücke in der Frage, wie es mit der Aufopferung des eigenen Interesses zu Gunsten meines Nächsten aussieht.
Das wäre nicht schlimm, aber Schreiber geht es genau um den Fall, weshalb er für mich mit einer untauglichen Definition arbeitet.
Er führt im folgenden einen "Selbsterhaltungstrieb" ein der alles andere überstrahlen soll. Das ist für mich problematisch, weil der Selbsterhaltungstrieb oft nicht wirkt. Eltern stellen ihr eigenes Wohl oft hinter das des Kindes, Menschen rauchen, nehmen Drogen, arbeiten sich zu Tode für eine Beförderung, Essen sich krankhaft fett, bleiben mit Partnern zusammen, die sie zu Tode prügeln, sprengen sich für religiöse Ziele in die Luft, verteidigen auf Befehl Deutschlands Sicherheit am Hindukusch oder pflegen den siechen Ehepartner und gehen dabei selbst zu Grunde.
Der Selbsterhaltungstrieb ist sehr basal. Er scheitert ständig an komplexen Wechselwirkungen (rauchen), allgemeinen Ideen (Freiheit verteidigen) und oft "verliert" er gegen den Trieb in der Gesellschaft ein gewisses Ansehen zu erreichen.
Situativ ist er unglaublich stark, dass will ich nicht bestreiten. Aber, wie Schreiber sagt: Der Mensch ist ein soziales Wesen und das soziale Existieren ist auch ein Trieb, nur kein direkt biologischer.
Das klingt so, als würde ich gegen Schreiber schreiben, aber er sagt selbst: Der Trieb führt dazu, dass der Mensch in seiner Bezugsgruppe möglichst lange leben kann. Moment! Gerade war Egoismus doch noch gegen das Aufopfern für eine Idee gerichtet. Aber eine Gruppe konstituiert sich oder wird konstituiert von einer Idee von sich selbst. Wenn ich aber alles tue um Teil dieser Gruppe zu bleiben, dann muss ich mich dieser Idee unterwerfen, die bestimmt, wer außen und wer innen ist.
Daraus folgt, dass im Zweifel die Definition der Gruppe bestimmt, wie ich mich verhalte. Wenn die Gruppe egoistisches Verhalten sanktioniert, werde ich aus Selbsterhaltungstrieb egoistisches Verhalten vermeiden.
Wenn jedoch, wie er schreibt, die Gruppe Egoismus fördert, werde ich zum Egoisten. Daher sollten wir uns nicht wundern, ergänze ich, wenn eine Idee wie der Kapitalismus Egoisten hervorbringt. Denn die Idee ist ja: Auch wenn alle egoistisch handeln, entsteht durch den Markt dadurch etwas Gutes.
Der Selbsterhaltungstrieb führt also nicht, wie man annehmen könnte, zwingend zu egoistischem Verhalten. Er führt vielmehr dazu, dass wir uns Einflüssen von außen öffnen und damit letztlich zu unterschiedlichen Wesen werden vom Egoisten bis zum Altruisten.